«Klares Verdikt einer leisen Mehrheit»: Covid-19-Gesetz zum Zweiten

Kurz­be­schrei­bung zur Abstim­mung vom 28. Novem­ber 2021 über die 2. Revi­si­on des Covid-19-Geset­zes.

Vorgeschichte

Als Reak­ti­on auf die Covid-19-Pan­de­mie beschliesst das Par­la­ment im Herbst 2020 ein dring­li­ches Bun­des­ge­setz, das eine Viel­zahl von Mass­nah­men zur Abfe­de­rung von deren Fol­gen, unter ande­rem in volks­wirt­schaft­li­cher Hin­sicht, regelt. Weil sich die Pan­de­miela­ge rasch wan­delt, passt das Par­la­ment auf Antrag des Bun­des­ra­tes auch sei­ne Gesetz­ge­bung in hoher Kadenz an und ver­ab­schie­det im März 2021 schon die zwei­te Ände­rung des Geset­zes. Die Revi­si­on beinhal­tet zusätz­li­che finan­zi­el­le Hil­fen in ver­schie­de­nen Berei­chen, im Vor­der­grund der Par­la­ments­de­bat­ten steht die Aus­deh­nung der Här­te­fall­hil­fen für Unter­neh­men. Zum Revi­si­ons­pa­ket gehört zudem die gesetz­li­che Grund­la­ge für ein soge­nann­tes Covid-19-Zer­ti­fi­kat, das Zugangs­be­schrän­kun­gen zu öffent­li­chen Anläs­sen für Per­so­nen ohne Covid-Imp­fung und/oder ‑Test ermög­li­chen und damit erneu­te Schlies­sun­gen ver­hin­dern soll. Der Natio­nal­rat heisst die Ände­run­gen mit 163 zu 13 Stim­men (bei 13 Ent­hal­tun­gen) deut­lich gut, der Stän­de­rat sogar ein­stim­mig mit 42 zu 0 Stim­men. Die ableh­nen­den Stim­men und Ent­hal­tun­gen stam­men von Mit­glie­dern der SVP-Frak­ti­on. Sie stö­ren sich unter ande­rem dar­an, dass das Gesetz dem Bun­des­rat zu viel Macht gebe und gros­se Ein­schrän­kun­gen für die Öffent­lich­keit sowie sehr hohe Kos­ten mit sich bringe.

Par­al­lel zur Par­la­ments­be­ra­tung der Revi­si­on wird schon die ursprüng­li­che Ver­si­on des Geset­zes vom Herbst 2020 mit einem Refe­ren­dum bekämpft, im Juni 2021 wird sie aber mit einem Ja-Stim­men­an­teil von über 60% gut­ge­heis­sen (Vor­la­ge Nr. 643). Ein Teil der Gegner:innen – die Ver­ei­ne «Freun­de der Ver­fas­sung», «Netz­werk Imp­f­ent­scheid» und «Akti­ons­bünd­nis Urkan­to­ne» – gibt noch am Tag der Juni-Abstim­mung bekannt, nun auch ein Refe­ren­dum zur zwei­ten Ände­rung des Covid-19-Geset­zes anzu­stre­ben. Da die­se zwei­te Ände­rung bereits im März 2021 vom Par­la­ment beschlos­sen wor­den ist, blei­ben dem Refe­ren­dums­ko­mi­tee zu die­sem Zeit­punkt nur noch drei Wochen für die Samm­lung der 50’000 Unter­schrif­ten – was ihm im Umfeld der seit Mona­ten stark mobi­li­sier­ten mass­nah­men­kri­ti­schen Bewe­gung auch gelingt: Mit fast 75’000 Unter­schrif­ten kommt das Refe­ren­dum zustan­de. Ein­ge­reicht wer­den gar noch mehr Unter­schrif­ten, die Über­prü­fung von deren Gül­tig­keit ist jedoch nicht mehr nötig.

