Braucht die Formel einen neuen objektiven Zauber?

Die Schwei­zer Par­tei­en sind sich einig, dass die mass­geb­li­chen poli­ti­schen Kräf­te im Bun­des­rat ver­tre­ten sein sol­len. Doch was bedeu­tet massgeblich?

52 Tage oder 1’248 Stun­den lie­gen zwi­schen den ziem­lich genau in einem Jahr statt­fin­den­den Par­la­ments­wah­len und den Bun­des­rats­wah­len. Seit 1959 wer­den die Sit­ze auf die vier wäh­ler­stärks­ten Par­tei­en auf­ge­teilt gemäss der soge­nann­ten Zau­ber­for­mel. Anpas­sun­gen in die­sem frei­wil­li­gen Modell fan­den nur im Sin­ne von Ver­schie­bun­gen inner­halb die­ser vier Par­tei­en statt. Eine Regie­rungs­form, die Sta­bi­li­tät, Ver­läss­lich­keit und Kon­ti­nui­tät bot.

Doch was, wenn meh­re­re Par­tei­en sich im Wäh­ler­an­teil ein­an­der immer stär­ker annä­hern und zusätz­li­che Par­tei­en auf­grund der Ver­schie­bun­gen im Par­tei­gefü­ge Anspruch auf einen Bun­des­rats­sitz nach Par­la­ments­wah­len erheben?

Im Jahr 2020 stiess die CVP (Die Mit­te) einen Kon­kor­danz­gip­fel an. Die Vor­stel­lun­gen der Par­tei­en konn­ten aller­dings nicht unter einen Hut gebracht wer­den. Gewiss besteht der Kon­sens, wonach die mass­geb­li­chen Par­tei­en im Bun­des­rat ver­tre­ten sein sol­len. Doch was bedeu­tet mass­geb­lich? Letzt­lich bleibt das eine Fra­ge der poli­ti­schen Interpretation.

Ver­än­de­run­gen am bestehen­den Modell der par­tei­po­li­ti­schen Zusam­men­set­zung des Bun­des­rats, um wei­te­re poli­ti­sche Kräf­te in die Regie­rung ein­zu­bin­den, fan­den bis dato kei­ne Mehr­heit: weder eine Erhö­hung der Anzahl noch eine Volks­wahl der Bun­des­rä­te. Die Zau­ber­for­mel bleibt uns folg­lich erhalten.

52 Tage oder 1’248 Stun­den – reicht die Zeit, um zu klä­ren, wie die Zusam­men­set­zung des Bun­des­rats sein soll? Eine objek­ti­vier­te, fest­ge­hal­te­ne «Zau­ber­for­mel» könn­te ange­zeigt sein. Sol­che Model­le gibt es. In unse­rem Nach­bar­land Öster­reich etwa, im Bun­des­land Ober­ös­ter­reich, wird neben dem Regie­rungs­chef (wie in der Schweiz ein Pri­mus inter Pares) die acht­köp­fi­ge Regie­rung durch einen Pro­porz zusam­men­ge­setzt (für mathe­ma­tisch begeis­ter­te Leser: Es wird nach dem D’Hondt-Verfahren berech­net, eines von meh­re­ren mög­li­chen zur Berech­nung des Pro­por­zes). Ab einer gewis­sen Sitz­zahl im Par­la­ment erhält die Par­tei min­des­tens einen Regie­rungs­sitz. Wie in der Schweiz ist das Motiv, die Regie­rung aus den mass­geb­li­chen im Par­la­ment ver­tre­te­nen Par­tei­en zu bil­den. Dis­kus­sio­nen infol­ge der Par­la­ments­wah­len über die par­tei­po­li­ti­sche Zusam­men­set­zung der Exe­ku­ti­ve erüb­ri­gen sich aber.

Auch ein Modell für die Schweiz?

Ein Gegen­ar­gu­ment wird sein, die Zusam­men­set­zung des Bun­des­rats sei kei­ne rein mathe­ma­ti­sche Ange­le­gen­heit, son­dern Fak­to­ren wie der Wil­le zur Zusam­men­ar­beit soll­ten zäh­len, ein gewis­ser Stil des Poli­ti­sie­rens, Kon­sens­fä­hig­keit usw. Wer­te, die mit einem fes­ten Pro­porz gewiss wei­ter­hin bestün­den – sind sie doch in ers­ter Linie von der gewähl­ten Per­son abhängig.

