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Aktuelle Tendenzen in der Parteienlandschaft

Werner Seitz
26th Oktober 2022

In genau einem Jahr finden die eidgenössischen Wahlen statt. Ein Rückblick auf die Parlamentswahlen der vergangenen drei Jahre in den Kantonen zeigt, dass der parteipolitische Trend der letzten Nationalratswahlen trotz Corona-Pandemie und dem Krieg gegen die Ukraine anhielt: Die Bundesratsparteien verloren zum Teil deutlich und die beiden Ökoparteien, GPS und GLP, blieben auf Siegeskurs.

Die grössten Mandatsverluste seit den letzten Nationalratswahlen erlitt bei 19 kantonalen Parlamentswahlen die «Mitte» (-43), gefolgt von der SP (-39) und der FDP (-36). Die SVP büsste per saldo nur drei Mandate ein. Die Grünen und die Grünliberalen steigerten sich um je 51 Mandate. Unter dem Strich bleiben aber die Bundesratsparteien klar die stärksten Parteien: Über die meisten Mandate in den Kantonsparlamenten verfügen die SVP (541) und die FDP, inkl. Liberale-BS, (532). Die SP hat 438 Mandate und die «Mitte» 424. Die Grünen kommen auf 267 Mandate, die Grünliberalen auf 149.

Um die Veränderungen in der Parteienlandschaft aufzuzeigen, werden die Wahlen in Graubünden ausgeschlossen, weil diese erstmals nach Proporz durchgeführt wurden, was zu starken systembedingten Verschiebungen führte. Die früheren Nutzniesserinnen des Majorzsystems büssten viele Mandate ein (FDP: -9, «Mitte»: -19), während die anderen Parteien Mandate hinzugewannen (SVP: +16, SP: +7, GLP: +4, Grüne: +2).

Abbildung: Parteistärken bei den kantonalen Parlamentswahlen 2020 – 2022 (aktuell und Veränderung)

Hat die FDP die Talsohle erreicht?

Die FDP startete schlecht ins Jahr 2020: In sämtlichen acht kantonalen Parlamentswahlen stand sie auf der Verliererseite, besonders stark in Uri, wo ihre Parteistärke um fast sechs Prozentpunkte einbrach. Im folgenden Jahr büsste sie noch in drei Kantonen Stimmenanteile ein, namentlich in Neuenburg (-3,5 Punkte). Dagegen legte sie in Freiburg knapp zwei Punkte zu. Im aktuellen Jahr 2022 schnitt die FDP in drei Kantonen etwas schlechter ab als bei den früheren Wahlen, in drei Kantonen steigerte sie ihre Parteistärke um einen knappen Prozentpunkt (OW, GL, ZG). Ob diese leichten Gewinne bereits eine Trendwende signalisieren? Sicher braucht es dazu noch weitere Zugewinne im Wahljahr 2023. Entscheidend werden die kantonalen Wahlen vom kommenden Frühling sein.

«Mitte», SVP und vor allem SP verlieren

Schlechter sieht die Bilanz in den Kantonen für die «Mitte» aus, der aus CVP und BDP hervorgegangenen Partei. Werden die aktuellen Stimmenanteile der «Mitte» mit den früheren Stimmenanteilen der beiden Parteien verglichen, so ist die «Mitte» in den letzten drei Jahren in 16 Kantonen schwächer geworden, in vier Kantonen gar um drei bis sechs Prozentpunkte (GL, VS, SO, SZ). Nur gerade in St. Gallen und Neuenburg legte sie ein bisschen zu.

Etwas besser als bei der «Mitte» sieht die Bilanz der SVP aus, auch wenn sie in zwölf Kantonen an Stärke verlor, am deutlichsten in Basel-Stadt, St. Gallen und Neuenburg (rund 3 Punkte). Dafür konnte die SVP in Obwalden, Solothurn und Glarus zulegen (zwischen 1 und 5 Punkte) sowie, nur leicht, in Uri, Schwyz und im Wallis.

Die SP ging in 15 Kantonen geschwächt aus den Wahlen hervor. Die grössten Verluste, mit je über drei Prozentpunkten, erlitt sie in Freiburg, Neuenburg, in Bern, in der Waadt und in Schaffhausen. Leichte Gewinne erzielte sie nur gerade in Schwyz, Uri und im Jura.

