Aktuelle Tendenzen in der Parteienlandschaft

In genau einem Jahr fin­den die eid­ge­nös­si­schen Wah­len statt. Ein Rück­blick auf die Par­la­ments­wah­len der ver­gan­ge­nen drei Jah­re in den Kan­to­nen zeigt, dass der par­tei­po­li­ti­sche Trend der letz­ten Natio­nal­rats­wah­len trotz Coro­na-Pan­de­mie und dem Krieg gegen die Ukrai­ne anhielt: Die Bun­des­rats­par­tei­en ver­lo­ren zum Teil deut­lich und die bei­den Öko­par­tei­en, GPS und GLP, blie­ben auf Siegeskurs.

Die gröss­ten Man­dats­ver­lus­te seit den letz­ten Natio­nal­rats­wah­len erlitt bei 19 kan­to­na­len Par­la­ments­wah­len die «Mit­te» (-43), gefolgt von der SP (-39) und der FDP (-36). Die SVP büss­te per sal­do nur drei Man­da­te ein. Die Grü­nen und die Grün­li­be­ra­len stei­ger­ten sich um je 51 Man­da­te. Unter dem Strich blei­ben aber die Bun­des­rats­par­tei­en klar die stärks­ten Par­tei­en: Über die meis­ten Man­da­te in den Kan­tons­par­la­men­ten ver­fü­gen die SVP (541) und die FDP, inkl. Libe­ra­le-BS, (532). Die SP hat 438 Man­da­te und die «Mit­te» 424. Die Grü­nen kom­men auf 267 Man­da­te, die Grün­li­be­ra­len auf 149.

Um die Ver­än­de­run­gen in der Par­tei­en­land­schaft auf­zu­zei­gen, wer­den die Wah­len in Grau­bün­den aus­ge­schlos­sen, weil die­se erst­mals nach Pro­porz durch­ge­führt wur­den, was zu star­ken sys­tem­be­ding­ten Ver­schie­bun­gen führ­te. Die frü­he­ren Nutz­nies­se­rin­nen des Majorz­sys­tems büss­ten vie­le Man­da­te ein (FDP: ‑9, «Mit­te»: ‑19), wäh­rend die ande­ren Par­tei­en Man­da­te hin­zu­ge­wan­nen (SVP: +16, SP: +7, GLP: +4, Grü­ne: +2).

Abbildung: Parteistärken bei den kantonalen Parlamentswahlen 2020 – 2022 (aktuell und Veränderung)

Hat die FDP die Talsohle erreicht?

Die FDP star­te­te schlecht ins Jahr 2020: In sämt­li­chen acht kan­to­na­len Par­la­ments­wah­len stand sie auf der Ver­lie­rer­sei­te, beson­ders stark in Uri, wo ihre Par­tei­stär­ke um fast sechs Pro­zent­punk­te ein­brach. Im fol­gen­den Jahr büss­te sie noch in drei Kan­to­nen Stim­men­an­tei­le ein, nament­lich in Neu­en­burg (-3,5 Punk­te). Dage­gen leg­te sie in Frei­burg knapp zwei Punk­te zu. Im aktu­el­len Jahr 2022 schnitt die FDP in drei Kan­to­nen etwas schlech­ter ab als bei den frü­he­ren Wah­len, in drei Kan­to­nen stei­ger­te sie ihre Par­tei­stär­ke um einen knap­pen Pro­zent­punkt (OW, GL, ZG). Ob die­se leich­ten Gewin­ne bereits eine Trend­wen­de signa­li­sie­ren? Sicher braucht es dazu noch wei­te­re Zuge­win­ne im Wahl­jahr 2023. Ent­schei­dend wer­den die kan­to­na­len Wah­len vom kom­men­den Früh­ling sein.

«Mitte», SVP und vor allem SP verlieren

Schlech­ter sieht die Bilanz in den Kan­to­nen für die «Mit­te» aus, der aus CVP und BDP her­vor­ge­gan­ge­nen Par­tei. Wer­den die aktu­el­len Stim­men­an­tei­le der «Mit­te» mit den frü­he­ren Stim­men­an­tei­len der bei­den Par­tei­en ver­gli­chen, so ist die «Mit­te» in den letz­ten drei Jah­ren in 16 Kan­to­nen schwä­cher gewor­den, in vier Kan­to­nen gar um drei bis sechs Pro­zent­punk­te (GL, VS, SO, SZ). Nur gera­de in St. Gal­len und Neu­en­burg leg­te sie ein biss­chen zu.

Etwas bes­ser als bei der «Mit­te» sieht die Bilanz der SVP aus, auch wenn sie in zwölf Kan­to­nen an Stär­ke ver­lor, am deut­lichs­ten in Basel-Stadt, St. Gal­len und Neu­en­burg (rund 3 Punk­te). Dafür konn­te die SVP in Obwal­den, Solo­thurn und Gla­rus zule­gen (zwi­schen 1 und 5 Punk­te) sowie, nur leicht, in Uri, Schwyz und im Wallis.

Die SP ging in 15 Kan­to­nen geschwächt aus den Wah­len her­vor. Die gröss­ten Ver­lus­te, mit je über drei Pro­zent­punk­ten, erlitt sie in Frei­burg, Neu­en­burg, in Bern, in der Waadt und in Schaff­hau­sen. Leich­te Gewin­ne erziel­te sie nur gera­de in Schwyz, Uri und im Jura.

