Bürgerrecht und Namensrecht: die Suche nach dem gleichstellungspolitischen Ei des Kolumbus

Im Ver­gleich zu ande­ren gleich­stel­lungs­po­li­ti­schen Zie­len scheint die for­ma­le Gleich­stel­lung von Frau­en und Män­nern im Bür­ger- und im Namens­recht eine eher simp­le Sache zu sein – eine Geset­zes­än­de­rung mit viel Sym­bol­cha­rak­ter und ver­gleichs­wei­se klei­nen real­po­li­ti­schen Aus­wir­kun­gen. Dass sie des­halb ein­fach und schnell umge­setzt wer­den konn­te, ist jedoch ein Trugschluss.

Die Idee, dass für Frau­en und Män­ner unter­schied­li­che Ein­bür­ge­rungs­vor­aus­set­zun­gen gel­ten sol­len, mutet heu­te fast absurd an. Mitt­ler­wei­le wohl eben­so selbst­ver­ständ­lich ist, dass Frau­en wie Män­ner glei­cher­mas­sen dar­über bestim­men kön­nen sol­len, was für einen Namen sie tra­gen wol­len. Die Vor­stel­lung, dass sich die Frau selbst in so indi­vi­du­el­len Per­sön­lich­keits­rech­ten dem männ­li­chen Fami­li­en­ober­haupt unter­zu­ord­nen habe, scheint in unse­rer Gesell­schaft unwie­der­bring­lich veraltet.

Gera­de im Ver­gleich zu ande­ren gleich­stel­lungs­po­li­ti­schen Zie­len, etwa der bes­se­ren Ver­tre­tung von Frau­en in poli­ti­schen, wirt­schaft­li­chen und gesell­schaft­li­chen Füh­rungs­po­si­tio­nen, scheint die for­ma­le Gleich­stel­lung von Frau­en und Män­nern im Bür­ger- und im Namens­recht eine eher simp­le Sache zu sein. Dazu müs­sen nicht etwa Ver­ein­bar­keits­hür­den zwi­schen Beruf und Fami­lie abge­baut, Dis­kri­mi­nie­run­gen bei Löh­nen und Sozi­al­ver­si­che­run­gen auf­ge­löst und der Inat­trak­ti­vi­tät von Müt­tern für den Arbeits­markt ent­ge­gen­ge­wirkt wer­den. Nein, eine Geset­zes­än­de­rung genügt, damit die Regeln im Bür­ger- und im Namens­recht für Frau­en und Män­ner die­sel­ben sind. Eine Neue­rung mit viel Sym­bol­cha­rak­ter und ver­gleichs­wei­se klei­nen real­po­li­ti­schen Aus­wir­kun­gen – ein Klacks also? Mitnichten!

Gleichberechtigung seit 2013

Tat­säch­lich wur­den Män­ner und Frau­en im Hei­mat­recht und im Namens­recht erst 2013 gleich­be­rech­tigt – mehr als dreis­sig Jah­re nach der Ver­an­ke­rung des Gleich­stel­lungs­ar­ti­kels in der Bun­des­ver­fas­sung (vgl. Abb. 1). Bis dahin waren Frau­en gezwun­gen, bei der Hei­rat den Nach­na­men – gege­be­nen­falls als Teil eines Dop­pel­na­mens – sowie das Hei­mat­recht (Kan­tons- und Gemein­de­bür­ger­recht) ihres Ehe­man­nes – allen­falls zusätz­lich zum eige­nen – zu über­neh­men, wäh­rend die Män­ner unein­ge­schränkt das soge­nann­te Stamm­hal­t­erpri­vi­leg genossen.

Abbildung 1: Meilensteine auf dem Weg in Richtung Gleichstellung der Geschlechter im Bürgerrecht sowie im Heimat- und Namensrecht ab 1950

Quelle: eigene Darstellung

Seit den ers­ten Zuge­ständ­nis­sen an die Schwei­zer Frau­en im Bür­ger­recht, näm­lich dass sie bei der Hei­rat mit einem Aus­län­der das Schwei­zer Bür­ger­recht behal­ten dür­fen, waren genau sech­zig Jah­re ver­gan­gen (vgl. Abb. 1). Wur­den in den 1950er-Jah­ren von den Her­ren Natio­nal­rä­ten Dop­pel­bür­ge­rin­nen noch mit den zuge­wand­ten Orten der Alten Eid­ge­nos­sen­schaft ver­gli­chen, um damit ein­her­ge­hen­den Befürch­tun­gen den Schre­cken zu neh­men, brauch­te es ab 1971 die Frau­en im Par­la­ment, allen vor­an die Gen­fer SP-Natio­nal­rä­tin Amé­lia Chris­ti­nat, um das Gleich­stel­lungs­an­lie­gen in die­sen Berei­chen vor­an­zu­trei­ben. Nichts­des­to­trotz ver­kann­ten die kon­ser­va­ti­ven Kräf­te die gleich­stel­lungs­po­li­ti­sche Bedeu­tung des Bür­ger- und des Namens­rechts und dach­ten nicht dar­an, die bild­haf­te Ein­heit der Fami­lie gegen aus­sen für die Per­sön­lich­keits­rech­te der Frau­en zu opfern. Die Kan­to­ne Genf und Basel-Stadt, die bereit waren, ihren Bür­ge­rin­nen bei der Hei­rat in einen ande­ren Kan­ton ihr Hei­mat­recht zu belas­sen, wur­den vom Bund zurückgepfiffen.