Gegenstand

Neben der Aus­wei­tung der Här­te­fall­hil­fen für Unter­neh­men betrifft die Geset­zes­än­de­rung den Coro­na-Erwerbs­er­satz und Kurz­ar­beits­ent­schä­di­gun­gen sowie zahl­rei­che zusätz­li­che Finanz­hil­fen, etwa für Insti­tu­tio­nen der fami­li­en­er­gän­zen­den Kin­der­be­treu­ung, für Kul­tur­schaf­fen­de oder zum Aus­gleich von Wer­be­ver­lus­ten pri­va­ter Radi­os und Fern­seh­sta­tio­nen. Neben dem Auf­trag zur Schaf­fung des Covid-19-Zer­ti­fi­kats wird dem Bund auch die Zustän­dig­keit zum Con­ta­ct-Tra­cing über­tra­gen, gleich­zei­tig müs­sen jedoch die Kan­tons­re­gie­run­gen stär­ker in die Kri­sen­po­li­tik ein­be­zo­gen wer­den. Zudem wer­den mit dem reich befrach­te­ten Revi­si­ons­pa­ket ein För­der- und Ent­wick­lungs­pro­gramm für Covid-19-Arz­nei­mit­tel, die Mög­lich­keit, neben Refe­ren­den auch Initia­ti­ven ohne Beschei­ni­gun­gen ein­zu­rei­chen, sowie Qua­ran­tä­neer­leich­te­run­gen für Geimpf­te oder Gene­se­ne geschaf­fen. Wei­ter­hin nicht durch das Covid-19-Gesetz gere­gelt sind etwa die Mas­ken­pflicht im ÖV, die Schlies­sung von Ein­rich­tun­gen oder Ver­an­stal­tungs­ver­bo­te, die alle­samt auf dem Epi­de­mi­en­ge­setz beruhen.

Abstimmungskampf

Im Abstim­mungs­kampf domi­nie­ren anfangs die Gegner:innen der Geset­zes­än­de­rung deut­lich, gemäss Medi­en­be­rich­ten pro­du­zie­ren sie 50 Ton­nen Wer­be­ma­te­ri­al in Form von Fly­ern, Inse­ra­ten und Pla­ka­ten (sie­he auch Heidelberger/Bühlmann 2021); hin­zu kom­men Wer­bung etwa auf You­tube sowie fast wöchent­li­che Demons­tra­tio­nen gegen die Pan­de­mie­mass­nah­men. Unter­stützt wer­den die Refe­ren­dums­füh­ren­den von der SVP, die im Gegen­satz zur Juni-Abstim­mung (und im Gegen­satz zur Frak­ti­ons­mehr­heit im Bun­des­haus) die Nein-Paro­le aus­gibt, sowie von der EDU. Sie erach­ten die Ände­run­gen als «extre­me Ver­schär­fun­gen» des Geset­zes. Ins­be­son­de­re das Covid-19-Zer­ti­fi­kat ver­ste­hen sie als indi­rek­ten Impf­zwang und kri­ti­sie­ren, dass die Nicht­ge­impf­ten damit vom öffent­li­chen Leben und teil­wei­se gar von der Aus­übung ihres Berufs aus­ge­schlos­sen wür­den. Gleich­zei­tig füh­re das Con­ta­ct-Tra­cing zu einer «komplette[n] digitale[n] Über­wa­chung aller Bür­ge­rin­nen und Bür­ger», wäh­rend der Bun­des­rat durch die Mög­lich­kei­ten zur Ein­schrän­kung des öffent­li­chen Lebens «Kon­trol­le über das gesam­te Leben der Bür­ger» erhal­te. Auch ein lin­kes Komi­tee «Geimpf­te gegen das Covid-Gesetz» wehrt sich ins­be­son­de­re gegen das Zer­ti­fi­kat und eine mög­li­che Massenüberwachung.

