Schwangerschaftsabbruch: Fremd- und selbstbestimmte Frauenkörper

Das zähe Rin­gen um die Lega­li­sie­rung des Schwan­ger­schafts­ab­bruchs dau­er­te in der Schweiz meh­re­re Jahr­zehn­te an. Mitt­ler­wei­le ist ein sol­cher den Frau­en in der Schweiz zwar unter bestimm­ten Bedin­gun­gen erlaubt – femi­nis­ti­sche Krei­se sehen den Frau­en­kör­per mit der aktu­ell gel­ten­den Rechts­ord­nung aber immer noch als fremd­be­stimmt an. Zu recht?

«Regie­rungs­un­fä­hig». So lau­te­te das eigens auf­er­leg­te Ver­dikt des Königs von Bel­gi­en in den 1990er Jah­ren. Aus­lö­ser für sei­ne Nie­der­le­gung der Arbeit war die damals ein­ge­führ­te Fris­ten­re­ge­lung, also die Lega­li­sie­rung eines Schwan­ger­schafts­ab­bruchs bis zu einer bestimm­ten Schwan­ger­schafts­wo­che. Wäh­rend in eini­gen Län­dern Euro­pas auch heu­te noch gegen die bestehen­de Rechts­ord­nung bezüg­lich Schwan­ger­schafts­ab­brü­chen demons­triert wird, schei­nen hier­zu­lan­de die Wogen geglät­tet. Denn seit 2002 darf in der Schweiz bis zur zwölf­ten Schwan­ger­schafts­wo­che legal abge­trie­ben wer­den und dies allei­nig auf Ent­scheid der betrof­fe­nen Frau hin (sie­he Info­box). Femi­nis­ti­sche Krei­se kri­ti­sie­ren die aktu­el­le Rege­lung aber nach wie vor. Ein kur­zer Blick zurück lie­fert eine mög­li­che Erklä­rung, wes­halb dem so ist.

Zähes Ringen bis zum Teilsieg

1942 wur­de mit dem neu geschaf­fe­nen Straf­ge­setz­buch (StGB) die Geset­zes­la­ge zum Schwan­ger­schafts­ab­bruch natio­nal gere­gelt, näm­lich indem ein Ver­bot ver­hängt wur­de. Erst mit der Ein­füh­rung des Frau­en­stimm- und wahl­rechts wur­den in den 1970er Jah­ren poli­ti­sche Vor­stös­se zum The­ma ein­ge­reicht, respek­ti­ve die Strei­chung der ent­spre­chen­den Para­gra­fen im StGB gefor­dert. Aber auch in der aus­ser­par­la­men­ta­ri­schen Are­na reg­te sich der Wider­stand. Hier­bei sind ins­be­son­de­re die Frau­en­be­frei­ungs­be­we­gung (FBB) und die Schwei­ze­ri­sche Ver­ei­ni­gung für die Straf­lo­sig­keit des Schwan­ger­schafts­ab­bruchs (SVSS) zu erwäh­nen. Ers­te­re waren haupt­säch­lich in der Deutsch­schweiz aktiv und zeich­ne­ten sich durch einen kom­pro­miss­lo­sen Femi­nis­mus aus, der sich eben auch in der Befür­wor­tung kom­plet­ter Frei­heit der Frau­en über ihren Kör­per – und somit unbe­schränk­te Schwan­ger­schafts­ab­brü­che – wie­der­fand. Die SVSS hin­ge­gen ver­folg­te eine gemäs­sig­te­re Linie und streb­te als obers­tes Ziel an, die bestehen­de Geset­zes­la­ge zu libe­ra­li­sie­ren. Die­se unte­schied­li­che Hal­tung trat nicht zuletzt her­vor, als die SVSS Mit­te der 1970er Jah­re ihre Volks­in­itia­ti­ve zur kom­plet­ten Straf­lo­sig­keit des Schwan­ger­schafts­ab­bruchs zu Guns­ten einer gemäs­sig­te­ren Vari­an­te, der Fris­ten­lö­sungs­in­itia­ti­ve, zurück­zog. Letz­te­re sah vor, Schwan­ger­schafts­ab­brü­che bis zur zwölf­ten Woche zu lega­li­sie­ren. Die FBB hin­ge­gen streb­te nach wie vor eine kom­plet­te Straf­frei­heit bei Schwan­ger­schafts­ab­brü­chen an.

