Wer beim Wohlfahrtsstaat spart: grosse Koalitionen und linke Parteien

Kür­zun­gen von Sozi­al­pro­gram­men sind poli­tisch kon­tro­vers. In unse­rer Unter­su­chung zei­gen wir, dass Spar­pa­ke­te beson­ders stark am Wohl­fahrts­staat anset­zen, wenn sie von lin­ken Par­tei­en in der Regie­rung und von gros­sen Koali­tio­nen umge­setzt wer­den. Das ist nur auf den ers­ten Blick paradox.

In der öffent­li­chen Dis­kus­si­on um Spar­pro­gram­me wird häu­fig eine Trenn­li­nie gezo­gen zwi­schen Spar­po­li­ti­kern, die den Wohl­fahrts­staat schlach­ten, und den Poli­ti­kern, die ihn um jeden Preis erhal­ten wollen.

Frei­lich sind die Pro­ble­me kom­ple­xer: In gewis­sen Situa­tio­nen kom­men Regie­run­gen nicht um Spar­pro­gram­me her­um. Auch sind Refor­men des Wohl­fahrts­staa­tes — die bereichs­spe­zi­fi­sche Ein­spa­run­gen bedeu­ten — bis­wei­len not­wen­dig, um ihn nach­hal­tig zu gestalten.

Wie unse­re Unter­su­chung zeigt, kön­nen vor allem lin­ke Par­tei­en in gros­sen Regie­rungs­ko­ali­tio­nen einen wich­ti­gen Bei­trag dafür leis­ten, den Sozi­al­staat für die nach­fol­gen­den Genera­tio­nen zu sichern.

Sorgen um Wohlfahrtsstaat machen Reformen notwendig

Zu Beginn der 1980er Jah­re began­nen sich die meis­ten Regie­run­gen in west­li­chen Demo­kra­tien von der Hoff­nung zu ver­ab­schie­den, mit einer anti­zy­kli­schen Fis­kal­po­li­tik die Wirt­schaft steu­ern zu kön­nen. Gleich­zei­tig wur­de der Opti­mis­mus, Armut und Elend durch Sozi­al­po­li­tik zu ver­mei­den, durch die Sor­ge über­la­gert, wie die­ser Wohl­fahrts­staat ange­sichts der Alte­rung der Gesell­schaft zu finan­zie­ren ist.

Eben­falls um die­se Zeit voll­zog sich ein Pro­zess der immer enge­ren wirt­schaft­li­chen Ver­flech­tung. Im Kern stand die Libe­ra­li­sie­rung der Kapi­tal­märk­te. Die­se hat­te zur Fol­ge, dass Kapi­tal ein Land viel leich­ter ver­las­sen konn­te. Dies geschah gehäuft dann, wenn Unter­neh­mer bei­spiels­wei­se befürch­ten muss­ten, durch höhe­re Steu­ern und Abga­ben oder sons­ti­ge Vor­schrif­ten inter­na­tio­nal weni­ger wett­be­werbs­fä­hig zu werden.

Die permanente Austerität

Das Zeit­al­ter der „per­ma­nen­ten Aus­teri­tät“ war ange­bro­chen. Damit ist der dau­ern­de Zwang gemeint, die staat­li­chen Defi­zi­te zu redu­zie­ren. Immer wenn die öffent­li­chen Finan­zen wie­der aus dem Ruder zu lau­fen droh­ten, grif­fen Par­la­men­te und Regie­run­gen zu Sparprogrammen.

Bei der Gestal­tung die­ser Spar­pro­gram­me gibt es eini­gen Spiel­raum: So kann ein Land etwa die Sub­ven­tio­nen für die Bau­ern oder die Mili­tär­aus­ga­ben kür­zen oder die Aus­ga­ben für Stras­sen und öffent­li­che Bau­ten reduzieren.

Ein nahe­lie­gen­der Spar­kan­di­dat ist auch der Wohl­fahrts­staat. Dies ist allei­ne schon eine Fol­ge sei­ner Grös­se: In moder­nen Demo­kra­tien geht heu­te durch­schnitt­lich die Hälf­te des Sozi­al­pro­dukts in Form von Steu­ern und Abga­ben durch staat­li­che Kas­sen. Von die­ser gewal­ti­gen Sum­me benö­tigt der Wohl­fahrts­staat die Hälf­te. Bei einem gros­sen Spar­pro­gramm wird also die sozia­le Siche­rung kaum aus­zu­neh­men sein – frei­lich bleibt auch dann offen, in wel­chem Aus­mass dies geschieht und wel­che Tei­le des Wohl­fahrts­staats davon betrof­fen sind.

Linke Parteien mit Glaubwürdigkeitsvorteilen

Unser ers­tes Argu­ment betrifft lin­ke Par­tei­en – eine der Haupt­trieb­fe­dern des Aus­baus des Sozi­al­staa­tes. Die­ser wird von den Bür­gern und Bür­ge­rin­nen stark unter­stützt: Sie alle haben in die wohl­fahrts­staat­li­chen Sys­te­me ein­ge­zahlt und erwar­ten, dass sie auch von die­sem Siche­rungs­sys­tem pro­fi­tie­ren kön­nen, wenn sie es brauchen.