Die Befürworter:innen der Geset­zes­än­de­rung erach­ten die­se jedoch als nötig, um die Pan­de­mie ohne wei­te­ren Lock­down zu über­win­den, und heben vor allem auch die Rele­vanz der wirt­schaft­li­chen Hil­fen «für Men­schen und Unter­neh­men» her­vor. Zudem erach­ten sie zahl­rei­che Argu­men­te der Gegen­sei­te, etwa die Über­wa­chung der Bürger:innen durch das Con­ta­ct Tra­cing, als weit her­ge­holt. Die demo­kra­ti­sche Mit­be­stim­mung blei­be gewähr­leis­tet, erklärt etwa auch der Bun­des­rat. Eine Ja-Kam­pa­gne ist anfäng­lich indes­sen kaum sicht­bar. Zwar bil­det sich ein zivil­ge­sell­schaft­li­ches Pro-Komi­tee, die­ses ver­fügt aber nur über begrenz­te Res­sour­cen. Spä­ter enga­gie­ren sich auch eine Tou­ris­mus-Alli­anz sowie die Frei­den­ker-Ver­ei­ni­gung für ein Ja zur Geset­zes­än­de­rung. Auch die meis­ten Par­tei­en – EVP, FDP, GLP, Grü­ne, Mit­te, PdA und SP –, die wich­tigs­ten Wirt­schafts­ver­bän­de und Gewerk­schaf­ten sowie die Kon­fe­renz der Kan­tons­re­gie­run­gen geben die Ja-Paro­le aus. Zu einer über­par­tei­li­chen Kam­pa­gne kommt es jedoch nicht, die Par­tei­en begnü­gen sich mit einer gemein­sa­men Pres­se­kon­fe­renz und Auf­ru­fen in ihrem Umfeld und über die Sozia­len Medien.

Abbildung 1. Abstimmung über die 2. Revision des Covid-19-Gesetzes: Stimmempfehlungen und Ergebnisse

Parteiparolen: Kumulierte Wähleranteile aller Parteien mit Ja-Parole, aller Parteien mit Nein-Parole sowie aller Parteien mit neutraler oder unbekannter Parole.
Quelle: Swissvotes

Im Lau­fe des Abstim­mungs­kamp­fes ist immer häu­fi­ger über ein Aus­ein­an­der­drif­ten von Geg­ner­schaft und Befür­wor­ten­den und einer «Spal­tung der Gesell­schaft» zu lesen. So bekla­gen etwa bei­de Lager eine feh­len­de Dis­kus­si­ons­be­reit­schaft der Gegen­sei­te. Gleich­zei­tig wird der Ton immer rau­er, so dass es von­sei­ten der Geg­ner­schaft gar zu Todes­dro­hun­gen gegen einen Poli­ti­ker kommt. Vor dem Urnen­gang sind gemäss Medi­en in bei­den Lagern ein­zel­ne Stim­men zu hören, die sich vor Unre­gel­mäs­sig­kei­ten beim Urnen­gang fürch­ten – etwa durch ver­sperr­te Abstim­mungs­lo­ka­le. Auch der Stadt­ber­ner Sicher­heits­di­rek­tor Reto Nau­se warnt vor einem «unru­hi­gen Abstim­mungs­sonn­tag», falls die Geg­ner­schaft der Ände­rung das Abstim­mungs­re­sul­tat nicht akzep­tie­ren sollte.

Ergebnis

Am Abstim­mungs­sonn­tag blei­ben die Über­ra­schun­gen aus: Mit 62,0 Pro­zent Ja-Stim­men erhält die Ände­rung des Covid-19-Geset­zes gar mehr Zustim­mung als die Schaf­fung des Geset­zes fünf Mona­te zuvor mit 60,2 Pro­zent (Vor­la­ge Nr. 643). Als «kla­res Ver­dikt einer lei­sen Mehr­heit» beti­telt etwa die Aar­gau­er Zei­tung das Abstim­mungs­re­sul­tat. Nur in den Kan­to­nen Appen­zell Inner­rho­den und Schwyz legt erneut eine Mehr­heit der Stim­men­den ein Nein in die Urne, die Kan­to­ne Uri, Nid­wal­den, Obwal­den, Gla­rus, Appen­zell Aus­ser­rho­den und Thur­gau wech­seln dage­gen neu mehr­heit­lich ins Ja-Lager. Der in der ers­ten Abstim­mung noch bestehen­de Rös­ti­gra­ben ver­schwin­det weit­ge­hend, weil die Zustim­mung in der Deutsch­schweiz ansteigt, wäh­rend sie in der Roman­die sinkt.

