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«Klares Verdikt einer leisen Mehrheit»: Covid-19-Gesetz zum Zweiten

Anja Heidelberger
21st Juli 2023

Kurzbeschreibung zur Abstimmung vom 28. November 2021 über die 2. Revision des Covid-19-Gesetzes.

Vorgeschichte

Als Reaktion auf die Covid-19-Pandemie beschliesst das Parlament im Herbst 2020 ein dringliches Bundesgesetz, das eine Vielzahl von Massnahmen zur Abfederung von deren Folgen, unter anderem in volkswirtschaftlicher Hinsicht, regelt. Weil sich die Pandemielage rasch wandelt, passt das Parlament auf Antrag des Bundesrates auch seine Gesetzgebung in hoher Kadenz an und verabschiedet im März 2021 schon die zweite Änderung des Gesetzes. Die Revision beinhaltet zusätzliche finanzielle Hilfen in verschiedenen Bereichen, im Vordergrund der Parlamentsdebatten steht die Ausdehnung der Härtefallhilfen für Unternehmen. Zum Revisionspaket gehört zudem die gesetzliche Grundlage für ein sogenanntes Covid-19-Zertifikat, das Zugangsbeschränkungen zu öffentlichen Anlässen für Personen ohne Covid-Impfung und/oder -Test ermöglichen und damit erneute Schliessungen verhindern soll. Der Nationalrat heisst die Änderungen mit 163 zu 13 Stimmen (bei 13 Enthaltungen) deutlich gut, der Ständerat sogar einstimmig mit 42 zu 0 Stimmen. Die ablehnenden Stimmen und Enthaltungen stammen von Mitgliedern der SVP-Fraktion. Sie stören sich unter anderem daran, dass das Gesetz dem Bundesrat zu viel Macht gebe und grosse Einschränkungen für die Öffentlichkeit sowie sehr hohe Kosten mit sich bringe.

Parallel zur Parlamentsberatung der Revision wird schon die ursprüngliche Version des Gesetzes vom Herbst 2020 mit einem Referendum bekämpft, im Juni 2021 wird sie aber mit einem Ja-Stimmenanteil von über 60% gutgeheissen (Vorlage Nr. 643). Ein Teil der Gegner:innen – die Vereine «Freunde der Verfassung», «Netzwerk Impfentscheid» und «Aktionsbündnis Urkantone» – gibt noch am Tag der Juni-Abstimmung bekannt, nun auch ein Referendum zur zweiten Änderung des Covid-19-Gesetzes anzustreben. Da diese zweite Änderung bereits im März 2021 vom Parlament beschlossen worden ist, bleiben dem Referendumskomitee zu diesem Zeitpunkt nur noch drei Wochen für die Sammlung der 50'000 Unterschriften – was ihm im Umfeld der seit Monaten stark mobilisierten massnahmenkritischen Bewegung auch gelingt: Mit fast 75'000 Unterschriften kommt das Referendum zustande. Eingereicht werden gar noch mehr Unterschriften, die Überprüfung von deren Gültigkeit ist jedoch nicht mehr nötig.

Gegenstand

Neben der Ausweitung der Härtefallhilfen für Unternehmen betrifft die Gesetzesänderung den Corona-Erwerbsersatz und Kurzarbeitsentschädigungen sowie zahlreiche zusätzliche Finanzhilfen, etwa für Institutionen der familienergänzenden Kinderbetreuung, für Kulturschaffende oder zum Ausgleich von Werbeverlusten privater Radios und Fernsehstationen. Neben dem Auftrag zur Schaffung des Covid-19-Zertifikats wird dem Bund auch die Zuständigkeit zum Contact-Tracing übertragen, gleichzeitig müssen jedoch die Kantonsregierungen stärker in die Krisenpolitik einbezogen werden. Zudem werden mit dem reich befrachteten Revisionspaket ein Förder- und Entwicklungsprogramm für Covid-19-Arzneimittel, die Möglichkeit, neben Referenden auch Initiativen ohne Bescheinigungen einzureichen, sowie Quarantäneerleichterungen für Geimpfte oder Genesene geschaffen. Weiterhin nicht durch das Covid-19-Gesetz geregelt sind etwa die Maskenpflicht im ÖV, die Schliessung von Einrichtungen oder Veranstaltungsverbote, die allesamt auf dem Epidemiengesetz beruhen.

