Schuldenkontrolle als Wahlbonus
Bekommt ein:e Finanzminister:in in einer gewählten Regierung einen Wahlbonus, wenn die Staatsverschuldung unter Kontrolle gehalten oder sogar abgebaut wird? Schliesslich kann die Wählerschaft die Fähigkeit eines Ministers oder einer Ministerin, den Haushalt auszugleichen, als Zeichen seiner oder ihrer Kompetenz interpretieren. Wenn es einen solchen Bonus gibt, wie wichtig ist er?
Die bisherigen Studien wurden in anderen institutionellen Kontexten als in der Schweiz und zu anderen Themen wie Klientelismus oder Sparpolitik durchgeführt.
1000 kantonale Minister:innen stellen sich der Wiederwahl
Unsere Untersuchung nutzt den institutionellen Kontext der Schweizer Kantone, um den Einfluss der Finanzpolitik auf das Wahlverhalten zu verstehen. Einerseits werden die Mitglieder der kantonalen Regierungen direkt von der Bevölkerung nach dem Mehrheitswahlrecht gewählt. Daher können wir das Wahlergebnis eines abtretenden Kandidaten oder einer Kandidatin mit seinem oder ihrem eigenen vorherigen Wahlergebnis vergleichen. Andererseits bieten Finanzindikatoren einen direkten Massstab für die Leistung des oder der gewählten Finanzverantwortlichen (siehe Abbildung 1 zur Entwicklung der Verschuldung). Unsere Untersuchung unterscheidet sich somit von Studien, die sich mit der Wahl von Regierungschef:innen befasst haben. Schliesslich bestehen die kantonalen Regierungen aus fünf, sieben oder sogar neun Mitgliedern und in der Regel streben mehrere Amtsinhaber:innen eine Wiederwahl an. Ihre Ergebnisse können daher verglichen werden.
Wir haben Daten zu 225 Wahlen zu kantonalen Regierungen zwischen 1980 und 2019 gesammelt. Mehr als 1000 Minister:innen und Staatsrät:innen haben für ihre eigene Nachfolge kandidiert. Von 179 Finanzminister:innen, die sich zur Wiederwahl stellten, wurden nur fünf nicht wiedergewählt. Bei den anderen Minister:innen, die manchmal auch als Ausgabenminister:innen bezeichnet werden, scheiterten 52 der 848 Wiederwahlkandidat:innen. Die Wiederwahlquote der Finanzminister:innen ist also um mehr als drei Prozentpunkte höher als die der anderen Minister:innen (97,4 % gegenüber 93,9 %).
Abbildung 1 | Anzahl der Kantone, die ihre Schulden reduziert haben, und Schulden im kantonalen Mittelwert in Prozent des laufenden Ertrags
Quelle: Soguel, N., & Munier, E. (2022), Vergleich 2021 der Kantons- und Gemeindefinanzen, IDHEAP-Heft, https://www.unil.ch/idheap/de/home/ menuinst/unitescompetences/finances-publiques/comparatif-des-finances-cantonales-et-communales.html
Statistisch belegbare Auswirkungen der Schuldenkontrolle auf die Stimmenzahl von Finanzminister:innen
Unsere ökonometrischen Analysen zeigen, dass das Erreichen einer Schuldensenkung um 1000 Franken pro Einwohner:in im Jahr vor der Wahl den Stimmenanteil eines Finanzministers oder einer Finanzministerin um 1,4 bis 5,4 Prozentpunkte im Vergleich zu seinem oder ihrem Stimmenanteil bei der vorherigen Wahl oder Wiederwahl erhöht. Das ist nicht unerheblich: In der Hälfte der beobachteten Wahlgänge betrug der Abstand zwischen der Person in der Regierung mit der niedrigsten Stimmenzahl und dem oder der ersten Nachrücker:in unter den Nichtgewählten etwa drei Prozentpunkte oder weniger. Im Gegensatz dazu wurde das Wahlergebnis der Ausgabenminister:innen nicht signifikant von den Finanzergebnissen beeinflusst. Mit anderen Worten: Finanzminister:innen, die die kantonalen Schulden unter Kontrolle haben, erhalten nicht nur mehr Stimmen als bei ihrer vorherigen Wahl (oder Wiederwahl), sondern auch mehr Stimmen als ihre Kolleg:innen, die sich erneut zur Wahl stellen. Erwähnenswert ist, dass unsere Analyse den Einfluss zahlreicher sich überlagernder Faktoren kontrolliert: personenbezogene Faktoren (Geschlecht, Parteizugehörigkeit, Berufserfahrung, Ausbildung) und solche, die mit der betreffenden Wahl zusammenhängen (z. B. Anzahl der Kandidaturen, Anzahl der freien Sitze, Wahlbeteiligung). Wir zeigen auch, dass unter Berücksichtigung möglicher Selektionseffekte der Einfluss der finanziellen Situation auf das Wiederwahlergebnis von Regierungsmitgliedern nicht durch parteipolitische oder andere Präferenzen verzerrt wird. Der Effekt ist also auf die Funktion des oder der Finanzverantwortlichen selbst zurückzuführen.
Eine Senkung des Schuldenstandes wird von den Wähler:innen offenbar als Signal für die Kompetenz wahrgenommen, die der Person, die für die Finanzen zuständig ist, zugeschrieben wird. Aus taktischer Sicht ist dies ein Vorteil für diejenigen, die höhere politische Ambitionen haben. In diesem Sinne wurden seit 1980 vier kantonale Finanzminister:innen später in den Bundesrat gewählt, 13 wurden Mitglieder des Nationalrats und rund 20 des Ständerats.
Das langfristige Gleichgewicht der öffentlichen Finanzen hängt weitgehend von institutionellen Regelungen ab. Dies haben bereits bestehende Studien gezeigt, z. B. in Bezug auf verbindliche Haushaltsregeln wie die Schuldenbremse oder Finanzreferenden. Wir haben hier gezeigt, dass die direkte Wahl der Regierungsmitglieder auf kantonaler Ebene durch ein Mehrheitswahlsystem die Anreize für die Regierung und insbesondere für die Finanzminister:innen erhöht, auf die Präferenzen der Bevölkerung einzugehen, insbesondere im Bereich der Finanzverwaltung.
Bemerkung: Dieser Artikel wurde im Rahmen des IDHEAP Policy Brief No. 6 veröffentlicht.
Referenzen:
Buchs, A., & Soguel, N. (2022). Fiscal performance and the re-election of finance ministers – evidence from the Swiss Cantons. Public Choice. 191. pp.39-49. https://doi.org/10.1007/s11127-021- 00949-z.
Soguel, N., & Munier, E. (2022), Vergleich 2021 der Kantons- und Gemeindefinanzen, IDHEAPHeft, www.unil.ch/idheap/Comparatif.
Bild: unsplash.com