Der Rechtspopulismus gewinnt weltweit an Einfluss und nutzt Krisen geschickt, um seine Popularität zu steigern. Eine neue Studie untersucht die Krisenstrategien der AfD während der Migrationskrise 2015 und der Corona-Pandemie und fragt, warum die Partei in der einen Krise Erfolg hatte, während sie in der anderen scheiterte.
Einleitung
Seit einiger Zeit gewinnt der Rechtspopulismus in zahlreichen Ländern an Boden und bedroht durch seine antipluralistische Haltung die demokratischen Institutionen. In ihrer Rhetorik stellen Populist:innen «das Volk» in der Regel einer «abgehobenen Elite» gegenüber, die sie für die verschiedensten Probleme verantwortlich machen. Krisen jeder Art bieten eine gute Gelegenheit zur Verbreitung dieses Narrativs. Allerdings stellen Krisen keine objektiven Realitäten dar, sondern werden im politischen Diskurs «konstruiert». Aus diesem Grund praktizieren Populist:innen regelmässig «Krisenperformance», das heisst sie versuchen, ein kontroverses Ereignis als schwere Krise darzustellen und die Verantwortung dafür der Regierung zuzuschreiben.
Vor diesem Hintergrund hätte die Corona-Pandemie eine ideale Gelegenheit für Populist:innen sein können, ihre Unterstützung in der Bevölkerung zu steigern. Allerdings zeigen Umfragen das Gegenteil: Die Rechtspopulist:innen haben nicht so von der Coronakrise profitiert, wie es bei anderen Krisen der Fall war. Deshalb hat sich ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung des IDHEAP mit der Frage beschäftigt, welche Krisen sich in der Vergangenheit besonders gut für eine Vereinnahmung durch Populist:innen geeignet haben und welche nicht und worin die Gründe dafür liegen.
Forschungsansatz
Um diese Frage zu beantworten, konzentrierte sich das Team auf die deutsche rechtspopulistische Partei Alternative für Deutschland (AfD), eine der prominentesten Parteien dieser Art in Europa, und untersuchte ihre Krisenperformance sowohl während der europäischen Migrationskrise (2015-2016) als auch während der Coronakrise (2020-2021). Die Analyse der Krisenperformance ein und derselben Partei während zwei unterschiedlicher Krisen hat den Vorteil, dass zahlreiche Faktoren, die diese Performance möglicherweise beeinflussen, konstant bleiben; ein Umstand, der die Identifizierung erklärender Faktoren erleichtert. Dazu wurde eine qualitative Inhaltsanalyse von mehr als 400 Pressemitteilungen der AfD mithilfe der Software MAXQDA durchgeführt. Dieser Ansatz ermöglicht eine systematische, regelbasierte und intersubjektiv nachvollziehbare Textanalyse. Definitionen und Ankerbeispiele helfen dabei, die unterschiedlichen Textteile in theoretische Kategorien einzuteilen.
Ergebnisse und Auswirkungen
Die Analyse zeigt, dass die AfD sofort ein eingängiges Krisennarrativ für die Flüchtlingskrise entwickelt hatte, sie mit anderen Krisen verknüpfte und einfache politische Alternativen (wie Massenabschiebungen) zur Lösung der Krise anbot. Ihre Performance während der Coronakrise war hingegen ganz anders. Tatsächlich hat die AfD ihr Krisennarrativ mehrfach geändert und sich zum Teil widersprüchlich geäussert (beispielsweise wurden Massentests zunächst als sehr wirksame Lösung dargestellt, dann aber nach kurzem als Zwangsmassnahme abgelehnt). Tabelle 1 fasst die wichtigsten Unterschiede zusammen.
Tabelle 1 | Wesentliche Unterschiede zwischen den Krisenperformances der AfD
Theoretische Kategorie | Flüchtlingskrise | Coronakrise |
---|---|---|
Anzahl der Krisennarrative | 1 (Flüchtlinge sind eine kulturelle und wirtschaftliche Bedrohung für Deutschland) | 3 (langsame und zögerliche Reaktion der Regierung; verheerende wirtschaftliche Auswirkungen der Lockdowns; Grundrechtsverletzungen) |
Verknüpfung zu anderen Krisen | 5 (wirtschaftliche Misserfolge; Probleme der öffentlichen Ordnung; Drogenprobleme; Eurokrise; Energiewende) | 1 (Scheitern der Migration) |
Gegenüberstellung von Elite und Volk | Ja (anhand zahlreicher Beispiele) | Ja (mit sehr wenigen anschaulichen Beispielen) |
Vorschlag alternativer politischer Strategien | Provokant und einfach | Nuancierter (und teilweise widersprüchlich) |
Diese Unterschiede lassen sich durch die unterschiedliche «Distanz» zwischen der jeweiligen Krise und der Bevölkerung erklären, die nach der «Policy Feedback Theory» die Fähigkeit der Öffentlichkeit beeinflusst, politische Ereignisse zu interpretieren. Die Migrationskrise war vor allem ein Medienereignis – nur sehr wenige Menschen waren direkt betroffen. Dies verlieh der AfD einen grossen Handlungsspielraum für Übertreibungen und Falschaussagen (beispielsweise über die Kriminalitätsrate unter Flüchtlingen). Während der Coronakrise war der Interpretationsspielraum der AfD im Vergleich deutlich kleiner, weil die Bevölkerung von der Krise direkt betroffen war und die Aussagen der Politik daher viel leichter überprüfen oder bewerten konnte.
Das Hauptergebnis der Studie ist also, dass die «Distanz» oder «Nähe» einer Krise zur Bevölkerung darüber entscheidet, ob sich die Krise dazu eignet, populistisch genutzt zu werden. Die Studienergebnisse ermöglichen es, Empfehlungen auszusprechen, wie sich politisch auf Rechtspopulist:innen reagieren lässt. Politischen Entscheidungsträger:innen wird einerseits empfohlen, der Bevölkerung die Auswirkungen einer Krise deutlich zu erklären (anstatt sie kleinzureden) und andererseits, die von populistischen Akteuren vorgeschlagenen häufig unrealistischen Lösungen zu kritisieren (anstatt sich allgemein über populistische Aussagen zu echauffieren).
Referenz:
- Hinterleitner, Markus, Valentina Kammermeier und Benjamin Moffitt (2023). How the Populist Radical Right Exploits Crisis: Comparing the Role of Proximity in the COVID-19 and Refugee Crises in Germany, West European Politics, Vorabfassung.
Bild: wikimedia commons