Der Klima-Alarmismus verfängt kaum

Schre­ckens­sze­na­ri­en um das Wald­ster­ben und das Ozon­loch in den 1970er- und 1980er-Jah­ren haben die Poli­tik beflü­gelt. In der Kli­ma­kri­se ist das aber nicht der Fall. War­um nicht? Der Kli­ma­wan­del weist eine kom­plett ande­re Pro­blem­s­truk­tur auf.

Da ste­hen wir nun und sind so klug als wie zuvor: Der Wald ist noch da, die Angst vor einer «Umwelt­ka­ta­stro­phe von unvor­stell­ba­rem Aus­mass», wie es im «Spie­gel» 1981 hiess, war real, die Kata­stro­phe hin­ge­gen ist nicht eingetreten.

Die in den 1980er-Jah­ren auf­grund der immer dün­ner wer­den­den Ozon­schicht befürch­te­te star­ke Zunah­me von Haut­krebs und grau­em Star konn­te dank beherz­tem Ein­grei­fen der inter­na­tio­na­len Poli­tik (eben­so) abge­wen­det wer­den. Wird also auch der Kli­ma­wan­del von selbst wie­der ver­schwin­den? Die­ses «Gere­de» um eine ernst zu neh­men­de Kli­ma­kri­se, hört man land­auf, land­ab, sei «völ­lig über­trie­ben» und «inhalts­leer»; die­se wür­den wir «wie das Wald­ster­ben» gänz­lich unbe­scha­det über­ste­hen. Ande­re ant­wor­ten genervt, es sei «sicher nicht so schlimm», wie die Medi­en es «auf­bau­schen» würden.

Die­se Mischung aus Erfol­gen in der Lösung frü­he­rer Umwelt­kri­sen und dem Nicht­ein­tre­ten von Schre­ckens­sze­na­ri­en der 1970/80er-Jah­re tra­gen nicht dazu bei, dass War­nun­gen von Wis­sen­schaf­te­rin­nen und Wis­sen­schaf­ter ernst genom­men wer­den. Denn die Kli­ma­ka­ta­stro­phe könn­te ja wie das Wald­ster­ben nicht ein­tre­ten, oder sie könn­te wie das Pro­blem um das Ozon­loch sich ohne star­kes Zutun der Schweiz qua­si «von selbst» lösen.

Verbesserung der Gesundheit

Alar­mis­mus ver­fing bei frü­he­ren Umwelt­kri­sen durch­aus. Die erfolg­rei­che War­nung, nach Luh­mann, «ver­hin­dert, dass im Nach­hin­ein fest­ge­stellt wird, ob sie über­haupt not­wen­dig gewe­sen wäre». Das ist ein Para­dox: Gemes­sen dar­an, wie über­trie­ben die alten War­nun­gen heu­te erschei­nen, waren sie sehr erfolg­reich, denn sie haben poli­ti­sches Han­deln bewirkt. Soll­te die Wis­sen­schaft aus der schie­ren Angst, als «über­trie­ben» abge­tan zu wer­den, des­halb auf War­nun­gen ver­zich­ten? Kei­nes­falls: Der kau­sa­le Zusam­men­hang zwi­schen Treib­haus­ga­sen und Kli­ma­wan­del ist ein­deu­tig bewie­sen. Die glo­ba­le Fak­ten­la­ge ist gera­de­zu erdrü­ckend: Laut dem Oeschger-Zen­trum für Kli­ma­wis­sen­schaf­ten der Uni­ver­si­tät Bern ist die CO2-Kon­zen­tra­ti­on in der Atmo­sphä­re heu­te 30 Pro­zent höher als das Maxi­mum der letz­ten 800’000 Jah­re. Die War­nun­gen nicht ein­zu­brin­gen, käme also einer gänz­li­chen Miss­ach­tung der Fak­ten­la­ge gleich.

Selbst wenn sich der Alar­mis­mus in den Debat­ten um frü­he­re und gegen­wär­ti­ge Umwelt­kri­sen ähneln mag, ist der Unter­schied in Sachen poli­ti­sches Han­deln umso dras­ti­scher. So hat die Debat­te um das Wald­ster­ben etwa dazu geführt, dass die Ver­ord­nung zur Luft­rein­hal­te (LRV, 1985) ver­ab­schie­det und Schwe­fel­vor­ga­ben für Ver­bren­nungs­pro­zes­se defi­niert wur­den. Das Wald­ster­ben trieb die Erar­bei­tung und Ver­ab­schie­dung des ers­ten, 1985 in Kraft getre­te­nen Bun­des­um­welt­ge­set­zes voran.

Rück­bli­ckend haben die­se Rechts­ak­te zu einer bedeut­sa­men Ver­bes­se­rung für die mensch­li­che Gesund­heit und die natür­li­chen Res­sour­cen geführt. Heu­te unbe­strit­ten sind aber auch die posi­ti­ven Fol­gen des Falls des Eiser­nen Vor­hangs: Bei den ein­dring­li­chen War­nun­gen vor dem Wald­ster­ben konn­te damals nicht vor­aus­ge­se­hen wer­den, dass der Weg­fall der Ost­block­schorn­stei­ne zu einer mas­si­ven Ver­bes­se­rung der mit­tel­eu­ro­päi­schen Luft­qua­li­tät füh­ren würde.

