Volk will Kinder und Jugendliche mit einem weitgehenden Tabakwerbeverbot schützen

Kurz­be­schrei­bung zur Abstim­mung vom 13. Febru­ar 2022 über die Volks­in­itia­ti­ve «Kin­der und Jugend­li­che ohne Tabakwerbung»

Vorgeschichte

Initia­ti­ven, die Wer­bung für Tabak­pro­duk­te ver­bie­ten woll­ten, wur­den von einer Mehr­heit der Stimm­be­rech­tig­ten 1979 und 1993 ver­wor­fen (Vor­la­gen Nr. 295 und 404). Damit ist Wer­bung für Tabak­pro­duk­te in der Schweiz unter Auf­la­gen erlaubt, je nach Kan­ton gel­ten teil­wei­se stren­ge­re Regeln. 2015 unter­brei­tet der Bun­des­rat dem Par­la­ment jedoch einen Geset­zes­ent­wurf mit zahl­rei­chen Ein­schrän­kun­gen im Bereich Tabak­wer­bung, um jun­ge Men­schen bes­ser vor dem Tabak­kon­sum zu schüt­zen und die Regeln natio­nal zu ver­ein­heit­li­chen. Im Par­la­ment ist aber nur ein Ver­bot von Wer­bung, die sich spe­zi­ell an Min­der­jäh­ri­ge rich­tet, mehr­heits­fä­hig. Vor die­sem Hin­ter­grund lan­ciert ein Komi­tee aus Ärz­te­schaft, Drogist:innen, Apotheker:innen sowie der Krebs- und der Lun­gen­li­ga 2018 eine Volks­in­itia­ti­ve, die ein Ver­bot aller Wer­bung, die für Min­der­jäh­ri­ge zugäng­lich ist, fordert.

Der Bun­des­rat emp­fiehlt die Volks­in­itia­ti­ve nach deren Zustan­de­kom­men zur Ableh­nung. Er äus­sert zwar die Absicht, sich im Rah­men der par­la­men­ta­ri­schen Debat­te zum Tabak­pro­duk­te­ge­setz für einen bes­se­ren Kin­der- und Jugend­schutz vor Tabak­wer­bung ein­zu­set­zen, will aber «ein gewis­ses Gleich­ge­wicht zwi­schen den Inter­es­sen der öffent­li­chen Gesund­heit und der Wirt­schaft» wah­ren. In die­ser Hin­sicht gehen ihm die For­de­run­gen der Initiant:innen zu weit.

Auch Natio­nal­rat (101 zu 88 Stim­men bei 7 Ent­hal­tun­gen) und Stän­de­rat (29 zu 14 Stim­men bei 1 Ent­hal­tung) emp­feh­len die Volks­in­itia­ti­ve zur Ableh­nung, die laut den Gegner:innen aus den fast geschlos­se­nen Frak­tio­nen von Mit­te, FDP und SVP ein «fak­ti­sches Total­ver­bot» von Wer­bung für «sich legal im Han­del befin­den­de Pro­duk­te» zur Fol­ge hät­te. Ziel­füh­ren­der sei ein Kom­pro­miss in Form des zum indi­rek­ten Gegen­vor­schlag zur Volks­in­itia­ti­ve erklär­ten Tabak­pro­duk­te­ge­set­zes, wel­ches den Jugend­schutz eben­so ver­stär­ke und zum Bei­spiel ein all­ge­mei­nes Wer­be­ver­bot für Tabak­pro­duk­te auf Pla­ka­ten, im Kino und an öffent­li­chen Gebäu­den vor­sieht. Für die geschlos­se­nen Frak­tio­nen der SP und der Grü­nen sowie für die Mehr­heit der GLP geht dies jedoch nicht weit genug – so blie­ben mit dem indi­rek­ten Gegen­vor­schlag unter ande­rem Inse­ra­te in Pres­se und Inter­net sowie Wer­bung an Ver­kaufs­stel­len nach wie vor erlaubt –, wes­we­gen sie die Wich­tig­keit der Volks­in­itia­ti­ve betonen.

Gegenstand

Die Initia­ti­ve hat zum Ziel, Tabak­wer­bung, die an Min­der­jäh­ri­ge gerich­tet oder für sie zugäng­lich ist, zu ver­bie­ten. Zu die­sem Zweck sol­len Wer­bung in Print- und sozia­len Medi­en, im Inter­net, auf Pla­ka­ten, an Kios­ken, in Kinos eben­so wie das Spon­so­ring von Ver­an­stal­tun­gen durch Tabak­pro­du­zen­ten ver­bo­ten wer­den, wenn Min­der­jäh­ri­ge dadurch erreicht wer­den kön­nen. Die glei­chen Regeln sol­len auch für E‑Zigaretten gel­ten. Wer­bung für Tabak­pro­duk­te soll nur noch dann erlaubt sein, wenn sie aus­schliess­lich Erwach­se­ne erreicht, etwa in Form von Wer­be­mails oder geziel­ter Wer­bung in den sozia­len Medien.

