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Personalisierte Medizin in Frankreich: Bestimmt der Wohnort des Patienten den Zugang?

Samuel Kembou
10th März 2023

Personalisierte Medizin: Eine Chance zur Verbesserung der Patientenversorgung

Die personalisierte Medizin bietet die Möglichkeit, technische Hilfsmittel einzusetzen, die feststellen, ob Patient:innen für eine bestimmte Behandlung in Frage kommen. Der Zugang zur personalisierten Medizin stellt somit eine grosse Herausforderung dar, um die Behandlungsstrategien zu verbessern. Das Swiss Personalized Health Network ist die Schweizer Plattform zur Entwicklung von Infrastrukturen, die den Austausch von Gesundheitsdaten für die Forschung zu diesem Thema erleichtern (BAG, 2017). Allerdings bieten die diesbezüglichen Bemühungen in Frankreich bereits Daten aus der Praxis.1 Tatsächlich hat Frankreich vor etwa 20 Jahren damit begonnen, die Kosten für Gentests für Ärzt:innen zu übernehmen, die diese bei einer der öffentlichen Testplattformen beantragen. So finanzierte das Institut National du Cancer im Jahr 2006 28 regionale Genetikzentren, die den Zugang zu molekularen Profilen für Krebspatient:innen erleichtern sollen. Dieser Kontext bietet eine einzigartige Gelegenheit, den gleichberechtigten Zugang zur personalisierten Medizin und die wichtigsten Determinanten auf Ebene der Departements zu messen.

Analysen räumlicher Daten einer Population von über 15'000 Patienten

Zwischen April 2012 und April 2013 wurden im Rahmen eines nationalen Projekts Daten von 15'814 Patient:innen gesammelt, bei denen fortgeschrittener nicht-kleinzelliger Lungenkrebs (NSCLC) diagnostiziert worden war und die von ihrem Arzt oder ihrer Ärztin für einen Gentest überwiesen worden waren. Hypothetisch hätten alle Patient:innen mit fortgeschrittenem NSCLC identifiziert werden müssen, da ein genetisches Profiling im Rahmen der Routineversorgung empfohlen wird. Um die Gleichheit des Zugangs zu bestimmen, haben wir daher einen zweistufigen Forschungsansatz verwendet: In einem ersten Schritt haben wir die an den Versorgungsbedarf angepassten Zugangsraten nach dem Departement, in dem der Patient / die Patientin wohnt, mithilfe der Methode der “Small Areas Variations” ermittelt. In einem zweiten Schritt haben wir ein Regressionsmodell auf Ebene der Departements durchgeführt, um die Beziehung zwischen den angepassten Raten und den Variablen Wirtschaft und Pflegeangebot zu bestimmen.

Ungleicher Zugang zu Gentests, der je nach Wohnort variiert

Die Rate der Gentests auf nationaler Ebene lag bei 47 %, was den Erwartungen entsprach. Die Raten variieren jedoch signifikant nach Departement, wie in Abbildung 1 (linker Teil) dargestellt. Der schwächste «Tester» hat eine dreimal geringere Inanspruchnahme von Tests als der grösste.

Darüber hinaus legen die Ergebnisse nahe, dass es einen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen den Gen-Screening-Raten und dem Pro-Kopf-Angebot an Allgemeinmediziner:innen, Strahlentherapeut:innen (positive Korrelation) und Chirurg:innen (negative Korrelation) gibt, was auf unterschiedliche Therapieentscheidungen dieser Berufsgruppen hindeuten könnte. Ebenso gehen im Durchschnitt niedrigere genetische Screeningraten mit höheren Armutsraten einher. Wir dokumentieren die Beziehung zwischen Armutsquoten und Screeningquoten mithilfe von Local Indicators of Spatial Association, einem Mass für die Korrelation zwischen zwei räumlichen Variablen (rechts in Abbildung 1). Wir identifizieren vier besonders relevante Kombinationen von Beziehungen, abhängig vom Armutsniveau (“High” oder “Low”) und der Screeningrate (“High” oder “Low”). So kombinieren fünf Departements niedrige Armutsquoten mit relativ hohen Testquoten (Low-High), während fünf weitere Departements hohe Armutsquoten mit niedrigen Screeningraten (High-Low) kombinieren.

Abbildung 1. Links: Quintile der bereinigten Zugangsraten zu Gentests für NSCLC in Frankreich unter Einwohner:innen im Alter von 20-99 Jahren nach Departements. Rechts: Local Indicators of Spatial Association (LISA) bivariat zwischen Armutsquote und Gentest-Raten.

Im Gegensatz dazu kombinieren sechs Departements eine niedrige Armutsquote mit einer niedrigen Testquote (Low-Low), und schliesslich haben drei Departements hohe Armutsquoten, aber hohe Screeningquoten (High-High). Die öffentlichen Entscheidungsträger in Frankreich sollten daher ihre Anstrengungen in Richtung der (un)privilegierten Gebiete (insbesondere der 11 Departements mit niedrigen Testraten) fortsetzen, um einen gleichberechtigten Zugang zur personalisierten Medizin zu erreichen. Schliesslich könnten Empfehlungen für die medizinische Praxis den Zugang in den Departements mit einer hohen Dichte an Chirurg:innen verbessern.

1 Bundesamt für Gesundheit (2017), Aktuelle Entwicklungen in der datengetriebenen Medizin und die damit verbundenen Herausforderungen und Aufgaben für das BAG: Bericht der Arbeitsgruppe “Personalisierte Medizin” des BAG.


Bemerkung: Dieser Artikel wurde im Rahmen des IDHEAP Policy Brief No. 5 veröffentlicht.

Referenz: 

  • Kembou Nzale S, Weeks WB, Ouafik L, Rouquette I, Beau-Faller M, Lemoine A, Bringuier PP, Le Coroller Soriano AG, Barlesi F, Ventelou B. Inequity in access to personalized medicine in France: Evidences from analysis of geo variations in the access to molecular profiling among advanced non-small-cell lung cancer patients: Results from the IFCT Biomarkers France Study. PLoS One. 2020 Jul 1;15(7):e0234387. doi: 10.1371/journal.pone.0234387. PMID: 32609781; PMCID: PMC7329126.

Bild: unsplash.com