Abstimmungskampf

Im Abstimmungskampf dominieren anfangs die Gegner:innen der Gesetzesänderung deutlich, gemäss Medienberichten produzieren sie 50 Tonnen Werbematerial in Form von Flyern, Inseraten und Plakaten (siehe auch Heidelberger/Bühlmann 2021); hinzu kommen Werbung etwa auf Youtube sowie fast wöchentliche Demonstrationen gegen die Pandemiemassnahmen. Unterstützt werden die Referendumsführenden von der SVP, die im Gegensatz zur Juni-Abstimmung (und im Gegensatz zur Fraktionsmehrheit im Bundeshaus) die Nein-Parole ausgibt, sowie von der EDU. Sie erachten die Änderungen als «extreme Verschärfungen» des Gesetzes. Insbesondere das Covid-19-Zertifikat verstehen sie als indirekten Impfzwang und kritisieren, dass die Nichtgeimpften damit vom öffentlichen Leben und teilweise gar von der Ausübung ihres Berufs ausgeschlossen würden. Gleichzeitig führe das Contact-Tracing zu einer «komplette[n] digitale[n] Überwachung aller Bürgerinnen und Bürger», während der Bundesrat durch die Möglichkeiten zur Einschränkung des öffentlichen Lebens «Kontrolle über das gesamte Leben der Bürger» erhalte. Auch ein linkes Komitee «Geimpfte gegen das Covid-Gesetz» wehrt sich insbesondere gegen das Zertifikat und eine mögliche Massenüberwachung.

Die Befürworter:innen der Gesetzesänderung erachten diese jedoch als nötig, um die Pandemie ohne weiteren Lockdown zu überwinden, und heben vor allem auch die Relevanz der wirtschaftlichen Hilfen «für Menschen und Unternehmen» hervor. Zudem erachten sie zahlreiche Argumente der Gegenseite, etwa die Überwachung der Bürger:innen durch das Contact Tracing, als weit hergeholt. Die demokratische Mitbestimmung bleibe gewährleistet, erklärt etwa auch der Bundesrat. Eine Ja-Kampagne ist anfänglich indessen kaum sichtbar. Zwar bildet sich ein zivilgesellschaftliches Pro-Komitee, dieses verfügt aber nur über begrenzte Ressourcen. Später engagieren sich auch eine Tourismus-Allianz sowie die Freidenker-Vereinigung für ein Ja zur Gesetzesänderung. Auch die meisten Parteien – EVP, FDP, GLP, Grüne, Mitte, PdA und SP –, die wichtigsten Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften sowie die Konferenz der Kantonsregierungen geben die Ja-Parole aus. Zu einer überparteilichen Kampagne kommt es jedoch nicht, die Parteien begnügen sich mit einer gemeinsamen Pressekonferenz und Aufrufen in ihrem Umfeld und über die Sozialen Medien.

Abbildung 1. Abstimmung über die 2. Revision des Covid-19-Gesetzes: Stimmempfehlungen und Ergebnisse

Parteiparolen: Kumulierte Wähleranteile aller Parteien mit Ja-Parole, aller Parteien mit Nein-Parole sowie aller Parteien mit neutraler oder unbekannter Parole.
Quelle: Swissvotes

Im Laufe des Abstimmungskampfes ist immer häufiger über ein Auseinanderdriften von Gegnerschaft und Befürwortenden und einer «Spaltung der Gesellschaft» zu lesen. So beklagen etwa beide Lager eine fehlende Diskussionsbereitschaft der Gegenseite. Gleichzeitig wird der Ton immer rauer, so dass es vonseiten der Gegnerschaft gar zu Todesdrohungen gegen einen Politiker kommt. Vor dem Urnengang sind gemäss Medien in beiden Lagern einzelne Stimmen zu hören, die sich vor Unregelmässigkeiten beim Urnengang fürchten – etwa durch versperrte Abstimmungslokale. Auch der Stadtberner Sicherheitsdirektor Reto Nause warnt vor einem «unruhigen Abstimmungssonntag», falls die Gegnerschaft der Änderung das Abstimmungsresultat nicht akzeptieren sollte.