Abbildung 2. Abstimmung vom 28.11.2021 über die 2. Revision des Covid-19-Gesetzes, Abstimmungsergebnis nach Bezirken

Quelle: Bundesamt für Statistik

Als unbe­grün­det erwei­sen sich die Befürch­tun­gen bezüg­lich Aus­schrei­tun­gen: So wer­den kei­ne Stö­run­gen des Urnen­gangs ver­zeich­net und auch der befürch­te­te Gross­auf­marsch der Vorlagengegner:innen bleibt trotz ihrer Nie­der­la­ge aus. Die­se akzep­tie­ren denn das Ergeb­nis auch gröss­ten­teils, ein­zig der Ver­ein «Mass-Voll» erach­tet es auf­grund von angeb­li­chen «bei­spiel­lo­sen Unre­gel­mäs­sig­kei­ten» als «nicht legi­tim und für uns nicht bindend».

Gemäss Nach­ab­stim­mungs­be­fra­gung (gfs.bern 2022) haben Sympathisant:innen der SVP (zu 70%), Per­so­nen, die ange­ben, eine tra­di­tio­nel­le Wert­hal­tung zu haben, sowie Per­so­nen mit tie­fem oder mitt­le­rem Ver­trau­en in den Bun­des­rat mehr­heit­lich ein Nein in die Urne gelegt. Sie wehr­ten sich damit vor allem gegen eine befürch­te­te Impf­pflicht (10%) und erach­te­ten den Bun­des­rat oder den Staat als zu mäch­tig (11%). Die Befür­wor­ten­den hin­ge­gen woll­ten mit Annah­me der Ände­rung vor allem die Coro­na-Poli­tik des Bun­des­ra­tes unter­stüt­zen (36%) oder erach­te­ten die Ände­run­gen als nötig, um die Pan­de­mie zu besie­gen (23%).


Hin­weis: Die­ser Bei­trag wur­de für die Abstim­mungs­da­ten­bank Swiss­vo­tes erstellt. Das Ori­gi­nal kann eben­so wie zahl­rei­che wei­ter­füh­ren­de Infor­ma­tio­nen rund um die Abstim­mungs­vor­la­ge unter https://swissvotes.ch/vote/650 her­un­ter­ge­la­den werden.

Emp­foh­le­ne Zitier­wei­se: Hei­del­ber­ger, Anja (2023): «Kla­res Ver­dikt einer lei­sen Mehr­heit»: Covid-19-Gesetz zum Zwei­ten. Swiss­vo­tes – die Daten­bank der eid­ge­nös­si­schen Volks­ab­stim­mun­gen. Online: www.swissvotes.ch. Abge­ru­fen am [Datum].

Refe­ren­zen:

  • gfs.bern (2022). VOX-Ana­ly­se Novem­ber 2021. Nach­be­fra­gung und Ana­ly­se zur eid­ge­nös­si­schen Volks­ab­stim­mung vom 13. Novem­ber 2021. Bern: gfs.bern.

  • Hei­del­ber­ger, Anja (2022). Aus­ge­wähl­te Bei­trä­ge zur Schwei­zer Poli­tik: Zwei­te Revi­si­on des Covid-19-Geset­zes (Ände­rung und Zusatz­kre­dit; BRG 21.016), 2021. Bern: Année Poli­tique Suis­se, Insti­tut für Poli­tik­wis­sen­schaft, Uni­ver­si­tät Bern. www.anneepolitique.swiss, abge­ru­fen am 27.6.2023.

  • Hei­del­ber­ger, Anja, und Marc Bühl­mann (2021). APS-Zei­tungs- und Inse­ra­te­ana­ly­se zu den Abstim­mun­gen vom 28. Novem­ber 2021. Zwi­schen­stand vom 18.11.2021. Bern: Année Poli­tique Suis­se, Insti­tut für Poli­tik­wis­sen­schaft der Uni­ver­si­tät Bern.

  • Erläu­te­run­gen des Bun­des­ra­tes zur Abstim­mung vom 28.11.2021 (Abstim­mungs­büch­lein). Her­aus­ge­ge­ben von der Bundeskanzlei.

  • Amt­li­che Bul­le­tins des Natio­nal- und des Stän­de­rats (Geschäft 21.016).

  • Bun­des­blatt: BBl 2021 285. BBl 2021 680. BBl 2021 1924. BBl 2022 894.

Bild: unsplash.com

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