Diktiert das Onlineverhalten von Politiker:innen was im Parlament Aufwind findet?

Online Platt­for­men neh­men in der Poli­tik einen immer höhe­ren Stel­len­wert ein. Inter­ak­tio­nen, die her­kömm­lich im Par­la­ment statt­fan­den, ver­la­gern sich ver­mehrt in die Online­welt. Legen jedoch Politiker:innen bei Ent­schei­den im Par­la­ment genau das an den Tag was sie online dar­stel­len? Unse­re Ana­ly­se zeigt das Gegen­teil auf. Der poli­ti­sche Bei­stand online weist wenig Über­ein­stim­mung mit dem Ver­hal­ten im Par­la­ment auf.

Wir alle hin­ter­las­sen digi­ta­le Spu­ren im Netz, die unum­gäng­lich ein gewis­ses Bild von uns zeich­nen. Ob wir einer Freund­schafts­an­fra­ge zustim­men oder einen Bei­trag liken, etwas pos­ten oder ret­wee­ten, unse­re Iden­ti­tät online wird stück­wei­se erwei­tert. Parlamentarier:innen sind da nicht anders, spe­zi­ell da sozia­le Netz­wer­ke für sie einen wich­ti­ges stra­te­gi­sches Mit­tel dar­stel­len. Politiker:innen kön­nen ihre Agen­da nur in Zusam­men­ar­beit mit ande­ren durch­brin­gen und die­se kann online leicht geför­dert wer­den. So kön­nen Alli­an­zen gebil­det oder gestärkt wer­den. Es stellt sich jedoch die Fra­ge ob sol­che Alli­an­zen auch wirk­lich von der Online­welt ins täg­li­che Geschäft des Par­la­ments überschwappen.

Unser Arti­kel unter­sucht genau dies, näm­lich ob Parlamentarier:innen ihre online Bei­stands­be­kun­dun­gen auch off­line widerspiegeln.

Die Diskrepanz zwischen dem Verhalten online und offline

Das Schwei­zer sozia­le Netz­werk «Polit­netz» kam 2009 auf den Markt (heu­te nicht mehr aktiv) und war auf den Aus­tausch zwi­schen Politiker:innen und der Bevöl­ke­rung aus­ge­legt. Dort konn­ten Benutzer:innen ein­an­der mit einem Like ver­se­hen. Die­ses Fea­ture wur­de rege genutzt von Politiker:innen um ihre Unter­stüt­zung von ande­ren Parlamentarier:innen, sowie von loka­len Politiker:innen, zu signa­li­sie­ren. Wei­ter nah­men auch Tei­le der Bevöl­ke­rung aktiv an Dis­kus­sio­nen teil und ver­ga­ben, ihren Vor­lie­ben ent­spre­chend, Likes.

Da alle Ein­sicht hat­ten in das Auf­tre­ten auf der Web­sei­te, ist es natür­lich ver­lo­ckend zu den­ken, dass das Online­ver­hal­ten unse­rer Parlamentarier:innen Auf­schluss geben kann über das täg­li­che Geschäft im Parlament.

Im Par­la­ment kön­nen Parlementarier:innen Bei­stands­be­kun­dun­gen in Form von Unter­schrif­ten zu poli­ti­schen Geschäf­ten abge­ben. Parlamentarier:innen unter­stüt­zen die Geset­zes­ent­wür­fe ande­rer Mit­glie­der indem sie deren poli­ti­sche Geschäf­te unter­zeich­nen. Somit wird dem Par­la­ment signa­li­siert, wer die­ses neue Geschäft befür­wor­tet, noch bevor es zur Abstim­mung kommt.

Um das Gesche­hen online mit Geschäf­ten im Par­la­ment zu ver­glei­chen, haben wir, nebst den Daten zu Likes auf Polit­netz, Unter­schrif­ten zu Geset­zes­ent­wür­fen im Schwei­zer Par­la­ment zwi­schen 2007 und 2015 gesammelt.

Wenn man nun die zwei Hand­lun­gen des Lik­ens und des Unter­schrei­bens sta­tis­tisch mit­ein­an­der ver­gleicht, stellt sich her­aus, dass sich der poli­ti­sche Bei­stand online nicht im Ver­hal­ten im Par­la­ment widerspiegelt.

