Deutschschweizer Städte – die Weltmeisterinnen der direkten Demokratie

Wor­über wird in Schwei­zer Gemein­den und Städ­ten beson­ders häu­fig abge­stimmt? Wie oft wer­den fakul­ta­ti­ve Refe­ren­den oder Initia­ti­ven lan­ciert und wie steht es um deren Erfolgs­chan­cen? Wovon hängt die Betei­li­gung an kom­mu­na­len Abstim­mun­gen ab? Ant­wor­ten auf die­se und ande­re Fra­gen lie­fert ein neu­es Buch, das eine umfas­sen­de Über­sicht zu Urnen­ab­stim­mun­gen in den Schwei­zer Gemein­den präsentiert.

Die Schweiz gilt als unan­ge­foch­te­ne Welt­meis­te­rin der direk­ten Demo­kra­tie. In kei­nem ande­ren Land sind die unmit­tel­ba­ren Ent­schei­dungs­be­fug­nis­se der Bür­ge­rin­nen und Bür­ger bei Sach­ge­schäf­ten so stark aus­ge­baut und wer­den so inten­siv prak­ti­ziert wie in der Schwei­zer Eid­ge­nos­sen­schaft. Rund die Hälf­te aller natio­na­len Volks­ab­stim­mun­gen welt­weit haben in der Schweiz statt­ge­fun­den. Den­noch fehl­te bis heu­te ein Grund­la­gen- und Über­sichts­werk über die Insti­tu­tio­nen und die Pra­xis der unmit­tel­ba­ren Mit­wir­kungs­rech­te der Bür­ge­rin­nen und Bür­ger auf kom­mu­na­ler Ebe­ne. Die­ses legen wir nun vor.

Umfassendes Grundlagen- und Übersichtswerk

Mit Daten zu allen Gross­städ­ten und aus­ge­wähl­ten Gemein­den aus sämt­li­chen Kan­to­nen zei­gen wir neue Facet­ten und die Bedeu­tung der direk­ten Demo­kra­tie auf der kom­mu­na­len Ebe­ne auf. Wir gehen dabei unter ande­rem fol­gen­den Fra­gen nach: Wel­che Instru­men­te der direk­ten Demo­kra­tie exis­tie­ren in den Schwei­zer Gemein­den und Städ­ten? Wie weit­ge­hend sind kan­to­na­le Vor­ga­ben zu kom­mu­na­len Abstim­mun­gen? Mit wel­chen Fak­to­ren las­sen sich die Häu­fig­keit, das Resul­tat und die Betei­li­gung bei kom­mu­na­len Volks­ab­stim­mun­gen erklä­ren? Wel­che Ver­än­de­run­gen wer­den bei Abstim­mun­gen in den Schwei­zer Gross­städ­ten über einen Zeit­raum von 30 Jah­ren sichtbar?

Stadt-Land- und Röstigraben

Unse­re Ana­ly­sen war­ten mit über­ra­schen­den Befun­den auf: So zeigt sich beim Gebrauch der Volks­rech­te ein aus­ge­präg­ter Rös­ti­gra­ben, der in der Deutsch­schweiz zusätz­lich durch einen Stadt-Land­gra­ben ergänzt wird. Die kom­mu­na­le direk­te Demo­kra­tie wird näm­lich haupt­säch­lich in den gros­sen Deutsch­schwei­zer Städ­ten inten­siv prak­ti­ziert und gelebt, wäh­rend sie in den fran­zö­sisch- und ita­lie­nisch­spra­chi­gen Gemein­den nur eine ver­nach­läs­sig­ba­re Bedeu­tung besitzt.

Die Stu­die kürt damit auch die eigent­li­chen Welt­meis­te­rin­nen der direk­ten Demo­kra­tie, was die Häu­fig­keit von Abstim­mun­gen anbe­trifft. Den Spit­zen­platz mit den welt­weit meis­ten Urnen­ab­stim­mun­gen nimmt für das 21. Jahr­hun­dert die Stadt Bern ein, danach fol­gen der Kan­ton Zürich und die Stadt Zürich. In Bezug auf die Exis­tenz der direkt­de­mo­kra­ti­schen Instru­men­te las­sen sich dage­gen kei­ne auf­fäl­li­gen Unter­schie­de nach Sprach­re­gio­nen fest­stel­len. Eine grös­se­re Rol­le spielt dage­gen die Gemein­de­grös­se: Je grös­ser die Gemein­de, des­to wahr­schein­li­cher sind obli­ga­to­ri­sche und fakul­ta­ti­ve Refe­ren­den sowie Volks­in­itia­ti­ven vorgesehen.

Erfolgreiche Volksinitiative in den Städten

Ins­ge­samt wer­den kom­mu­na­le Vor­la­gen fast dop­pelt so häu­fig an der Abstim­mungs­ur­ne ange­nom­men wie eid­ge­nös­si­sche Sach­ge­schäf­te. Beson­ders auf­fäl­lig ist, dass Volks­in­itia­ti­ven in den Städ­ten und Gemein­den fast drei­mal so häu­fig erfolg­reich sind wie jene im Bund. Offen­bar ist es leich­ter, die Anlie­gen von Initia­ti­ven auf die rela­tiv homo­ge­ne Inter­es­sen­la­ge in Gemein­den abzu­stim­men. Zudem sind die Zugangs­hür­den für Initia­ti­ven in Form von Unter­schrif­ten­er­forder­nis­sen und Sam­mel­fris­ten auf kom­mu­na­ler Ebe­ne deut­lich stren­ger, was einen gewis­sen Fil­ter­ef­fekt hat: Vor­la­gen, die die Zugangs­hür­den über­win­den, ver­fü­gen über einen ver­gleichs­wei­se star­ken Rück­halt in der Bevöl­ke­rung, was sich posi­tiv auf ihre Annah­me­chan­cen auswirkt.

Spillover-Effekte bei der Beteiligung

Für die Höhe der Stimm­be­tei­li­gung auf kom­mu­na­ler Ebe­ne ist vor allem ein Fak­tor ent­schei­dend, näm­lich ob zeit­gleich Urnen­gän­ge auf eid­ge­nös­si­scher Ebe­ne statt­fin­den. In die­sen Fäl­len lie­gen die Teil­nah­me­wer­te bei rund 46 Pro­zent. Wird zeit­lich unab­hän­gig von Urnen­gän­gen auf eid­ge­nös­si­scher oder kan­to­na­ler Ebe­ne abge­stimmt, erreicht die Betei­li­gung dage­gen im Schnitt nur ca. 31 Pro­zent. Die­ser Spillover-Effekt von Mul­ti­pack-Abstim­mun­gen erklärt allei­ne über 70 Pro­zent der Betei­li­gungs­un­ter­schie­de zwi­schen den kom­mu­na­len Urnen­gän­gen. Dage­gen haben die The­men der Vor­la­gen fast kei­nen Ein­fluss auf die Mobilisierung.

Ins­ge­samt leis­tet das Buch einen Bei­trag, die bestehen­de For­schungs­lü­cke zur Aus­ge­stal­tung und Bedeu­tung der direk­ten Demo­kra­tie auf Gemein­de­ebe­ne ein Stück weit zu schlies­sen. Dabei zeigt sich ein dif­fe­ren­zier­tes Bild, das die Bedeu­tung der sub­na­tio­na­len Ebe­ne als Labor für unter­schied­li­che insti­tu­tio­nel­le Rege­lun­gen unterstreicht.


Refe­renz:

 

Bild: Chur, Auf­nah­me von Chris­ti­an Regg. Quel­le: Unsplash.

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