Die Grü­nen und die Grün­li­be­ra­len blie­ben in den letz­ten drei Jah­ren klar auf der Sie­gerstas­se. Die Grü­nen stei­ger­ten ihre Par­tei­stär­ke in 16 Kan­to­nen um 0,2 (SZ) bis 6,8 Punk­te (FR), wobei der Zuwachs in fünf Kan­to­nen grös­ser als 3 Pro­zent­punk­te war (neben FR auch in SH, JU, NE, BS). In Obwal­den jedoch waren die Grü­nen nicht zur Wahl ange­tre­ten und in Nid­wal­den wur­den sie schwä­cher (-2,2 Punkte).

Die Grün­li­be­ra­len leg­ten bei 17 kan­to­na­len Par­la­ments­wah­len zu, mit Zuwachs­wer­ten zwi­schen 0,6 (GL) und 8 Pro­zent­punk­ten (NW). Über drei Pro­zent­punk­te betrug die Stei­ge­rung in Obwal­den, im Jura und im Aar­gau, in Neu­en­burg, Basel-Stadt und Schwyz. Im Kan­ton Uri kan­di­dier­ten sie nicht.

Grüne punkten stark in der Romandie

Wer­den die Man­dats­ge­win­ne und ‑ver­lus­te nach Regio­nen zusam­men­ge­fasst, so kön­nen bei den Bun­des­rats­par­tei­en kaum Unter­schie­de fest­ge­stellt wer­den. Sie befan­den sich in den ver­gan­ge­nen drei Jah­ren fast über­all per sal­do auf der Ver­lie­rer­stras­se. Bei der SP sind aller­dings in der Roman­die und im Mit­tel­land über­durch­schnitt­lich viel Man­dats­ver­lus­te fest­zu­stel­len (-20 bzw. ‑13).

Nicht so die bei­den Öko­par­tei­en. Ihre Man­dats­ge­win­ne fie­len zwar im Mit­tel­land, in Basel-Stadt und in Schaff­hau­sen sehr ähn­lich aus (ins­ge­samt je +19 Man­da­te). In der Roman­die und auch in der Ost­schweiz hat­ten die Grü­nen aber klar die Nase vor­ne. Die Roman­die ist seit der Grün­dung der Grü­nen vor bald vier­zig Jah­ren ihre Hoch­burg und dort leg­ten die Grü­nen 21 Man­da­te zu. In der Ost­schweiz hol­ten die Grü­nen zehn zusätz­li­che Man­da­te. Die ent­spre­chen­den Zuwachs­wer­te der Grün­li­be­ra­len betra­gen in die­sen Regio­nen zwölf und vier Mandate.

Die Grün­li­be­ra­len waren dage­gen in der Zen­tral­schweiz die gros­sen Sie­ger – in einer Regi­on, in der die Links­par­tei­en SP und Grü­ne seit Län­ge­rem har­tes Brot essen. Die GLP hol­te hier zwölf zusätz­li­che Man­da­te, wäh­rend die Grü­nen eines verloren.

Rotgrünes Wachstum abgeschwächt?

In den ers­ten bei­den Jah­ren nach den Natio­nal­rats­wah­len ver­moch­ten die Grü­nen bei den kan­to­na­len Par­la­ments­wah­len die zum Teil mas­si­ven Ver­lus­te der SP nicht nur auf­zu­fan­gen, son­dern das rot­grü­ne Lager ins­ge­samt auch noch zu stär­ken. Dies war für sämt­li­che kan­to­na­le Wah­len von 2020 und 2021 der Fall, wobei das lin­ke Lager in Neu­en­burg sei­ne Stär­ke von 48 Pro­zent nur dank der PdA zu hal­ten vermochte.

Im aktu­el­len Jahr jedoch ging Rot­grün nur im Kan­ton Gla­rus gestärkt aus den Wah­len her­vor. In Ob- und Nid­wal­den wur­de Rot­grün um rund drei Pro­zent­punk­te schwä­cher: Dabei haben sich die Grü­nen in Obwal­den gar nicht zur Wahl gestellt, wäh­rend sie in Nid­wal­den ihre ein­zi­gen Stim­men­ver­lus­te seit 2019 ein­ge­fah­ren haben. In den Kan­to­nen Bern und Waadt büss­te Rot­grün 0,9 bzw. 1,8 Pro­zent­punk­te ein und bei den jüngs­ten Wah­len in Zug 1,3 Punkte.

Die Zen­tral­schwei­zer Kan­to­ne kön­nen wohl kaum als Trend­mel­der für die Ent­wick­lung der Schwei­zer Par­tei­en­land­schaft betrach­tet wer­den. Es stellt sich aber die Fra­ge, ob das Fak­tum, dass die star­ken Ver­lus­te der SP im aktu­el­len Jahr, nament­lich in Bern und in der Waadt, nicht mehr durch die Gewin­ne der Grü­nen kom­pen­siert wer­den konn­ten, auf regio­na­le Beson­der­hei­ten zurück­zu­füh­ren ist oder ob es einen neu­en Trend signa­li­siert. Aus­kunft dar­über wer­den im Früh­ling die kan­to­na­len Par­la­ments­wah­len in Zürich, Basel-Land­schaft, Luzern, Tes­sin und Genf geben, die letz­ten vor den Natio­nal­rats­wah­len 2023.


Hinweis: Die­ser Bei­trag wur­de am 19. Okto­ber 2022 auf Journal21.ch erstpubliziert.

Bild: Kan­tons­rat Luzern

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