Berner Wahlen 2024 – weiter nach links

Bei den Wahlen in der Stadt Bern wurden historische Tiefst- und Höchstwerte eingefahren. Der Wahlsieg gehört dem Bündnis RotGrünMitte (RGM) und den Frauen. Die Analyse der Panaschierstimmen zeigt, welche Kandidierenden von der bürgerlichen Liste «Meh Farb für Bern» auch linke Wählerinnen und Wähler überzeugen konnten.

Anfang 2024 kündigte die damalige SP-Gemeinderätin Marieke Kruit an, sich um das Stadtpräsidium der Stadt Bern zu bewerben und den amtierenden Stadtpräsidenten, Alec von Graffenried von der Grünen Freien Liste, herauszufordern. Kurz darauf warfen auch die GLP-Nationalrätin Melanie Mettler und der SVP-Stadtrat Janosch Weyermann ihren Hut in den Ring.

Marieke Kruit wird erste Stadtpräsidentin Berns

Ihre Kandidatin, die bisherige SP-Gemeinderätin Marieke Kruit machte bereits im ersten Wahlgang alles klar: Sie holte 46,5 Prozent der Stimmen, Alec von Graffenried kam auf 26 Prozent. Den Kandidierenden der Bürgerlichen und Rechten kam einmal mehr nur die Statistenrolle zu. Angesichts der Deutlichkeit des Ergebnisses zog Alec von Graffenried seine Kandidatur zurück, ebenso Melanie Mettler und Janosch Weyermann. Der zweite Wahlgang fiel aus und Marieke Kruit war als erste Berner Stadtpräsidentin gewählt.

Zwei Bündnisse kämpften um die fünf Sitze in der Stadtregierung 

Für die Stadtregierung, in Bern Gemeinderat genannt, traten die RGM-Parteien trotz ihrer Divergenzen bei den Wahlen ums Stadtpräsidium mit einer vierköpfigen, gemeinsamen Wahlliste an. Neben den beiden Bisherigen, Alec von Graffenried und Marieke Kruit, kandidierten neu Ursina Anderegg vom Grünen Bündnis und der SP-Mann Matthias Aebischer.

Die bürgerlichen und rechten Parteien traten in den vergangenen Jahrzehnten getrennt zu den Gemeinderatswahlen an und blieben häufig chancenlos. 2024 kandidierten sie zum ersten Mal auf einer gemeinsamen Liste mit dem Namen «Meh Farb für Bärn» (GLP, Mitte, FDP, EVP, SVP). Dank dieser Verbindung konnte sich das Mitte-Rechts-Bündnis gute Chancen auf ein zweites Mandat ausrechnen, auch wenn die Verbindung mit der SVP bei Teilen der GLP für Unruhe sorgte. 

Linksgrüne Mehrheit in der Stadtregierung

Bei den Gemeinderatswahlen 2024 steigerte sich die RGM-Liste gegenüber den letzten Wahlen um 3,2 Prozentpunkte auf 66,9 Prozent Stimmen, was für RGM einen erneuten Höchststand darstellt. Die «Meh Farb»-Liste schnitt dafür um 1,4 Prozentpunkte schlechter ab als die bürgerliche und die Mitte-Liste von 2020 gemeinsam und kam noch auf 33,1 Prozent. Es gelang der «Meh Farb»-Liste nicht, ein zweites Mandat zu holen. Ein Blick auf die Mandatsverteilung zeigt, dass RGM exakt 4,01 Mandate zu Gute hatte und somit erstmals vier Vollmandate erreichte. Die «Meh Farb»-Liste kam auf 1,99 und verpasst somit das zweite Mandat sehr knapp. Nur gut 700 Stimmen oder 140 Wahllisten fehlten dazu.

Vertiefte Analysen dürften zeigen, ob das Wahlbündnis mit klingendem Slogan und guten Köpfen, aber ohne inhaltliche Plattform, doch etwas zu wenig war, um die Wählenden von sich zu überzeugen.

Ursina Anderegg mit den meisten RGM-Stimmen

Zwischen den beiden Wahllisten wurde nur wenig panaschiert: Die Stimmen, welche die RGM-Liste erhalten hat, stammten zu 91 Prozent von RGM-Wahllisten; nur zwei Prozent der RGM-Stimmen kamen von der «Meh Farb»-Liste.

Mit Blick auf die Kandidierenden auf der RGM-Liste konkretisiert sich dies wie folgt: Alec von Graffenried erhielt relativ gesehen am meisten Panaschierstimmen von der «meh Farb»-Liste (1’162) und Ursina Anderegg am wenigsten (223). Bezogen auf die rund 138’000 Stimmen für RGM sind diese Differenzen ein Klacks. Den Ausschlag für die Reihenfolge der gewählten RGM-Kandidierenden gaben die RGM-Wählenden selber: Diese wählten (und kumulierten) Ursina Anderegg am meisten (28’886 Stimmen), ihr folgte eng auf den Fersen Marieke Kruit mit 28’615 RGM-Stimmen (weil sie bei den «Listen ohne Listenbezeichnung» am meisten punktete, holte sie ergebnismässig den Spitzenplatz von RGM). Etwas weniger RGM-Stimmen erhielten Matthias Aebischer (26’312) und Alec von Graffenried (24’572).