Beim Ozon­loch war ein For­schungs­pa­pier des Mexi­ka­ners Mario Moli­na und des US-Ame­ri­ka­ners Row­land (1974) die aus­schlag­ge­ben­de War­nung – sie bewie­sen, dass FCKW in Kühl­ge­rä­ten, Sprays und Indus­trie­pro­zes­sen die Ozon­schicht ver­dün­nen. 1985 folg­ten dann bri­ti­sche For­scher mit der Ent­de­ckung eines Ozon­lochs über der Ant­ark­tis. Sie stell­ten fest, dass unge­hin­der­te UV-Strah­lung das Poten­zi­al birgt, das Leben auf der Erde mas­siv zu schä­di­gen. Auch hier war der Auf­schrei gross; die Furcht vor erblin­de­ten Scha­fen und hef­ti­gen Son­nen­brän­den nach kür­zes­ter Zeit gin­gen um.

Ambitionierte Ziele

Nur zwei Jah­re spä­ter hat die inter­na­tio­na­le Gemein­schaft das Mon­tré­al-Pro­to­koll unter­zeich­net und rati­fi­ziert, wobei die Schweiz selbst dabei nicht stark enga­giert war. Gemein­sam mit sei­nen Nach­fol­ge­pro­to­kol­len schrieb die­ses Pro­to­koll die schritt­wei­se Reduk­ti­on der Ver­wen­dung von FCKW vor. Heu­te schliesst sich das Ozon­loch wie­der, aber nur sehr langsam.

Bei der Kli­ma­kri­se hat der Alar­mis­mus hin­ge­gen bis­lang kaum ent­schie­de­nes poli­ti­sches Han­deln bewirkt. Auf inter­na­tio­na­ler Ebe­ne set­zen das Kyo­to-Pro­to­koll (1997) und das Pari­ser Abkom­men (2015) Zie­le, ohne aber deren Voll­zug ein­zu­for­dern. Geeig­ne­te Mass­nah­men zu ver­ab­schie­den, ist Sache der Mit­glieds­staa­ten. Gemäss dem Cli­ma­te Action Tra­cker – einem auf wis­sen­schaft­li­chen Metho­den fus­sen­den Pro­jek­ti­ons­mo­dell – sind die Schwei­zer Zie­le zwar ambi­tio­niert, aber die exis­tie­ren­den Mass­nah­men ungenügend.

Der Kli­ma­wan­del ist aber auch in vie­ler­lei Hin­sicht ein fun­da­men­tal schwie­ri­ge­res Unter­fan­gen als die Lösung der bei­den älte­ren Kri­sen. Wäh­rend das Ozon­loch vor allem durch den Aus­stoss von FCKW einer klei­nen Spar­te der welt­wei­ten (Kühl-)Industrie ver­ur­sacht wur­de, emit­tie­ren sämt­li­che Wirt­schafts­sek­to­ren und unse­re gesell­schaft­li­chen Akti­vi­tä­ten kli­ma­wirk­sa­me Treib­haus­ga­se. Begrenz­te sich das Wald­ster­ben weit­ge­hend auf Mit­tel­eu­ro­pa und Skan­di­na­vi­en, ist der Kli­ma­wan­del eine ent­grenz­te, glo­ba­le Rea­li­tät, wel­che nicht «nur» den Wald oder die UV-Strah­lung betrifft, son­dern alle natür­li­chen Res­sour­cen, Mensch und Tier.

Kurz: Es ist sehr viel ein­fa­cher, einen klei­nen Indus­trie­sek­tor zu regu­lie­ren oder weni­ger Län­der zum Ergrei­fen grif­fi­ger Mass­nah­men zu über­zeu­gen, als die gesam­te Wirt­schaft, Gesell­schaft, das heisst ins­ge­samt 193 Län­der, vom Ver­bren­nungs­pro­zess weg­zu­brin­gen. Der Kli­ma­wan­del fordert(e) daher weit tief­grei­fen­de­re poli­ti­sche Mass­nah­men als die bei­den vor­her­ge­hen­den Umwelt­kri­sen und hat eine kom­plett ande­re Problemstruktur.

In der Tat dient die zum poli­ti­schen Kampf­be­griff gewor­de­ne Bezeich­nung der «Kli­ma­kri­se» gegen­wär­tig vor allem als abs­trak­te Erklä­rung für die Häu­fung bereits bekann­ter extre­mer Natur­er­eig­nis­se wie Tro­cken­heit, Über­schwem­mun­gen oder Wald­brän­den. Ohne das Mit­ge­fühl mit bereits Betrof­fe­nen schmä­lern zu wol­len: In der Schweiz lei­den bis­lang «nur» weni­ge unter den direk­ten Fol­gen von Natur­ka­ta­stro­phen. Nur: Ist es «nor­mal», wenn man den Kühen in den Wal­li­ser Alp­som­mern bereits per Heli­ko­pter Was­ser brin­gen muss? Die grund­sätz­li­che Schwie­rig­keit ist hier zeit­li­cher Art: Bis die Schmerz­gren­ze im All­täg­li­chen erreicht ist, wird die Schä­di­gung natür­li­cher Res­sour­cen mit gros­ser Wahr­schein­lich­keit bereits irrever­si­bel gewor­den sein.