Abstimmungskampf

SP, GPS, GLP, EVP und PdA eben­so wie EDU und SD emp­feh­len die Volks­in­itia­ti­ve zur Annah­me. Eben­falls für ein Ja plä­die­ren neben den Initiant:innen zahl­rei­che wei­te­re Ver­bän­de aus der Gesund­heits­bran­che. Des Wei­te­ren erfährt die Initia­ti­ve unter ande­rem auch von Jugend- und Sport­ver­bän­den, dem Lehrer:innenverband und  der Stif­tung für Kon­su­men­ten­schutz Unter­stüt­zung. Für ein Nein tre­ten die gros­sen bür­ger­li­chen Par­tei­en Die Mit­te (mit vie­len Abwei­chun­gen, dar­un­ter 11 Kan­to­nal­sek­tio­nen sowie die Mit­te-Frau­en, die für ein Ja plä­die­ren), FDP und SVP ein. Unter­stützt wer­den sie von Eco­no­mie­su­is­se, Gewer­be- und Bau­ern­ver­band sowie Ver­bän­den aus der Tabak‑, Han­dels- und Werbebranche.

Abbildung 1. Abstimmung über die Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung» (Kinder und Jugendliche ohne Tabakwerbung): Stimmempfehlungen und Ergebnisse

Quelle: Swissvotes
Parteiparolen: Kumulierte Wähleranteile aller Parteien mit Ja-Parole, aller Parteien mit Nein-Parole sowie aller Parteien mit neutraler oder unbekannter Parole.

Die Befür­wor­ten­den argu­men­tie­ren pri­mär damit, dass durch das Wer­be­ver­bot Jugend­li­che vor dem Rau­chen und sei­nen schäd­li­chen Aus­wir­kun­gen geschützt wer­den kön­nen. Die Geg­ner­schaft führt dage­gen die Wirt­schafts­frei­heit an und befürch­tet, dass in Zukunft wei­te­re Pro­duk­te wie Fleisch oder Zucker mit einem ver­gleich­ba­ren Wer­be­ver­bot belegt wer­den könn­ten. Auf Nein-Pla­ka­ten ver­wen­det sie ent­spre­chend ein­präg­sa­me Slo­gans wie «Heu­te Tabak! Mor­gen Cer­ve­lat? Nein zur extre­men Verbots-Initiative».

Die Inse­ra­te­kam­pa­gne zur Initia­ti­ve wird über­durch­schnitt­lich inten­siv geführt, wobei die ableh­nen­den Inse­ra­te mit einem Anteil von rund drei Vier­teln recht deut­lich domi­nie­ren. In der Bericht­erstat­tung der Medi­en kommt die Initia­ti­ve sel­te­ner vor als die meis­ten Abstim­mungs­vor­la­gen seit 2018, den­noch schaf­fen es die Initiant:innen, dass die Pro­ble­ma­tik des Tabak­kon­sums in den Medi­en fast zehn­mal häu­fi­ger the­ma­ti­siert wird als noch im Vor­jahr. Die Tona­li­tät gegen­über dem Tabak­wer­be­ver­bot ist in den Medi­en über­wie­gend posi­tiv (fög 2022; Heidelberger/Bühlmann 2022).

Ergebnis

Die Stimm­be­völ­ke­rung nimmt die Volks­in­itia­ti­ve am 13. Febru­ar 2022 mit 56,7 Pro­zent Ja-Stim­men an. Auch das Stän­de­mehr wird mit 15 Stan­des­stim­men schein­bar kom­for­ta­bel erreicht, wobei rech­ne­risch schon 3’866 zusätz­li­che Nein-Stim­men in den rela­tiv knapp zustim­men­den Kan­to­nen Gla­rus, Aar­gau, Solo­thurn und Grau­bün­den für ein ande­res Ergeb­nis gesorgt hät­ten. Die Initia­ti­ve erhält mehr Ja-Stim­men in der fran­zö­si­schen (67%) als in der ita­lie­ni­schen (58%) und in der deut­schen Schweiz (54%) sowie mehr Zustim­mung im städ­ti­schen als im länd­li­chen Raum; mit Abstand am deut­lichs­ten Ja sagt der Kan­ton Genf (75%), am gerings­ten ist der Ja-Anteil im Kan­ton Schwyz (40%). Die Stimm­be­tei­li­gung liegt bei 44,2 Prozent.