Internationale Zwänge

Nicht zuletzt brauch­te es inter­na­tio­na­le Zwän­ge, um in der Sache etwas zu bewe­gen. Dass die Schweiz ab 1953 ihre Frau­en bei der Ehe­schlies­sung mit einem Aus­län­der nicht mehr auto­ma­tisch aus­bür­ger­te, war haupt­säch­lich dem Umstand geschul­det, dass ande­re Staa­ten die­se Frau­en nicht sofort ein­bür­ger­ten und die Schweiz sie nicht staa­ten­los machen durf­te. Im rein inner­staat­lich rele­van­ten Hei­mat- und Namens­recht kamen inter­na­tio­na­le Zwän­ge aller­dings erst viel spä­ter auf, wes­halb die Frau­en hier auch bedeu­tend län­ger auf die Gleich­be­rech­ti­gung war­ten muss­ten. Die ers­ten Schrit­te wur­den mit der Ehe­rechts­re­vi­si­on in den 1980er-Jah­ren voll­zo­gen, wobei hier den Frau­en nur ermög­licht wur­de, ihren Namen und ihr Hei­mat­recht zusätz­lich zu jenem des Man­nes zu behal­ten. Alle wei­ter­ge­hen­den Reform­vor­schlä­ge wur­den vom Par­la­ment aus Angst vor der Refe­ren­dums­ab­stim­mung verworfen.

1994 fuhr die Schweiz für ihr dis­kri­mi­nie­ren­des Namens­recht eine Rüge des Euro­päi­schen Gerichts­hofs für Men­schen­rech­te (EGMR) ein. Die dar­auf­hin ein­ge­lei­te­te Anpas­sung der namens­recht­li­chen Bestim­mun­gen im Zivil­ge­setz­buch erlitt in den par­la­men­ta­ri­schen Schluss­ab­stim­mun­gen 2001 jedoch Schiff­bruch. Die neue Rege­lung hat­te es Ehe­leu­ten frei­stel­len wol­len, einen der bei­den Namen als Fami­li­en­na­men zu wäh­len, ganz auf einen Fami­li­en­na­men zu ver­zich­ten oder einen Dop­pel­na­men anzu­neh­men. Dem bür­ger­li­chen Lager, ins­be­son­de­re den bür­ger­li­chen Män­nern, erschie­nen die­se vie­len Mög­lich­kei­ten zu kom­pli­ziert, womit vor­erst alles beim Alten blieb.

Das Ei des Kolumbus

Erst nach­dem die Schweiz 2010 erneut Schel­te aus Strass­burg kas­siert hat­te, wur­de die Gleich­stel­lung im Hei­mat- und im Namens­recht Tat­sa­che. In Umset­zung einer par­la­men­ta­ri­schen Initia­ti­ve von Susan­ne Leu­ten­eg­ger Ober­hol­zer (sp, BL; Pa.Iv. 03.428) beschlos­sen die eid­ge­nös­si­schen Räte 2011 die heu­te gel­ten­de Rege­lung: Bei­de Ehe­part­ner behal­ten ihren Namen, aus­ser sie wäh­len einen der bei­den Namen zum Fami­li­en­na­men. Die Kin­der erhal­ten den Fami­li­en­na­men oder einen der bei­den Namen der Eltern sowie das Hei­mat­recht des­sel­ben Eltern­teils. Die Ehe hat kei­ne Aus­wir­kun­gen mehr auf das Hei­mat­recht. Mit die­ser eigent­lich nahe­lie­gen­den, geschlechts­neu­tra­len Rege­lung scheint das sprich­wört­li­che Ei des Kolum­bus gefun­den: eine (über­ra­schend) ein­fa­che Lösung für ein zunächst unlös­bar schei­nen­des Problem.


Refe­renz: Frick, Karin (2021). Im Ziel winkt das Ei des Kolum­bus: Der erfolg­rei­che Gleich­stel­lungs­ma­ra­thon im Bür­ger­recht, Hei­mat­recht und Namens­recht. In Dem Lauf­git­ter ent­kom­men: Frau­en­for­de­run­gen im eid­ge­nös­si­schen Par­la­ment seit 1950, hg. Mar­lè­ne Ger­ber & Anja Hei­del­ber­ger (89–112). Zürich, Genf: Seis­mo Verlag.

Bild: unsplash.com

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