Kampagnenkommunikation: Weg von Zeitungsinseraten, hin zu sozialen Medien

Digi­ta­le Kam­pa­gnen­kom­mu­ni­ka­ti­on gewinnt in vie­len Demo­kra­tien zuneh­mend an Bedeu­tung. Im inter­na­tio­na­len Ver­gleich gilt die Schweiz als Nach­züg­le­rin in die­sem Bereich. Bedingt durch das poli­ti­sche Sys­tem und die poli­ti­sche Kul­tur spiel­ten sozia­le Medi­en lan­ge Zeit eine unter­ge­ord­ne­te Rol­le. Eine neue Unter­su­chung zeigt, dass sich die Kam­pa­gnen­dy­na­mi­ken ver­än­dert haben: Wäh­rend Zei­tungs­in­se­ra­te an Bedeu­tung ein­ge­büsst haben, ver­la­gert sich die Kam­pa­gnen­kom­mu­ni­ka­ti­on zuneh­mend in den digi­ta­len Raum.

Limitiert der direktdemokratische Kontext intensivere Onlinekampagnen?

«Social-Media-Platt­for­men sind für «Gesich­ter» gemacht, für Indi­vi­du­en und nicht für Grup­pen oder Orga­ni­sa­tio­nen» (Klin­ger & Russ­mann, 2017, S. 308) – so begrün­de­ten Kam­pa­gnen­ver­ant­wort­li­che in der Schweiz in den 2010er Jah­ren ihre gerin­ge Prä­senz in den sozia­len Netz­wer­ken. Abstim­mun­gen in der Schweiz sind, abge­se­hen von eini­gen weni­gen Aus­nah­men, kaum per­so­na­li­siert. Im Zen­trum ste­hen nicht Per­so­nen, son­dern Sach­the­men, die meist von Par­tei­en, Ver­bän­den und Orga­ni­sa­tio­nen vor­ge­bracht und befür­wor­tet oder abge­lehnt werden.

Hin­zu kommt, dass ledig­lich ein gerin­ger Teil der Bevöl­ke­rung sozia­le Netz­wer­ke als Infor­ma­ti­ons­quel­le über bevor­ste­hen­de Abstim­mun­gen nutzt. Statt­des­sen infor­mie­ren sich die meis­ten Bürger:innen wei­ter­hin über tra­di­tio­nel­le Medi­en (VOTO, 2022). Aus­ser­dem liegt das Durch­schnitts­al­ter der akti­ven Stimm­be­völ­ke­rung deut­lich über dem der klas­si­schen Social-Media-Nutzer:innen.  

Dies könn­ten für poli­ti­sche Akteu­re Grün­de sein, weni­ger stark über digi­ta­le Kanä­le zu kom­mu­ni­zie­ren. Limi­tie­ren also der direkt­de­mo­kra­ti­sche Kon­text und die poli­ti­sche Kul­tur in der Schweiz die Inten­si­vie­rung der Kam­pa­gnen­kom­mu­ni­ka­ti­on im digi­ta­len Raum? Und set­zen Par­tei­en, Ver­bän­de und Orga­ni­sa­tio­nen statt­des­sen wei­ter­hin auf tra­di­tio­nel­le Kommunikationskanäle?

Wie sich Kampagnenpraktiken über die Zeit verändert haben

Die­sen Fra­gen geht eine kürz­lich publi­zier­te Stu­die auf den Grund (Fischer, 2023). Dazu wur­den die von 2010 bis 2020 publi­zier­ten Zei­tungs­in­se­ra­te (in sechs natio­na­len Zei­tun­gen) und Social-Media-Bei­trä­ge auf Twit­ter und Face­book ana­ly­siert. Im Vor­feld einer Abstim­mung publi­zie­ren Par­tei­en, Ver­bän­de und Orga­ni­sa­tio­nen Zei­tungs­in­se­ra­te in diver­sen Zei­tun­gen, um die Stimm­be­völ­ke­rung von der eige­nen Posi­ti­on zu über­zeu­gen und zu mobi­li­sie­ren. Die Anzahl der Zei­tungs­in­se­ra­te gibt Auf­schluss dar­über, wie inten­siv ein Abstim­mungs­kampf geführt wird. Je höher die Anzahl, umso inten­si­ver die Kampagne.

Fol­gen­de Abbil­dung zeigt die Ent­wick­lung der Anzahl der Zei­tungs­in­se­ra­te von 1981 bis 2020. Bis Mit­te der 2000er Jah­re hat die Anzahl der ver­öf­fent­lich­ten Zei­tungs­in­se­ra­te leicht zuge­nom­men, bevor sie ab 2009 stark abge­nom­men hat.

