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Schwangerschaftsabbruch: Fremd- und selbstbestimmte Frauenkörper

Anna Storz
22nd Dezember 2021

Das zähe Ringen um die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs dauerte in der Schweiz mehrere Jahrzehnte an. Mittlerweile ist ein solcher den Frauen in der Schweiz zwar unter bestimmten Bedingungen erlaubt – feministische Kreise sehen den Frauenkörper mit der aktuell geltenden Rechtsordnung aber immer noch als fremdbestimmt an. Zu recht?

«Regierungsunfähig». So lautete das eigens auferlegte Verdikt des Königs von Belgien in den 1990er Jahren. Auslöser für seine Niederlegung der Arbeit war die damals eingeführte Fristenregelung, also die Legalisierung eines Schwangerschaftsabbruchs bis zu einer bestimmten Schwangerschaftswoche. Während in einigen Ländern Europas auch heute noch gegen die bestehende Rechtsordnung bezüglich Schwangerschaftsabbrüchen demonstriert wird, scheinen hierzulande die Wogen geglättet. Denn seit 2002 darf in der Schweiz bis zur zwölften Schwangerschaftswoche legal abgetrieben werden und dies alleinig auf Entscheid der betroffenen Frau hin (siehe Infobox). Feministische Kreise kritisieren die aktuelle Regelung aber nach wie vor. Ein kurzer Blick zurück liefert eine mögliche Erklärung, weshalb dem so ist.

Zähes Ringen bis zum Teilsieg

1942 wurde mit dem neu geschaffenen Strafgesetzbuch (StGB) die Gesetzeslage zum Schwangerschaftsabbruch national geregelt, nämlich indem ein Verbot verhängt wurde. Erst mit der Einführung des Frauenstimm- und wahlrechts wurden in den 1970er Jahren politische Vorstösse zum Thema eingereicht, respektive die Streichung der entsprechenden Paragrafen im StGB gefordert. Aber auch in der ausserparlamentarischen Arena regte sich der Widerstand. Hierbei sind insbesondere die Frauenbefreiungsbewegung (FBB) und die Schweizerische Vereinigung für die Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs (SVSS) zu erwähnen. Erstere waren hauptsächlich in der Deutschschweiz aktiv und zeichneten sich durch einen kompromisslosen Feminismus aus, der sich eben auch in der Befürwortung kompletter Freiheit der Frauen über ihren Körper – und somit unbeschränkte Schwangerschaftsabbrüche – wiederfand. Die SVSS hingegen verfolgte eine gemässigtere Linie und strebte als oberstes Ziel an, die bestehende Gesetzeslage zu liberalisieren. Diese unteschiedliche Haltung trat nicht zuletzt hervor, als die SVSS Mitte der 1970er Jahre ihre Volksinitiative zur kompletten Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs zu Gunsten einer gemässigteren Variante, der Fristenlösungsinitiative, zurückzog. Letztere sah vor, Schwangerschaftsabbrüche bis zur zwölften Woche zu legalisieren. Die FBB hingegen strebte nach wie vor eine komplette Straffreiheit bei Schwangerschaftsabbrüchen an.

Auch das gemässigtere Initiativbegehren wurde nach einem sehr intensiv und emotional geführten Abstimmungskampf 1977 verworfen (51.7 % Nein-Stimmen, Vgl. Abbildung 1). In den darauffolgenden Jahren wechselten sich Unterschriftensammlungen und halbherzige Versuche auf parlamentarischer Ebene ab. Die Gesetzeslage zum Schwangerschaftsabbruch zu liberalisieren, schien ein Ding der Unmöglichkeit.

Abbildung 1: Ja-Stimmenanteil bei der nationalen Abstimmung «Für die Fristenlösung (beim Schwangerschaftsabbruch)», 25. September 1977 (Anmerkung: Der Kanton Jura wurde erst 1979 zum Schweizer Kanton)