Neues Freiheitsverständnis

Der Grund für poli­ti­sches Nichts­tun liegt vor allem bei uns selbst: Wir sind kaum dazu bereit, Ein­schrän­kun­gen in Kauf zu neh­men. Gezeigt hat sich dies exem­pla­risch wäh­rend der Corona-Pandemie.

Damit ein­her geht ein gewan­del­tes Frei­heits­ver­ständ­nis, gemäss dem Frei­heit heu­te ver­mehrt als Absenz von Rege­lun­gen ver­stan­den wird. Dass aber Frei­heit erst durch das Mit­tra­gen gesell­schaft­li­cher Grund­re­geln (in einer intak­ten Umwelt) mög­lich wird, geht all­zu leicht ver­ges­sen. Ver­bo­te wer­den geäch­tet, stel­len kaum mehr ein gesell­schaft­lich und poli­tisch akzep­tier­tes Instru­ment dar. Der Staat soll den Wett­be­werb nicht ver­zer­ren, sich aus fun­da­men­ta­le­ren Wer­te­de­bat­ten mög­lichst her­aus­hal­ten und höchs­tens über das Porte­mon­naie der Bür­ge­rin­nen und Bür­ger len­ken. In der Rea­li­tät hat sich die Schweiz aber nicht ein­mal zu einer finan­zi­el­len Len­kung durch­rin­gen kön­nen. Wo Len­kung auf dem Papier gelang, funk­tio­niert die­se prak­tisch nicht. So ist die CO2-Abga­be auf Brenn­stof­fen in der Bevöl­ke­rung weit­ge­hend unbe­kannt. Und was unbe­kannt ist, kann auch nicht lenken.

Das Fazit ist klar: Die Kli­ma­kri­se erfor­dert fun­da­men­ta­le­re Ände­run­gen als bis­he­ri­ge Umwelt­kri­sen. Gleich­zei­tig ist die Schmerz­gren­ze, wel­che Mass­nah­men aus­lö­sen wür­de, noch nicht erreicht. Zudem wer­den Ein­schrän­kun­gen von Bür­ge­rin­nen und Bür­gern gefor­dert, die den Staat ledig­lich als Platt­form ver­ste­hen, um «lei­den­schaft­lich ihre eige­nen Prä­fe­ren­zen zu befrie­di­gen». Der Staat könn­te aber auch als «Idee von Gemein­schaft und Zusam­men­ge­hö­rig­keit» ver­stan­den wer­den – aner­ken­nend, dass eige­nes Wohl­erge­hen vom Erfolg und vom Wohl­erge­hen ande­rer abhängt. Sind wir wirk­lich nicht bereit dazu, Ein­schrän­kun­gen zum Woh­le ande­rer – unter ande­rem unse­rer Kin­der – zu akzeptieren? 

 

Hin­weis: Die­ser Bei­trag erschien in leicht geän­der­ter Fas­sung am 9.12.2023 als Gast­bei­trag im Wis­sens­teil des Tages-Anzei­gers.


Refe­ren­zen:

  • Luh­mann, Niklas. Beob­ach­tun­gen der Moder­ne. Wies­ba­den: VS Ver­lag für Sozi­al­wis­sen­schaf­ten, 1992, 151.
  • Moli­na, Mario J., und F. S. Row­land. “Stra­to­s­phe­ric Sink for Chlo­ro­fluo­ro­me­tha­nes: Chlo­ri­ne Atom-Cata­ly­sed Dest­ruc­tion of Ozone.” Natu­re 249, 5460 (Juni 1974): 810–12.
  • Mil­den­ber­ger, Mat­to, Erick Lac­ha­pel­le, Kathryn Har­ri­son, und Isa­bel­le Sta­del­mann-Stef­fen. “Limi­ted Impacts of Car­bon Tax Reba­te Pro­gram­mes on Public Sup­port for Car­bon Pri­cing.” Natu­re Cli­ma­te Chan­ge 12, 2 (Febru­ar 2022): 141–47.
  • Lepe­nies, Phil­ipp. Ver­bot Und Ver­zicht: Poli­tik aus dem Geis­te des Unter­las­sens. Edi­ti­on Suhr­kamp. Ber­lin: Suhr­kamp, 2022, 256. S. auch Kel­ler, Chris­toph. “Lob Des Ver­bots.” Geschich­te der Gegen­wart (blog), 19. März 2023. https://geschichtedergegenwart.ch/17840–2/.

Bild: Unsplash

 

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