Abb. 1: Anzahl der Zeitungsinserate von 1981 bis 2020 in den Zeitungen Tages-Anzeiger, NZZ, Blick, Le Temps, Le Matin and Tribune de Geneve (mit Trendlinie und Changepoint (2009)).

Abbil­dung: Alix d’A­gosti­no, DeFac­to • Daten­quel­le: VOTO

Eine mög­li­che Erklä­rung für den star­ken Rück­gang von Zei­tungs­in­se­ra­ten könn­te dar­in lie­gen, dass poli­ti­sche Akteu­re ihre stra­te­gi­schen Über­le­gun­gen geän­dert haben. Anstatt auf res­sour­cen­in­ten­si­ve Inse­ra­te­kam­pa­gnen zu set­zen, bie­ten digi­ta­le Kanä­le eine kos­ten­güns­ti­ge­re Alter­na­ti­ve – ins­be­son­de­re für weni­ger res­sour­cen­star­ke Par­tei­en und Orga­ni­sa­tio­nen mit einer jün­ge­ren oder digi­tal­af­fi­ne­ren Basis. Ande­rer­seits wäre es denk­bar, dass poli­ti­sche Akteu­re Inse­ra­te nicht mehr vor­der­grün­dig in natio­na­len, son­dern ver­mehrt in regio­na­len und loka­len Zei­tun­gen oder in Online­zei­tun­gen schalten.

Unab­hän­gig davon, wohin poli­ti­sche Akteu­re ihre Res­sour­cen ver­la­gert haben, die sie vor­mals für Zei­tungs­in­se­ra­te auf­wen­de­ten, haben sie ihre Akti­vi­tä­ten in den sozia­len Netz­wer­ken stark aus­ge­wei­tet. Abbil­dung 2 zeigt die Ent­wick­lung der Anzahl von Social-Media-Bei­trä­gen von 2010 bis 2020. Ins­be­son­de­re seit 2015 haben die Bei­trä­ge, die im Vor­feld einer Abstim­mung publi­ziert wer­den, stark zugenommen.

Abb. 2: Anzahl der Social-Media-Beiträge (Facebook und Twitter) von 2010 bis 2020.

Abbil­dung: Alix d’A­gosti­no, DeFac­to • Daten­quel­le: VOTO

Verlagert sich die Kommunikation in den digitalen Raum?

Ver­la­gert sich also die Kam­pa­gnen­kom­mu­ni­ka­ti­on zuneh­mend vom ana­lo­gen in den digi­ta­len Raum? Um die­se Fra­ge zu unter­su­chen, stüt­ze ich mich auf das Kon­zept der Kam­pa­gnen­in­ten­si­tät. In sei­nem ein­fluss­rei­chen Buch Direct Demo­cra­tic Choice zeigt Hans­pe­ter Krie­si (2005), dass die Inten­si­tät einer Kam­pa­gne mit dem erwar­te­ten Abstim­mungs­er­geb­nis zusam­men­hängt. Par­tei­en, Ver­bän­de und Orga­ni­sa­tio­nen inves­tie­ren mehr Res­sour­cen und publi­zie­ren mehr Zei­tungs­in­se­ra­te in Abstim­mun­gen, bei denen sie ein knap­pes Abstim­mungs­er­geb­nis erwar­ten. In ande­ren Wor­ten, je knap­per das Abstim­mungs­er­geb­nis, umso höher die Kam­pa­gnen­in­ten­si­tät – sprich, umso mehr Zei­tungs­in­se­ra­te wer­den publiziert.

Doch ist dies nach wie vor zutref­fend? Ver­öf­fent­li­chen Par­tei­en, Ver­bän­de und Orga­ni­sa­tio­nen in knap­pen Abstim­mun­gen wei­ter­hin mehr Inse­ra­te als in Abstim­mun­gen mit einem ein­deu­ti­ge­ren Ergeb­nis oder nut­zen sie dafür ver­mehrt ande­re Kanä­le? Fin­den wir also eine Kon­ti­nui­tät in den Kam­pa­gnen­prak­ti­ken oder haben sich die Dyna­mi­ken verändert?

Kontinuität oder veränderte Dynamiken?