Abbildung 2. Abstimmung vom 13.02.2022 über die Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung» (Kinder und Jugendliche ohne Tabakwerbung), Abstimmungsergebnis nach Bezirken

Quelle: Bundesamt für Statistik

Die Vox-Ana­ly­se (gfs.bern 2022) zeigt, dass Per­so­nen, die links oder in der Mit­te ste­hen und für SP, GLP, Grü­ne oder Mit­te sym­pa­thi­sie­ren, mehr­heit­lich mit Ja gestimmt haben (bei der Mit­te ent­ge­gen der natio­na­len Paro­le). Aus­schlag­ge­ben­de Moti­ve für ein Ja waren dabei das Argu­ment des Schut­zes der Kin­der, der Aspekt der Gesund­heit der Bevöl­ke­rung sowie das Zei­chen gegen die Tabak- und Wer­be­in­dus­trie. Per­so­nen, die mit der FDP oder der SVP sym­pa­thi­sie­ren, haben klar Nein gestimmt. Sie lies­sen sich dabei am meis­ten vom Wunsch nach einer frei­en Gesell­schaft, von der Über­zeu­gung, dass ein Wer­be­ver­bot unnütz sei, sowie von der Befürch­tung, dass das Wer­be­ver­bot nega­ti­ve wirt­schaft­li­che Fol­gen habe, leiten.


Hin­weis: Die­ser Bei­trag wur­de für die Abstim­mungs­da­ten­bank Swiss­vo­tes erstellt. Das Ori­gi­nal kann eben­so wie zahl­rei­che wei­ter­füh­ren­de Infor­ma­tio­nen rund um die Abstim­mungs­vor­la­ge unter https://swissvotes.ch/vote/652 her­un­ter­ge­la­den werden.

Emp­foh­le­ne Zitier­wei­se: Stahl, Pas­cal (2023): Volk will Kin­der und Jugend­li­che mit einem weit­ge­hen­den Tabak­wer­be­ver­bot schüt­zen. Swiss­vo­tes – die Daten­bank der eid­ge­nös­si­schen Volks­ab­stim­mun­gen. Online: www.swissvotes.ch. Abge­ru­fen am [Datum].

Refe­ren­zen:

  • fög (2022). Abstim­mungs­mo­ni­tor zu den Vor­la­gen vom 13. Febru­ar 2022, Schluss­be­richt vom 11. Febru­ar 2022. Zürich: For­schungs­in­sti­tut Öffent­lich­keit und Gesell­schaft der Uni­ver­si­tät Zürich.

  • gfs.bern (2022). VOX-Ana­ly­se Febru­ar 2022. Nach­be­fra­gung und Ana­ly­se zur eid­ge­nös­si­schen Volks­ab­stim­mung vom 13. Febru­ar 2022. Bern: gfs.bern.

  • Hei­del­ber­ger, Anja, und Marc Bühl­mann (2022). APS-Zei­tungs- und Inse­ra­te­ana­ly­se zu den Abstim­mun­gen vom 13. Febru­ar 2022. Zwi­schen­stand vom 3.2.2022. Bern: Année Poli­tique Suis­se, Insti­tut für Poli­tik­wis­sen­schaft der Uni­ver­si­tät Bern.

  • Schneuw­ly, Joël­le (2022). Aus­ge­wähl­te Bei­trä­ge zur Schwei­zer Poli­tik: Volks­in­itia­ti­ve «Ja zum Schutz der Kin­der und Jugend­li­chen vor Tabak­wer­bung (Kin­der und Jugend­li­che ohne Tabak­wer­bung)», 2018–2022. Bern: Année Poli­tique Suis­se, Insti­tut für Poli­tik­wis­sen­schaft, Uni­ver­si­tät Bern. www.anneepolitique.swiss, abge­ru­fen am 21.6.2023.

  • Schneuw­ly, Joël­le (2022). Aus­ge­wähl­te Bei­trä­ge zur Schwei­zer Poli­tik: Jah­res­rück­blick 2022: Gesund­heit, Sozi­al­hil­fe, Sport. Bern: Année Poli­tique Suis­se, Insti­tut für Poli­tik­wis­sen­schaft, Uni­ver­si­tät Bern. www.anneepolitique.swiss, abge­ru­fen am 21.6.2023.

  • Schubi­ger, Maxi­mi­li­an, und Joël­le Schneuw­ly (2022). Aus­ge­wähl­te Bei­trä­ge zur Schwei­zer Poli­tik: Tabak­pro­duk­te­ge­setz, 2014–2022. Bern: Année Poli­tique Suis­se, Insti­tut für Poli­tik­wis­sen­schaft, Uni­ver­si­tät Bern. www.anneepolitique.swiss, abge­ru­fen am 21.6.2023.

  • Erläu­te­run­gen des Bun­des­ra­tes zur Abstim­mung vom 13.2.2022 (Abstim­mungs­büch­lein). Her­aus­ge­ge­ben von der Bundeskanzlei.

  • Amt­li­che Bul­le­tins des Natio­nal- und des Stän­de­rats (Geschäft 20.068).

  • Bun­des­blatt: BBl 2020 7049. BBl 2021 2315. BBl 2022 895.

Bild: unsplash.com

image_pdfimage_print