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Wer beim Wohlfahrtsstaat spart: grosse Koalitionen und linke Parteien

Klaus Armingeon, Kai Guthmann, David Weisstanner
15th Januar 2016

Kürzungen von Sozialprogrammen sind politisch kontrovers. In unserer Untersuchung zeigen wir, dass Sparpakete besonders stark am Wohlfahrtsstaat ansetzen, wenn sie von linken Parteien in der Regierung und von grossen Koalitionen umgesetzt werden. Das ist nur auf den ersten Blick paradox.

In der öffentlichen Diskussion um Sparprogramme wird häufig eine Trennlinie gezogen zwischen Sparpolitikern, die den Wohlfahrtsstaat schlachten, und den Politikern, die ihn um jeden Preis erhalten wollen.

Freilich sind die Probleme komplexer: In gewissen Situationen kommen Regierungen nicht um Sparprogramme herum. Auch sind Reformen des Wohlfahrtsstaates - die bereichsspezifische Einsparungen bedeuten - bisweilen notwendig, um ihn nachhaltig zu gestalten.

Wie unsere Untersuchung zeigt, können vor allem linke Parteien in grossen Regierungskoalitionen einen wichtigen Beitrag dafür leisten, den Sozialstaat für die nachfolgenden Generationen zu sichern.

Sorgen um Wohlfahrtsstaat machen Reformen notwendig

Zu Beginn der 1980er Jahre begannen sich die meisten Regierungen in westlichen Demokratien von der Hoffnung zu verabschieden, mit einer antizyklischen Fiskalpolitik die Wirtschaft steuern zu können. Gleichzeitig wurde der Optimismus, Armut und Elend durch Sozialpolitik zu vermeiden, durch die Sorge überlagert, wie dieser Wohlfahrtsstaat angesichts der Alterung der Gesellschaft zu finanzieren ist.

Ebenfalls um diese Zeit vollzog sich ein Prozess der immer engeren wirtschaftlichen Verflechtung. Im Kern stand die Liberalisierung der Kapitalmärkte. Diese hatte zur Folge, dass Kapital ein Land viel leichter verlassen konnte. Dies geschah gehäuft dann, wenn Unternehmer beispielsweise befürchten mussten, durch höhere Steuern und Abgaben oder sonstige Vorschriften international weniger wettbewerbsfähig zu werden.

Die permanente Austerität

Das Zeitalter der „permanenten Austerität“ war angebrochen. Damit ist der dauernde Zwang gemeint, die staatlichen Defizite zu reduzieren. Immer wenn die öffentlichen Finanzen wieder aus dem Ruder zu laufen drohten, griffen Parlamente und Regierungen zu Sparprogrammen.

Bei der Gestaltung dieser Sparprogramme gibt es einigen Spielraum: So kann ein Land etwa die Subventionen für die Bauern oder die Militärausgaben kürzen oder die Ausgaben für Strassen und öffentliche Bauten reduzieren.

Ein naheliegender Sparkandidat ist auch der Wohlfahrtsstaat. Dies ist alleine schon eine Folge seiner Grösse: In modernen Demokratien geht heute durchschnittlich die Hälfte des Sozialprodukts in Form von Steuern und Abgaben durch staatliche Kassen. Von dieser gewaltigen Summe benötigt der Wohlfahrtsstaat die Hälfte. Bei einem grossen Sparprogramm wird also die soziale Sicherung kaum auszunehmen sein – freilich bleibt auch dann offen, in welchem Ausmass dies geschieht und welche Teile des Wohlfahrtsstaats davon betroffen sind.

Linke Parteien mit Glaubwürdigkeitsvorteilen

Unser erstes Argument betrifft linke Parteien – eine der Haupttriebfedern des Ausbaus des Sozialstaates. Dieser wird von den Bürgern und Bürgerinnen stark unterstützt: Sie alle haben in die wohlfahrtsstaatlichen Systeme eingezahlt und erwarten, dass sie auch von diesem Sicherungssystem profitieren können, wenn sie es brauchen.

Das gilt besonders für die Alterssicherung und das Gesundheitssystem. Wenn bei diesen Sicherungssystemen gespart werden muss, vertrauen die Wählerschaften darauf, dass die Linke nur die notwendigsten Schnitte vornehmen wird, während bürgerliche Parteien immer unter dem Verdacht stehen, unter dem Deckmantel unvermeidbarer Einsparungen ihre wohlfahrtsstaatsskeptische Ideologie umzusetzen. Deshalb können sich linke Regierungen viel leichter einen Abbau leisten, weil sie mit weniger Verärgerung und weniger Misstrauen von Seiten der Wählerschaft rechnen müssen.

Grosse Koalitionen mit umfassenden und ausbalancierten Reformprogrammen

Unser zweites Argument dreht sich um die Regierungsform. Entgegen einer naheliegenden Vermutung, sind grosse Koalitionen besonders befähigt, grosse Sparprogramme umzusetzen, die auch den Wohlfahrtsstaat erheblich zurückbauen.

Einparteienregierungen oder kleine Regierungen sind immer mit dem Problem konfrontiert, dass ihre Sparpolitik in Wahlkampagnen von den Oppositionsparteien heftig kritisiert wird – was bei Wählern auf grossen Zuspruch stösst.

Je mehr Parteien aber in die Regierung eingebunden sind, desto kleiner die Opposition, die die Regierung für ihre Sparpolitik an den Pranger stellen könnte. Hinzu kommt, dass in grossen Koalitionen die Sparprogramme ausgewogener gestaltet sind, weil eine Regierungspartei nicht nur ihre eigene Wählerschaft schützen und die Kosten auf andere Gruppen auslagern kann.

Diese balancierten Programme sind weniger dafür anfällig, bei einer Regierungsneubildung nach der nächsten Wahl wieder rückgängig gemacht zu werden – da in der neuen Regierung wahrscheinlich auch viele Parteien der alten Regierung vertreten sind.

In der folgenden Abbildung zeigen wir deskriptive Evidenz für unser Argument, wie die Regierungsform und die Regierungsideologie das Ausmass prägen, inwiefern Sparprogramme den Wohlfahrtsstaat betreffen.

Abbildung: 
 Wohlfahrtsprogramm 

Hinweis: Die Abbildung stellt mit den hell-violeten Balken dar, wie sich die Wohlfahrtsstaatsausgaben während Sparprogrammen (oben) bzw. während grossen Sparprogrammen (unten) verändern. Wir unterscheiden zwischen vier Typen von Regierungen. Es zeigt sich, dass die Wohlfahrtsstaatsausgaben besonders in der Gruppe der Sparprogramme von breiten Koalitionen mit linker Regierungsbeteiligung reduziert werden.

Infobox: Zwei wichtige methodische Neuerungen
In unserer Studie nutzen wir einen Datensatz zu Austeritätspolitiken zwischen 1982 und 2009 in 17 modernen Demokratien. Dieser Datensatz zeichnet sich dadurch aus, dass die Sparbemühungen besser gemessen werden als die üblichen Messungen, bei denen unklar ist, ob die Veränderung des Defizits auf Sparanstrengungen oder auf andere Grössen – wie z.B. den Wirtschaftsverlauf – zurückgehen. Darüber hinaus wenden wir eine statistische Schätztechnik an, die einige der Hauptschwächen der üblichen gepoolten Zeitreihenanalysen vermeidet.

Dieser Beitrag ist eine Kurzfassung von: Klaus Armingeon, Kai Guthmann und David Weisstanner (2015). Choosing the path of austerity: how parties and policy coalitions influence welfare state retrenchment in periods of fiscal consolidation, in: West European Politics 2015. 


Foto: Flickr