Das gilt beson­ders für die Alters­si­che­rung und das Gesund­heits­sys­tem. Wenn bei die­sen Siche­rungs­sys­te­men gespart wer­den muss, ver­trau­en die Wäh­ler­schaf­ten dar­auf, dass die Lin­ke nur die not­wen­digs­ten Schnit­te vor­neh­men wird, wäh­rend bür­ger­li­che Par­tei­en immer unter dem Ver­dacht ste­hen, unter dem Deck­man­tel unver­meid­ba­rer Ein­spa­run­gen ihre wohl­fahrts­staats­skep­ti­sche Ideo­lo­gie umzu­set­zen. Des­halb kön­nen sich lin­ke Regie­run­gen viel leich­ter einen Abbau leis­ten, weil sie mit weni­ger Ver­är­ge­rung und weni­ger Miss­trau­en von Sei­ten der Wäh­ler­schaft rech­nen müssen.

Grosse Koalitionen mit umfassenden und ausbalancierten Reformprogrammen

Unser zwei­tes Argu­ment dreht sich um die Regie­rungs­form. Ent­ge­gen einer nahe­lie­gen­den Ver­mu­tung, sind gros­se Koali­tio­nen beson­ders befä­higt, gros­se Spar­pro­gram­me umzu­set­zen, die auch den Wohl­fahrts­staat erheb­lich zurückbauen.

Ein­par­tei­en­re­gie­run­gen oder klei­ne Regie­run­gen sind immer mit dem Pro­blem kon­fron­tiert, dass ihre Spar­po­li­tik in Wahl­kam­pa­gnen von den Oppo­si­ti­ons­par­tei­en hef­tig kri­ti­siert wird – was bei Wäh­lern auf gros­sen Zuspruch stösst.

Je mehr Par­tei­en aber in die Regie­rung ein­ge­bun­den sind, des­to klei­ner die Oppo­si­ti­on, die die Regie­rung für ihre Spar­po­li­tik an den Pran­ger stel­len könn­te. Hin­zu kommt, dass in gros­sen Koali­tio­nen die Spar­pro­gram­me aus­ge­wo­ge­ner gestal­tet sind, weil eine Regie­rungs­par­tei nicht nur ihre eige­ne Wäh­ler­schaft schüt­zen und die Kos­ten auf ande­re Grup­pen aus­la­gern kann.

Die­se balan­cier­ten Pro­gram­me sind weni­ger dafür anfäl­lig, bei einer Regie­rungs­neu­bil­dung nach der nächs­ten Wahl wie­der rück­gän­gig gemacht zu wer­den – da in der neu­en Regie­rung wahr­schein­lich auch vie­le Par­tei­en der alten Regie­rung ver­tre­ten sind.

In der fol­gen­den Abbil­dung zei­gen wir deskrip­ti­ve Evi­denz für unser Argu­ment, wie die Regie­rungs­form und die Regie­rungs­ideo­lo­gie das Aus­mass prä­gen, inwie­fern Spar­pro­gram­me den Wohl­fahrts­staat betreffen.

Abbildung: 
 Wohlfahrtsprogramm 

Hin­weis: Die Abbil­dung stellt mit den hell-vio­le­ten Bal­ken dar, wie sich die Wohl­fahrts­staats­aus­ga­ben wäh­rend Spar­pro­gram­men (oben) bzw. wäh­rend gros­sen Spar­pro­gram­men (unten) ver­än­dern. Wir unter­schei­den zwi­schen vier Typen von Regie­run­gen. Es zeigt sich, dass die Wohl­fahrts­staats­aus­ga­ben beson­ders in der Grup­pe der Spar­pro­gram­me von brei­ten Koali­tio­nen mit lin­ker Regie­rungs­be­tei­li­gung redu­ziert werden.

Info­box: Zwei wich­ti­ge metho­di­sche Neuerungen
In unse­rer Stu­die nut­zen wir einen Daten­satz zu Aus­teri­täts­po­li­ti­ken zwi­schen 1982 und 2009 in 17 moder­nen Demo­kra­tien. Die­ser Daten­satz zeich­net sich dadurch aus, dass die Spar­be­mü­hun­gen bes­ser gemes­sen wer­den als die übli­chen Mes­sun­gen, bei denen unklar ist, ob die Ver­än­de­rung des Defi­zits auf Spar­an­stren­gun­gen oder auf ande­re Grös­sen – wie z.B. den Wirt­schafts­ver­lauf – zurück­ge­hen. Dar­über hin­aus wen­den wir eine sta­tis­ti­sche Schätz­tech­nik an, die eini­ge der Haupt­schwä­chen der übli­chen gepool­ten Zeit­rei­hen­ana­ly­sen ver­mei­det.

Die­ser Bei­trag ist eine Kurz­fas­sung von: Klaus Armin­ge­on, Kai Guth­mann und David Weiss­tan­ner (2015). Choo­sing the path of aus­teri­ty: how par­ties and poli­cy coali­ti­ons influ­ence wel­fa­re sta­te retrench­ment in peri­ods of fis­cal con­so­li­da­ti­on, in: West Euro­pean Poli­tics 2015. 


Foto: Flickr

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