Wie kann denn die Dis­kre­panz des Ver­hal­tens online zu off­line erklärt wer­den? 

Abbildung 1: Politische Unterstützung online und offline

Online ist die Par­tei (vio­lett vs. grün in Abbil­dung 1) mass­ge­bend für Unter­stüt­zungs­be­kun­dun­gen. Jeder kann Jedem nur jeweils einen Like geben. Off­line kom­men mehr Fak­to­ren ins Spiel. Nebst Par­tei ist zum Bei­spiel Kan­tons­zu­ge­hö­rig­keit wich­tig für den Ent­scheid eine Unter­schrift abzu­ge­ben (sie­he Abbil­dung 1). Wei­ter kön­nen Parlamentarier:innen meh­re­re Geschäf­te von ande­ren unter­zeich­nen, so sind viel­zäh­li­ge Bekun­dun­gen zwi­schen den sel­ben zwei Per­so­nen möglich.

Wer jemanden liked, warum unterstützt der nicht auch dessen Geschäfte?

Einem ande­ren Par­la­men­ta­ri­er eine Unter­schrift zu geben scheint zwar sim­pel, ist jedoch mit reich­lich Über­le­gun­gen ver­bun­den. Dabei geht es oft nicht nur um den Inhalt des Geset­zes­ent­wurfs, son­dern auch dar­um, Par­tei und Kan­tons­in­ter­es­sen zu stär­ken, frü­he­re Unter­stüt­zung zu erwi­dern oder neue Alli­an­zen auf die Pro­be zu stellen.

Wei­ter birgt eine Unter­schrift auch ein gewis­ses Risi­ko, hin­ge­gen auch einen mög­li­chen Nut­zen. Wird der Geset­zes­ent­wurf abge­lehnt, so steht man als Verlierer:in da, wird er ange­nom­men, so kann man dies als Gewinn ver­zeich­nen. Das Like auf Polit­netz ist ver­gleichs­wei­se kos­ten­güns­tig, es ver­langt einen mini­ma­len Auf­wand und es kann nur wenig Scha­den davon­ge­tra­gen werden.

Unse­re Ana­ly­se zeigt auf, dass poli­ti­sche Bei­stands­be­kun­dun­gen im Netz mehr­heit­lich auf Par­tei­zu­ge­hö­rig­keit basie­ren. Par­tei­über­grei­fen­en­de Unter­stüt­zung online ist eher sel­ten und wird über­schat­tet von der viel prä­va­len­te­ren, par­tei­in­ter­nen Unter­stüt­zung. Im Par­la­ment sel­ber konn­ten wir zei­gen, dass nebst der Par­tei auch die Erwi­de­rung von frü­he­rer Unter­stüt­zung sowie die Ähn­lich­keit der Parlamentarier:innen (z.B. Alter, Hei­mats­kan­ton) und ihr loka­les Netz­werk mass­ge­bend sind für die Beistandsbekundungen.

Online Daten als falscher Messias

Da online Netz­wer­ke immer prä­va­len­ter wer­den, hat auch die For­schung ihr Inter­es­se in die­se Rich­tung gewandt. Die Ein­fach­heit mit wel­cher Daten gesam­melt wer­den kön­nen und die Grös­se der erfass­ba­ren Netz­wer­ke ist bei­spiel­los. Wir haben jedoch gezeigt, dass für poli­ti­sche Unter­stüt­zung, die Kom­ple­xi­tät des Par­la­ments nicht mit einem sozia­len Netz­werk online über­ein­stimmt. Wich­ti­ge Fak­to­ren wie zum Bei­spiel der Aus­tausch von Gefäl­lig­kei­ten oder das loka­le Netz­werk der Parlamentarier:innen sind in den online Likes nicht wider­ge­spie­gelt. Unse­re Ana­ly­se dient hier als Warn­si­gnal, dass nicht alle Resul­ta­te aus der Online­welt direkt extra­po­liert wer­den kön­nen und Anwen­dung fin­den offline.


Gan­zer Arti­kel ist frei zugäng­lich unter: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/spsr.12524,

die Daten unter: https://zenodo.org/record/6372825#.YqdT5DVBwYs.

Bild: unsplash.com

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