Personalisierte Medizin in Frankreich: Bestimmt der Wohnort des Patienten den Zugang?

Personalisierte Medizin: Eine Chance zur Verbesserung der Patientenversorgung

Die per­so­na­li­sier­te Medi­zin bie­tet die Mög­lich­keit, tech­ni­sche Hilfs­mit­tel ein­zu­set­zen, die fest­stel­len, ob Patient:innen für eine bestimm­te Behand­lung in Fra­ge kom­men. Der Zugang zur per­so­na­li­sier­ten Medi­zin stellt somit eine gros­se Her­aus­for­de­rung dar, um die Behand­lungs­stra­te­gien zu ver­bes­sern. Das Swiss Per­so­na­li­zed Health Net­work ist die Schwei­zer Platt­form zur Ent­wick­lung von Infra­struk­tu­ren, die den Aus­tausch von Gesund­heits­da­ten für die For­schung zu die­sem The­ma erleich­tern (BAG, 2017). Aller­dings bie­ten die dies­be­züg­li­chen Bemü­hun­gen in Frank­reich bereits Daten aus der Pra­xis.1 Tat­säch­lich hat Frank­reich vor etwa 20 Jah­ren damit begon­nen, die Kos­ten für Gen­tests für Ärzt:innen zu über­neh­men, die die­se bei einer der öffent­li­chen Test­platt­for­men bean­tra­gen. So finan­zier­te das Insti­tut Natio­nal du Can­cer im Jahr 2006 28 regio­na­le Gene­tik­zen­tren, die den Zugang zu mole­ku­la­ren Pro­fi­len für Krebspatient:innen erleich­tern sol­len. Die­ser Kon­text bie­tet eine ein­zig­ar­ti­ge Gele­gen­heit, den gleich­be­rech­tig­ten Zugang zur per­so­na­li­sier­ten Medi­zin und die wich­tigs­ten Deter­mi­nan­ten auf Ebe­ne der Depar­te­ments zu messen.

Analysen räumlicher Daten einer Population von über 15’000 Patienten

Zwi­schen April 2012 und April 2013 wur­den im Rah­men eines natio­na­len Pro­jekts Daten von 15’814 Patient:innen gesam­melt, bei denen fort­ge­schrit­te­ner nicht-klein­zelli­ger Lun­gen­krebs (NSCLC) dia­gnos­ti­ziert wor­den war und die von ihrem Arzt oder ihrer Ärz­tin für einen Gen­test über­wie­sen wor­den waren. Hypo­the­tisch hät­ten alle Patient:innen mit fort­ge­schrit­te­nem NSCLC iden­ti­fi­ziert wer­den müs­sen, da ein gene­ti­sches Pro­filing im Rah­men der Rou­ti­ne­ver­sor­gung emp­foh­len wird. Um die Gleich­heit des Zugangs zu bestim­men, haben wir daher einen zwei­stu­fi­gen For­schungs­an­satz ver­wen­det: In einem ers­ten Schritt haben wir die an den Ver­sor­gungs­be­darf ange­pass­ten Zugangs­ra­ten nach dem Depar­te­ment, in dem der Pati­ent / die Pati­en­tin wohnt, mit­hil­fe der Metho­de der “Small Are­as Varia­ti­ons” ermit­telt. In einem zwei­ten Schritt haben wir ein Regres­si­ons­mo­dell auf Ebe­ne der Depar­te­ments durch­ge­führt, um die Bezie­hung zwi­schen den ange­pass­ten Raten und den Varia­blen Wirt­schaft und Pfle­ge­an­ge­bot zu bestimmen.

Ungleicher Zugang zu Gentests, der je nach Wohnort variiert

Die Rate der Gen­tests auf natio­na­ler Ebe­ne lag bei 47 %, was den Erwar­tun­gen ent­sprach. Die Raten vari­ie­ren jedoch signi­fi­kant nach Depar­te­ment, wie in Abbil­dung 1 (lin­ker Teil) dar­ge­stellt. Der schwächs­te «Tes­ter» hat eine drei­mal gerin­ge­re Inan­spruch­nah­me von Tests als der grösste.