Auch das gemäs­sig­te­re Initia­tiv­be­geh­ren wur­de nach einem sehr inten­siv und emo­tio­nal geführ­ten Abstim­mungs­kampf 1977 ver­wor­fen (51.7 % Nein-Stim­men, Vgl. Abbil­dung 1). In den dar­auf­fol­gen­den Jah­ren wech­sel­ten sich Unter­schrif­ten­samm­lun­gen und halb­her­zi­ge Ver­su­che auf par­la­men­ta­ri­scher Ebe­ne ab. Die Geset­zes­la­ge zum Schwan­ger­schafts­ab­bruch zu libe­ra­li­sie­ren, schien ein Ding der Unmöglichkeit.

Abbildung 1: Ja-Stimmenanteil bei der nationalen Abstimmung «Für die Fristenlösung (beim Schwangerschaftsabbruch)», 25. September 1977 (Anmerkung: Der Kanton Jura wurde erst 1979 zum Schweizer Kanton)

1993 dann wur­de der ent­schei­den­de par­la­men­ta­ri­sche Vor­stoss sei­tens SP ein­ge­reicht. Im Par­la­ment wur­de die Vor­la­ge ver­schie­dent­lich bekämpft, auch der Bun­des­rat tat sich schwer, die­sem Anlie­gen zuzu­stim­men: «Schliess­lich – und das ist für den Bun­des­rat das wich­tigs­te Argu­ment – ver­mag der Wil­le der schwan­ge­ren Frau allein, ohne, dass wei­te­re objek­ti­ve Kri­te­ri­en vor­lie­gen, die Abtrei­bung nicht zu recht­fer­ti­gen», hiess es 1998 noch aus den Rei­hen des höchs­ten poli­ti­schen Gre­mi­ums der Schweiz. Dass der Bun­des­rat 2002 schluss­end­lich doch die Ja-Paro­le zur Vor­la­ge fass­te, hing wohl auch mit den real­po­li­ti­schen Ent­wick­lun­gen zusam­men: denn die Anzahl Abtrei­bun­gen in der Schweiz nahm kon­stant ab. Die­ser Rück­gang ist nebst der Ver­brei­tung von Ver­hü­tungs­mit­teln in den 1960er Jah­ren auch auf die Sexu­al­erzie­hung in den Schu­len und die zuneh­men­de Anzahl von Fami­li­en­pla­nungs­stel­len zurück­zu­füh­ren. Hin­zu kam auch, dass es in den meis­ten Kan­to­nen bereits mög­lich war, legal abzu­trei­ben – es wur­den nahe­zu kei­ne Ver­ur­tei­lun­gen mehr für ille­ga­le Schwan­ger­schafts­ab­brü­che aus­ge­spro­chen. Vor die­sem Hin­ter­grund stimm­te das Schwei­zer Stimm­volk 2002 dann mit 72.2% Ja-Stim­men deut­lich für die Ein­füh­rung einer Fris­ten­re­ge­lung und somit zur voll­stän­di­gen Lega­li­sie­rung des Schwan­ger­schafts­ab­bruchs – bis zur zwölf­ten Woche (vgl. Abbil­dung 2).

Abbildung 2: Ja-Stimmenanteil bei der nationalen Abstimmung zur Fristenregelung, 2. Juni 2002

 
Am Ziel und doch noch meilenweit entfernt?