Die Kam­pa­gnen­dy­na­mi­ken in der Schweiz haben sich bedeu­tend ver­än­dert. Wäh­rend poli­ti­sche Akteu­re von 1981 bis 2000 in knap­pen Abstim­mun­gen signi­fi­kant mehr Zei­tungs­in­se­ra­te ver­öf­fent­licht haben als in Abstim­mun­gen mit einem ein­deu­ti­ge­ren Aus­gang (Abb. 3(a)), trifft dies für den Zeit­raum von 2001 bis 2020 nicht mehr zu (Abb. 3 (b)). Zei­tungs­in­se­ra­te haben als Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ka­nal ins­be­son­de­re im letz­ten Jahr­zehnt (2010 bis 2020) an Bedeu­tung ein­ge­büsst (Abb. 3(c)).

Gleich­zei­tig publi­zie­ren Par­tei­en, Orga­ni­sa­tio­nen und Ver­bän­de von 2010 bis 2020 signi­fi­kant mehr Bei­trä­ge in sozia­len Netz­wer­ken, wenn sie ein knap­pes Abstim­mungs­er­geb­nis erwar­ten (Abb. 3 (d & e)).

Abb. 3: Erwartete Werte für die Anzahl der Zeitungsinserate von (a) 1981–2000, (b) 2001–2020 und (c) 2010–2020 sowie Anzahl Social-Media-Beiträge (Facebook und Twitter) von 2010–2020 über den Verlauf von nicht-knappen und knappen Abstimmungsergebnissen (am wenigsten knapp = 0.5, am knappsten = 1.0).

Abbil­dung: Alix d’A­gosti­no, DeFac­to • Daten­quel­le: VOTO

Forschung zu digitalen Kampagnen: wir stehen erst am Anfang

Ent­ge­gen der Erwar­tung, dass das direkt­de­mo­kra­ti­sche poli­ti­sche Sys­tem und die poli­ti­sche Kul­tur der Schweiz eine Inten­si­vie­rung von Online­kam­pa­gnen hemmt, sehen wir, dass sich die Kam­pa­gnen­dy­na­mi­ken erheb­lich ver­än­dert haben. Im Gegen­satz zu frü­he­ren Jahr­zehn­ten haben Zei­tungs­in­se­ra­te als Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ka­nal an Bedeu­tung ein­ge­büsst, wäh­rend gleich­zei­tig Par­tei­en, Ver­bän­de und Orga­ni­sa­tio­nen ihre Kam­pa­gnen­kom­mu­ni­ka­ti­on zuneh­mend (auch) in den digi­ta­len Raum ver­la­gern. Dies wirft diver­se Fra­gen auf: Wel­che Akteu­re ver­la­gern in wel­chen Abstim­mun­gen ihre Kom­mu­ni­ka­ti­on ver­stärkt ins Digi­ta­le und war­um? Wel­che Stra­te­gien ver­fol­gen poli­ti­sche Akteu­re und pas­sen sie ihre Kom­mu­ni­ka­ti­on an die Netz­werk­lo­gi­ken an? Wel­che Aus­wir­kun­gen haben die­se Ver­än­de­run­gen auf die Wähler:innen? Wie steht es um ihr poli­ti­sches Wis­sen und den Mei­nungs­bil­dungs­pro­zess in die­sem neu­en Umfeld? All die­se Fra­gen zei­gen, dass die For­schung zur digi­ta­len Kam­pa­gnen­kom­mu­ni­ka­ti­on und deren Aus­wir­kun­gen erst am Anfang steht.


Hin­weis: Die­ser Bei­trag ist die schrift­li­che Kurz­fas­sung des fol­gen­den Artikels:

  • Fischer, M. (2023).  From news­pa­pers to social media? Chan­ging dyna­mics in Swiss direct demo­cra­tic cam­pai­gns. Swiss Poli­ti­cal Sci­ence Review29, 465–478. https://doi.org/10.1111/spsr.12578

Refe­ren­zen:

  • Klin­ger, U. & Russ­mann, U. (2017). “Beer is more effi­ci­ent than social media”—Political par­ties and stra­te­gic com­mu­ni­ca­ti­on in Aus­tri­an and Swiss natio­nal elec­tions. Jour­nal of Infor­ma­ti­on Tech­no­lo­gy & Poli­tics, 14(4), 299–313. https://doi.org/10.1080/19331681.2017.1369919

  • Krie­si, H. (2005). Direct demo­cra­tic choice. Lex­ing­ton Books.

  • VOTO (2022). Publi­ka­tio­nen und Daten. https://www.voto.swiss/etudes-et-donnees/

Der Arti­kel wur­de von Remo Pari­si bearbeitet.

Bild: flickr und home­dust

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