Melanie Mettler auf RGM-Listen stark panaschiert

Etwas zahlreicher waren die Stimmen, welche von RGM-Wählenden an die «meh Farb»-Liste gingen, selbst wenn die unterschiedliche Stärke der Wahllisten in Betracht gezogen werden. Dies hängt vor allem mit der GLP-Nationalrätin Melanie Mettler zusammen, welche mit Abstand die meisten Panaschierstimmen von RGM (3’637) erhielt. Deutlich weniger gut im Kurs waren bei den RGM-Wählenden Béatrice Wertli, Mitte (949 RGM-Panaschierstimmen), Bettina Jans-Troxler, EVP (563), Florence Pärli, FDP (558) und Janosch Weyermann, SVP (138).

Dank der Wahl von Melanie Mettler in den Gemeinderat haben die Frauen dort wieder – nach 1992 und 2008 – die Mehrheit inne.

Linksrutsch bestätigt

Dass das Ergebnis der Gemeinderatswahlen nicht nur ein Effekt von Parteienbündnissen war, sondern eine erneut etwas nach links gerutschte Parteienlandschaft widerspiegelt, zeigen die Wahlen in den Stadtrat. Die rotgrünen Parteien (RGM und kleine Linke) steigerten sich um ein Mandat und holten zusammen 49 der achtzig Mandate, was das beste Ergebnis seit vielen Jahrzehnten darstellt. Im Vergleich zu 1992 ist es eine Steigerung um zwölf Mandate. Zählen wir noch die mit der Linken verbundene Liste «Tier im Fokus» dazu, hat das rotgrüne Lager nun fünfzig Mandate inne.

Die grosse Abräumerin bei den jüngsten Wahlen war die SP. Sie steigerte sich gegenüber 2020 um 5 auf 26 Mandate. Zusammen mit der JUSO, die einen ihrer Sitze verloren haben, kommt die Fraktion nun auf 27 Sitze. Das ist für SP/JUSO das beste Ergebnis seit 2000. Die SP ist klar die stärkste Partei der Stadt; sie wurde von fast jeder dritten Person gewählt. Gut abgeschnitten hat auch das GB und die Jungpartei JA!: Trotz leichter Stimmenverluste konnte die GB/JA!-Fraktion ihre 13 Mandate halten und stellen weiterhin die zweitstärkste Fraktion dar.

Schwächer geworden auf der linken Seite sind die AL und die GFL (-je 1 Mandat). Die sechs Mandate der GFL (Parteistärke: 7,6 Prozent) sind ihr schlechtestes Ergebnis seit 2004.

GLP und SVP verlieren

Auf bürgerlich-rechter Seite gab es nur eine Gewinnerin: Die Mitte (ehem. CVP und BDP). Sie steigerte sich auf fünf Mandate (+1). FDP/jf konnten ihre Mandatszahl und ihren Stimmenanteil halten, wobei der Verlust des einzigen Mandates der Jungfreisinnigen durch einen Mandatsgewinn der FDP kompensiert werden konnte. Gemeinderatskandidatin Florence Pärli, welche als Jungfreisinnige für den Stadtrat kandidierte, scheidet aber damit aus dem Stadtrat aus.

Nach einem Mandatsverlust erreichte die SVP mit sechs Mandaten und einer Parteistärke von 7,9 Prozent das schlechteste Ergebnis seit über fünfzig Jahren. Grösste Verliererin war die GLP; sie vermochte die beiden Verluste während der Legislatur (zu SP und zu GFL) nicht zu kompensieren und hat noch sechs Mandate. Stimmenmässig verlor sie 2,4 Prozentpunkte (auf 10,7 Prozent). Ob die schlechte Mobilisierung der GLP mit dem Wahlbündnis mit der SVP zu tun hat, müsste noch vertieft untersucht werden.

Immer noch klare Frauenmehrheit

Nach der phänomenalen Steigerung der Frauenrepräsentation bei den Stadtratswahlen von 2020 auf siebzig Prozent ging der Frauenanteil 2024 auf gut sechzig Prozent zurück. Gegenüber dem Stand der Frauenrepräsentation Ende der Legislatur sind diese sechzig Prozent gleichwohl noch eine kleine Steigerung.

Wie in anderen kommunalen, kantonalen und eidgenössischen Parlamenten zeigt sich auch bei den jüngsten Stadtratswahlen dasselbe parteipolitisches Verteilungsmuster der Frauen und Männer: Auf den Wahllisten der Grünen und der Linken werden überdurchschnittlich viele Frauen gewählt. Je mehr rechts sich eine Partei positioniert, umso geringer ist der Frauenanteil.

Bei den jüngsten Stadtberner Parlamentswahlen wurden beim Grünen Bündnis und der JA! – erneut – ausschliesslich Frauen gewählt. Bei der SP/JUSO, bei der auch eine nonbinäre Person gewählt wurde, machten die 14 gewählten Frauen mehr als die Hälfte der Gewählten aus. Prozentual deutlich in der Mehrheit waren die gewählten Frauen bei der GFL und der GLP, sowie bei der Mitte (zwischen 66 Prozent und 80 Prozent). Gesunken ist der Frauenanteil dagegen bei der FDP (von 88 Prozent auf 38 Prozent). Die SVP lässt sich weiterhin ausschliesslich durch Männer vertreten.


Hinweis: Die Erstpublikation erfolgte am 28.11.24 auf Journal B.

Bild: flickr.com
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KategorienSchweizer PolitikThemen
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