Die Grünen und die Grünliberalen blieben in den letzten drei Jahren klar auf der Siegerstasse. Die Grünen steigerten ihre Parteistärke in 16 Kantonen um 0,2 (SZ) bis 6,8 Punkte (FR), wobei der Zuwachs in fünf Kantonen grösser als 3 Prozentpunkte war (neben FR auch in SH, JU, NE, BS). In Obwalden jedoch waren die Grünen nicht zur Wahl angetreten und in Nidwalden wurden sie schwächer (-2,2 Punkte).

Die Grünliberalen legten bei 17 kantonalen Parlamentswahlen zu, mit Zuwachswerten zwischen 0,6 (GL) und 8 Prozentpunkten (NW). Über drei Prozentpunkte betrug die Steigerung in Obwalden, im Jura und im Aargau, in Neuenburg, Basel-Stadt und Schwyz. Im Kanton Uri kandidierten sie nicht.

Grüne punkten stark in der Romandie

Werden die Mandatsgewinne und -verluste nach Regionen zusammengefasst, so können bei den Bundesratsparteien kaum Unterschiede festgestellt werden. Sie befanden sich in den vergangenen drei Jahren fast überall per saldo auf der Verliererstrasse. Bei der SP sind allerdings in der Romandie und im Mittelland überdurchschnittlich viel Mandatsverluste festzustellen (-20 bzw. -13).

Nicht so die beiden Ökoparteien. Ihre Mandatsgewinne fielen zwar im Mittelland, in Basel-Stadt und in Schaffhausen sehr ähnlich aus (insgesamt je +19 Mandate). In der Romandie und auch in der Ostschweiz hatten die Grünen aber klar die Nase vorne. Die Romandie ist seit der Gründung der Grünen vor bald vierzig Jahren ihre Hochburg und dort legten die Grünen 21 Mandate zu. In der Ostschweiz holten die Grünen zehn zusätzliche Mandate. Die entsprechenden Zuwachswerte der Grünliberalen betragen in diesen Regionen zwölf und vier Mandate.

Die Grünliberalen waren dagegen in der Zentralschweiz die grossen Sieger – in einer Region, in der die Linksparteien SP und Grüne seit Längerem hartes Brot essen. Die GLP holte hier zwölf zusätzliche Mandate, während die Grünen eines verloren.

Rotgrünes Wachstum abgeschwächt?

In den ersten beiden Jahren nach den Nationalratswahlen vermochten die Grünen bei den kantonalen Parlamentswahlen die zum Teil massiven Verluste der SP nicht nur aufzufangen, sondern das rotgrüne Lager insgesamt auch noch zu stärken. Dies war für sämtliche kantonale Wahlen von 2020 und 2021 der Fall, wobei das linke Lager in Neuenburg seine Stärke von 48 Prozent nur dank der PdA zu halten vermochte.

Im aktuellen Jahr jedoch ging Rotgrün nur im Kanton Glarus gestärkt aus den Wahlen hervor. In Ob- und Nidwalden wurde Rotgrün um rund drei Prozentpunkte schwächer: Dabei haben sich die Grünen in Obwalden gar nicht zur Wahl gestellt, während sie in Nidwalden ihre einzigen Stimmenverluste seit 2019 eingefahren haben. In den Kantonen Bern und Waadt büsste Rotgrün 0,9 bzw. 1,8 Prozentpunkte ein und bei den jüngsten Wahlen in Zug 1,3 Punkte.

Die Zentralschweizer Kantone können wohl kaum als Trendmelder für die Entwicklung der Schweizer Parteienlandschaft betrachtet werden. Es stellt sich aber die Frage, ob das Faktum, dass die starken Verluste der SP im aktuellen Jahr, namentlich in Bern und in der Waadt, nicht mehr durch die Gewinne der Grünen kompensiert werden konnten, auf regionale Besonderheiten zurückzuführen ist oder ob es einen neuen Trend signalisiert. Auskunft darüber werden im Frühling die kantonalen Parlamentswahlen in Zürich, Basel-Landschaft, Luzern, Tessin und Genf geben, die letzten vor den Nationalratswahlen 2023.


Hinweis: Dieser Beitrag wurde am 19. Oktober 2022 auf Journal21.ch erstpubliziert.

Bild: Kantonsrat Luzern