Ein wei­te­rer Ein­spruch: Par­tei­en müss­ten ihren Erfolg min­des­tens in der dar­auf­fol­gen­den Wahl bestä­ti­gen, erst dann kön­ne man über­haupt dar­über nach­den­ken, ob ein Anspruch auf einen Bun­des­rats­sitz (in der Zukunft) bestün­de. Zumal die Nicht­wie­der­wahl eines bis­he­ri­gen Bun­des­rats nicht oppor­tun sei und die per­so­nel­le Kon­ti­nui­tät einer Regie­rung ein Qua­li­täts­merk­mal. Doch: Ein fes­ter Pro­porz bewirkt gera­de, dass die Par­tei­en erst ab einer gewis­sen Schwel­le in der Exe­ku­ti­ve wären. Die Wäh­ler­be­we­gun­gen müss­ten eine tek­to­ni­sche Ver­schie­bung mit sich brin­gen, damit es zu einer ande­ren Regie­rung kom­men könn­te. Die par­tei­po­li­ti­sche und per­so­nel­le Kon­ti­nui­tät blie­be bestehen, wie auch die wich­ti­ge Wahl­funk­ti­on des Par­la­ments. Denn: Auch mit einem fes­ten Pro­porz darf es kei­nen per­so­nel­len Wahl­zwang geben.

Eine kla­re, ver­bind­li­che Rege­lung kann ent­las­tend wir­ken. Denn kaum wird eine Wahl­um­fra­ge publi­ziert, folgt die Debat­te, ob die­se oder jene Par­tei auf Kos­ten einer ande­ren einen Bun­des­rats­sitz bean­spru­che. Oder ob die­ses oder jenes poli­ti­sche Lager unter sich die Sit­ze auf­zu­tei­len habe. Wie auf einem Basar wird hüben wie drü­ben mit Argu­men­ten gefeilscht: Zutref­fen­de, bei­spiels­wei­se Sit­ze im Stän­de­rat zu berück­sich­ti­gen (was eine fol­ge­rich­ti­ge Kon­se­quenz aus dem gleich­be­rech­tig­ten Zwei­kam­mer­sys­tem wäre). Aber auch sehr weit her­ge­hol­te. Zurück bleibt ein zwie­späl­ti­ger Ein­druck: Ist die ein­ge­setz­te Ener­gie und Auf­merk­sam­keit für sol­che Dis­kus­sio­nen ange­sichts der aktu­el­len poli­ti­schen Lage und den wahr­lich nicht weni­gen und viel­fäl­ti­gen Her­aus­for­de­run­gen im Landesinteresse?

Par­la­ments­wah­len sind demo­kra­tie­po­li­tisch von gros­ser Wich­tig­keit. In ihrer Fol­ge wird das Ergeb­nis der wäh­ler­stär­ke­ren Par­tei­en par­tei­po­li­tisch im Bun­des­rat abge­bil­det – womit wir wie­der am Anfang des Arti­kels ange­langt sind: 52 Tage, 1’248 Stun­den – und dann? Mit einem Wech­sel von der frei­wil­li­gen Zau­ber­for­mel hin zu einem fest­ge­leg­ten Pro­porz (die Berech­nungs­me­tho­de gilt es fest­zu­le­gen) wür­de der Wunsch, die mass­geb­li­chen Par­tei­en in den Bun­des­rat ein­zu­bin­den, objek­ti­vier­bar. Der «Zau­ber» der Einig­keit dies­be­züg­lich blie­be bestehen, der Pro­porz wäre Aus­druck des typi­schen schwei­ze­risch poli­ti­schen Sys­tems als Kon­sens- und Refe­ren­dums­de­mo­kra­tie. Der Fokus der Par­la­ments­wah­len könn­te weg von der bun­des­rät­li­chen auf die aktu­el­len Pro­ble­me und die par­tei­po­li­ti­schen Ant­wor­ten gerich­tet wer­den. Aus mei­ner Sicht wäre dies bes­ser für das Landesinteresse.

Hin­weis: Die­ser Bei­trag erschien erst­mals am 30. Okto­ber als Gast­bei­trag im Sonn­tags­blick.


Bild: admin.ch

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