Den­noch stellt sich nach wie vor die Fra­ge, ob denn nun der Frau­en­kör­per auto­nom vom ent­spre­chen­den Indi­vi­du­um regiert wird oder nicht, denn: nach der zwölf­ten Woche bestimmt nach wie vor eine Dritt­per­son, ob eine Schwan­ger­schaft abge­bro­chen wer­den darf oder nicht. Die Tat­sa­che, dass die Anzahl der durch­ge­führ­ten Schwan­ger­schafts­ab­brü­che im Lau­fe der Jah­re so oder so abnahm und eher auf ver­stärk­te Infor­ma­ti­on wie auch Ver­füg­bar­keit von Ver­hü­tungs­mit­teln zurück­zu­füh­ren ist, spricht stark dafür, dass auch eine kom­plet­te Lega­li­sie­rung von Schwan­ger­schafts­ab­brü­chen nicht zu einem enor­men Anstieg von sol­chen füh­ren wür­de. Dem zuwi­der lau­fen auch die bei­den Volks­in­itia­ti­ven, wel­che die SVP Frau­en Schweiz im Dezem­ber 2021 lan­cier­ten: Sie möch­ten einer­seits eine Bedenk­frist vor Abtrei­bun­gen ein­füh­ren und ande­rer­seits Abtrei­bun­gen ab dem Zeit­punkt kom­plett ver­bie­ten, ab dem der Fötus auch aus­ser­halb des Mut­ter­leibs über­le­ben könn­te. Dass die­se Initia­ti­ven zu einer Abnah­me bei Schwan­ger­schafts­ab­brü­chen füh­ren wür­den, wird durch die his­to­ri­sche Ent­wick­lung arg in Fra­ge gestellt. Schliess­lich hat sich ja auch die Befürch­tung des Bun­des­ra­tes in den 1970er Jah­ren, dass «das Inter­es­se der Schwan­ge­ren so sehr im Vor­der­grund» ste­he, dass «die Schutz­wür­dig­keit und Schutz­not­wen­dig­keit eines völ­lig wehr­lo­sen, wer­den­den Men­schen leicht über­se­hen» wer­de, bis heu­te so nicht erhärtet.

Schwan­ger­schafts­ab­brü­che in der Schweiz
In der Schweiz exis­tie­ren seit 2002 zwei Arten des lega­len Schwan­ger­schafts­ab­bruchs. Einer­seits gilt die Fris­ten­re­ge­lung, die besagt, dass wäh­rend der ers­ten zwölf Wochen nach der letz­ten Peri­ode von einer qua­li­fi­zier­ten medi­zi­ni­schen Fach­per­son (zur Berufs­aus­übung zuge­las­se­ne Ärz­tin oder zuge­las­se­ner Arzt) ein Schwan­ger­schafts­ab­bruch vor­ge­nom­men wer­den darf. Dies jedoch nur auf schrift­li­ches Gesuch der Frau hin, die dar­in eine Not­la­ge gel­tend macht (Art. 119 Abs. 2 StGB). Gemäss Indi­ka­ti­ons­re­ge­lung ist ein Schwan­ger­schafts­ab­bruch eben­falls straf­los, wenn die­ser in Zustim­mung der schwan­ge­ren Frau nach Ablauf der Frist von zwölf Wochen vor­ge­nom­men wird, sofern «damit von der schwan­ge­ren Frau die Gefahr einer schwer­wie­gen­den kör­per­li­chen Schä­di­gung oder einer schwe­ren see­li­schen Not­la­ge abge­wen­det wer­den kann.» Hier gilt: je wei­ter fort­ge­schrit­ten die Schwan­ger­schaft, «umso grös­ser» muss die­se Not­la­ge sein (Art. 119 Abs. 1 StGB). 2020 wur­den in der Schweiz ins­ge­samt rund 1100 Schwan­ger­schaf­ten abge­bro­chen (Bun­des­amt für Sta­tis­tik, 2021).

Refe­renz: Storz, Anna (2021). Recht auf Schwan­ger­schafts­ab­bruch der (selbst)bestimmten Frau. In Dem Lauf­git­ter ent­kom­men: Frau­en­for­de­run­gen im eid­ge­nös­si­schen Par­la­ment seit 1950, hg. Mar­lè­ne Ger­ber & Anja Hei­del­ber­ger (177–202). Zürich, Genf: Seis­mo Verlag.

Bild: unsplash.com

 

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