1993 dann wurde der entscheidende parlamentarische Vorstoss seitens SP eingereicht. Im Parlament wurde die Vorlage verschiedentlich bekämpft, auch der Bundesrat tat sich schwer, diesem Anliegen zuzustimmen: «Schliesslich – und das ist für den Bundesrat das wichtigste Argument – vermag der Wille der schwangeren Frau allein, ohne, dass weitere objektive Kriterien vorliegen, die Abtreibung nicht zu rechtfertigen», hiess es 1998 noch aus den Reihen des höchsten politischen Gremiums der Schweiz. Dass der Bundesrat 2002 schlussendlich doch die Ja-Parole zur Vorlage fasste, hing wohl auch mit den realpolitischen Entwicklungen zusammen: denn die Anzahl Abtreibungen in der Schweiz nahm konstant ab. Dieser Rückgang ist nebst der Verbreitung von Verhütungsmitteln in den 1960er Jahren auch auf die Sexualerziehung in den Schulen und die zunehmende Anzahl von Familienplanungsstellen zurückzuführen. Hinzu kam auch, dass es in den meisten Kantonen bereits möglich war, legal abzutreiben – es wurden nahezu keine Verurteilungen mehr für illegale Schwangerschaftsabbrüche ausgesprochen. Vor diesem Hintergrund stimmte das Schweizer Stimmvolk 2002 dann mit 72.2% Ja-Stimmen deutlich für die Einführung einer Fristenregelung und somit zur vollständigen Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs – bis zur zwölften Woche (vgl. Abbildung 2).

Abbildung 2: Ja-Stimmenanteil bei der nationalen Abstimmung zur Fristenregelung, 2. Juni 2002

 
Am Ziel und doch noch meilenweit entfernt?

Dennoch stellt sich nach wie vor die Frage, ob denn nun der Frauenkörper autonom vom entsprechenden Individuum regiert wird oder nicht, denn: nach der zwölften Woche bestimmt nach wie vor eine Drittperson, ob eine Schwangerschaft abgebrochen werden darf oder nicht. Die Tatsache, dass die Anzahl der durchgeführten Schwangerschaftsabbrüche im Laufe der Jahre so oder so abnahm und eher auf verstärkte Information wie auch Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln zurückzuführen ist, spricht stark dafür, dass auch eine komplette Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen nicht zu einem enormen Anstieg von solchen führen würde. Dem zuwider laufen auch die beiden Volksinitiativen, welche die SVP Frauen Schweiz im Dezember 2021 lancierten: Sie möchten einerseits eine Bedenkfrist vor Abtreibungen einführen und andererseits Abtreibungen ab dem Zeitpunkt komplett verbieten, ab dem der Fötus auch ausserhalb des Mutterleibs überleben könnte. Dass diese Initiativen zu einer Abnahme bei Schwangerschaftsabbrüchen führen würden, wird durch die historische Entwicklung arg in Frage gestellt. Schliesslich hat sich ja auch die Befürchtung des Bundesrates in den 1970er Jahren, dass «das Interesse der Schwangeren so sehr im Vordergrund» stehe, dass «die Schutzwürdigkeit und Schutznotwendigkeit eines völlig wehrlosen, werdenden Menschen leicht übersehen» werde, bis heute so nicht erhärtet.

Schwangerschaftsabbrüche in der Schweiz
In der Schweiz existieren seit 2002 zwei Arten des legalen Schwangerschaftsabbruchs. Einerseits gilt die Fristenregelung, die besagt, dass während der ersten zwölf Wochen nach der letzten Periode von einer qualifizierten medizinischen Fachperson (zur Berufsausübung zugelassene Ärztin oder zugelassener Arzt) ein Schwangerschaftsabbruch vorgenommen werden darf. Dies jedoch nur auf schriftliches Gesuch der Frau hin, die darin eine Notlage geltend macht (Art. 119 Abs. 2 StGB). Gemäss Indikationsregelung ist ein Schwangerschaftsabbruch ebenfalls straflos, wenn dieser in Zustimmung der schwangeren Frau nach Ablauf der Frist von zwölf Wochen vorgenommen wird, sofern «damit von der schwangeren Frau die Gefahr einer schwerwiegenden körperlichen Schädigung oder einer schweren seelischen Notlage abgewendet werden kann.» Hier gilt: je weiter fortgeschritten die Schwangerschaft, «umso grösser» muss diese Notlage sein (Art. 119 Abs. 1 StGB). 2020 wurden in der Schweiz insgesamt rund 1100 Schwangerschaften abgebrochen (Bundesamt für Statistik, 2021).


Referenz: Storz, Anna (2021). Recht auf Schwangerschaftsabbruch der (selbst)bestimmten Frau. In Dem Laufgitter entkommen: Frauenforderungen im eidgenössischen Parlament seit 1950, hg. Marlène Gerber & Anja Heidelberger (177–202). Zürich, Genf: Seismo Verlag.

Bild: unsplash.com