Ergebnis

Am Abstimmungssonntag bleiben die Überraschungen aus: Mit 62,0 Prozent Ja-Stimmen erhält die Änderung des Covid-19-Gesetzes gar mehr Zustimmung als die Schaffung des Gesetzes fünf Monate zuvor mit 60,2 Prozent (Vorlage Nr. 643). Als «klares Verdikt einer leisen Mehrheit» betitelt etwa die Aargauer Zeitung das Abstimmungsresultat. Nur in den Kantonen Appenzell Innerrhoden und Schwyz legt erneut eine Mehrheit der Stimmenden ein Nein in die Urne, die Kantone Uri, Nidwalden, Obwalden, Glarus, Appenzell Ausserrhoden und Thurgau wechseln dagegen neu mehrheitlich ins Ja-Lager. Der in der ersten Abstimmung noch bestehende Röstigraben verschwindet weitgehend, weil die Zustimmung in der Deutschschweiz ansteigt, während sie in der Romandie sinkt.

Abbildung 2. Abstimmung vom 28.11.2021 über die 2. Revision des Covid-19-Gesetzes, Abstimmungsergebnis nach Bezirken

Quelle: Bundesamt für Statistik

Als unbegründet erweisen sich die Befürchtungen bezüglich Ausschreitungen: So werden keine Störungen des Urnengangs verzeichnet und auch der befürchtete Grossaufmarsch der Vorlagengegner:innen bleibt trotz ihrer Niederlage aus. Diese akzeptieren denn das Ergebnis auch grösstenteils, einzig der Verein «Mass-Voll» erachtet es aufgrund von angeblichen «beispiellosen Unregelmässigkeiten» als «nicht legitim und für uns nicht bindend».

Gemäss Nachabstimmungsbefragung (gfs.bern 2022) haben Sympathisant:innen der SVP (zu 70%), Personen, die angeben, eine traditionelle Werthaltung zu haben, sowie Personen mit tiefem oder mittlerem Vertrauen in den Bundesrat mehrheitlich ein Nein in die Urne gelegt. Sie wehrten sich damit vor allem gegen eine befürchtete Impfpflicht (10%) und erachteten den Bundesrat oder den Staat als zu mächtig (11%). Die Befürwortenden hingegen wollten mit Annahme der Änderung vor allem die Corona-Politik des Bundesrates unterstützen (36%) oder erachteten die Änderungen als nötig, um die Pandemie zu besiegen (23%).


Hinweis: Dieser Beitrag wurde für die Abstimmungsdatenbank Swissvotes erstellt. Das Original kann ebenso wie zahlreiche weiterführende Informationen rund um die Abstimmungsvorlage unter https://swissvotes.ch/vote/650 heruntergeladen werden.

Empfohlene Zitierweise: Heidelberger, Anja (2023): «Klares Verdikt einer leisen Mehrheit»: Covid-19-Gesetz zum Zweiten. Swissvotes – die Datenbank der eidgenössischen Volksabstimmungen. Online: www.swissvotes.ch. Abgerufen am [Datum].

Referenzen:

  • gfs.bern (2022). VOX-Analyse November 2021. Nachbefragung und Analyse zur eidgenössischen Volksabstimmung vom 13. November 2021. Bern: gfs.bern.

  • Heidelberger, Anja (2022). Ausgewählte Beiträge zur Schweizer Politik: Zweite Revision des Covid-19-Gesetzes (Änderung und Zusatzkredit; BRG 21.016), 2021. Bern: Année Politique Suisse, Institut für Politikwissenschaft, Universität Bern. www.anneepolitique.swiss, abgerufen am 27.6.2023.

  • Heidelberger, Anja, und Marc Bühlmann (2021). APS-Zeitungs- und Inserateanalyse zu den Abstimmungen vom 28. November 2021. Zwischenstand vom 18.11.2021. Bern: Année Politique Suisse, Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern.

  • Erläuterungen des Bundesrates zur Abstimmung vom 28.11.2021 (Abstimmungsbüchlein). Herausgegeben von der Bundeskanzlei.

  • Amtliche Bulletins des National- und des Ständerats (Geschäft 21.016).

  • Bundesblatt: BBl 2021 285. BBl 2021 680. BBl 2021 1924. BBl 2022 894.

Bild: unsplash.com