Dar­über hin­aus legen die Ergeb­nis­se nahe, dass es einen sta­tis­tisch signi­fi­kan­ten Zusam­men­hang zwi­schen den Gen-Scree­ning-Raten und dem Pro-Kopf-Ange­bot an Allgemeinmediziner:innen, Strahlentherapeut:innen (posi­ti­ve Kor­re­la­ti­on) und Chirurg:innen (nega­ti­ve Kor­re­la­ti­on) gibt, was auf unter­schied­li­che The­ra­pie­ent­schei­dun­gen die­ser Berufs­grup­pen hin­deu­ten könn­te. Eben­so gehen im Durch­schnitt nied­ri­ge­re gene­ti­sche Scree­ning­ra­ten mit höhe­ren Armuts­ra­ten ein­her. Wir doku­men­tie­ren die Bezie­hung zwi­schen Armuts­quo­ten und Scree­ning­quo­ten mit­hil­fe von Local Indi­ca­tors of Spa­ti­al Asso­cia­ti­on, einem Mass für die Kor­re­la­ti­on zwi­schen zwei räum­li­chen Varia­blen (rechts in Abbil­dung 1). Wir iden­ti­fi­zie­ren vier beson­ders rele­van­te Kom­bi­na­tio­nen von Bezie­hun­gen, abhän­gig vom Armuts­ni­veau (“High” oder “Low”) und der Scree­ning­ra­te (“High” oder “Low”). So kom­bi­nie­ren fünf Depar­te­ments nied­ri­ge Armuts­quo­ten mit rela­tiv hohen Test­quo­ten (Low-High), wäh­rend fünf wei­te­re Depar­te­ments hohe Armuts­quo­ten mit nied­ri­gen Scree­ning­ra­ten (High-Low) kombinieren.

Abbildung 1. Links: Quintile der bereinigten Zugangsraten zu Gentests für NSCLC in Frankreich unter Einwohner:innen im Alter von 20–99 Jahren nach Departements. Rechts: Local Indicators of Spatial Association (LISA) bivariat zwischen Armutsquote und Gentest-Raten.

Im Gegen­satz dazu kom­bi­nie­ren sechs Depar­te­ments eine nied­ri­ge Armuts­quo­te mit einer nied­ri­gen Test­quo­te (Low-Low), und schliess­lich haben drei Depar­te­ments hohe Armuts­quo­ten, aber hohe Scree­ning­quo­ten (High-High). Die öffent­li­chen Ent­schei­dungs­trä­ger in Frank­reich soll­ten daher ihre Anstren­gun­gen in Rich­tung der (un)privilegierten Gebie­te (ins­be­son­de­re der 11 Depar­te­ments mit nied­ri­gen Test­ra­ten) fort­set­zen, um einen gleich­be­rech­tig­ten Zugang zur per­so­na­li­sier­ten Medi­zin zu errei­chen. Schliess­lich könn­ten Emp­feh­lun­gen für die medi­zi­ni­sche Pra­xis den Zugang in den Depar­te­ments mit einer hohen Dich­te an Chirurg:innen verbessern.

1 Bun­des­amt für Gesund­heit (2017), Aktu­el­le Ent­wick­lun­gen in der daten­ge­trie­be­nen Medi­zin und die damit ver­bun­de­nen Her­aus­for­de­run­gen und Auf­ga­ben für das BAG: Bericht der Arbeits­grup­pe “Per­so­na­li­sier­te Medi­zin” des BAG.


Bemer­kung: Die­ser Arti­kel wur­de im Rah­men des IDHEAP Poli­cy Brief No. 5 veröffentlicht.

Refe­renz: 

  • Kem­bou Nza­le S, Weeks WB, Oua­fik L, Rou­quet­te I, Beau-Fal­ler M, Lemoi­ne A, Brin­gu­ier PP, Le Corol­ler Soria­no AG, Barle­si F, Ven­te­lou B. Ine­qui­ty in access to per­so­na­li­zed medi­ci­ne in Fran­ce: Evi­den­ces from ana­ly­sis of geo varia­ti­ons in the access to mole­cu­lar pro­filing among advan­ced non-small-cell lung can­cer pati­ents: Results from the IFCT Bio­mar­kers Fran­ce Stu­dy. PLoS One. 2020 Jul 1;15(7):e0234387. doi: 10.1371/journal.pone.0234387. PMID: 32609781; PMCID: PMC7329126.

Bild: unsplash.com

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