Charisma im Rechts-Populismus: Vergleich der Sichtweisen des (de facto) Parteichefs und Parteivertretern in der SVP

Der ‘cha­ris­ma­ti­sche Lea­der’ ist ein wie­der­keh­ren­des The­ma in der Lite­ra­tur über rechts­po­pu­lis­ti­sche Par­tei­en wobei argu­men­tiert wird, dass Cha­ris­ma für den Erfolg die­ser Par­tei­en wich­tig ist. In den meis­ten Stu­di­en wer­den cha­ris­ma­ti­sche Füh­rungs­per­sön­lich­kei­ten aber nur aus der Sicht der Anhän­ger bewer­tet und kei­ne Aus­sa­gen über die Per­spek­ti­ven der Lea­der for­mu­liert. Der Fall der SVP zeigt, dass eine star­ke orga­ni­sa­to­ri­sche Struk­tur die Bestän­dig­keit der Par­tei weni­ger von der cha­ris­ma­ti­schen Füh­rungs­per­sön­lich­keit abhän­gig macht und zu Bemü­hun­gen um Ent­per­so­na­li­sie­rung füh­ren kann.

Oft wird der «cha­ris­ma­ti­sche Lea­der» als wesent­li­ches Merk­mal von rechts­po­pu­lis­ti­schen Par­tei­en beschrie­ben. Ande­re hin­ge­gen sehen cha­ris­ma­ti­sche Füh­rung als Fak­tor, der für den Erfolg von rechts­po­pu­lis­ti­schen Par­tien dien­lich, aber nicht zwin­gend ist. Das ist ins­be­son­de­re der Fall, wenn eine Par­tei insti­tu­tio­na­li­sier­te Struk­tu­ren hat und durch einen cha­ris­ma­ti­schen Lea­der radi­ka­li­siert (kon­ver­tiert) wur­de, wie die SVP.

Von cha­ris­ma­ti­schen Par­tei­füh­rern wird zudem ange­nom­men, dass sie aus­ser­ge­wöhn­li­che Qua­li­tä­ten wie zum Bei­spiel per­sön­li­che Auto­ri­tät und rhe­to­ri­sche Über­zeu­gungs­kraft besit­zen. In den meis­ten Stu­di­en wer­den aber – basie­rend auf dem Ansatz von Max Weber – die­se Qua­li­tä­ten nur aus der Sicht der Anhän­ger (Par­tei­ver­tre­ter) bewer­tet. Wir wis­sen nicht, ob Par­tei­füh­rer selbst an den Wert ihrer so-genannt cha­ris­ma­ti­schen Qua­li­tä­ten glau­ben oder ob sie ein­fach gut dar­in sind, die Anhän­ger dar­an glau­ben zu lassen.

Charisma und Institutionalisierung in rechtspopulistischen Parteien

Es stellt sich also die Fra­ge, ob und wie sich die Wahr­neh­mung cha­ris­ma­ti­scher Qua­li­tä­ten zwi­schen dem (de fac­to) Par­tei­chef und Par­tei­ver­tre­tern inner­halb einer kon­ver­tier­ten rechts­po­pu­lis­ti­schen Par­tei unter­schei­det und inwie­weit sie von der Par­tei­or­ga­ni­sa­ti­on und Insti­tu­tio­na­li­sie­rung abhängt. Ich ana­ly­sie­re die­se Ange­bots- und Nach­fra­ge­sei­te von cha­ris­ma­ti­scher Füh­rung basie­rend auf Inter­views mit 34 SVP-Ver­tre­tern (26 Män­ner, 8 Frau­en) und einem län­ge­ren Inter­view mit Chris­toph Blo­cher. Für die Stu­die stütz­te ich mich auf eine Rei­he von Merk­ma­len cha­ris­ma­ti­scher Füh­rung: poli­ti­sche Mis­si­on, per­sön­li­che Auto­ri­tät, und die Bekämp­fung von Widersachern.

Um die Fra­ge der unter­schied­li­chen Wahr­neh­mun­gen zu unter­su­chen, kom­bi­nie­re ich Webers theo­re­ti­schen Ansatz zu cha­ris­ma­ti­schen Bin­dun­gen mit Annah­men aus der Popu­lis­mus-For­schung, dass cha­ris­ma­ti­sche Qua­li­tä­ten ein intrinsi­sches Merk­mal sind. Zwei­tens gehe ich davon aus, dass der Insti­tu­tio­na­li­sie­rungs­grad der Par­tei die Wahr­neh­mung von Cha­ris­ma beein­flusst. Cha­ris­ma­ti­sche Füh­rung kann zur Kon­so­li­die­rung einer Par­tei bei­tra­gen, sie kann aber auch ihre Wei­ter­ent­wick­lung verzögern.

Empirische Analyse: Beidseitige Wahrnehmungen von Charisma

In Bezug auf die aus­ser­ge­wöhn­li­chen Qua­li­tä­ten des Par­tei­chefs und sei­ne Mis­si­on attes­tier­ten die Par­tei­ver­tre­ter Blo­cher gros­ses Orga­ni­sa­ti­ons­ta­lent, Enga­ge­ment und Weit­sicht. In der Tat war Blo­chers Fähig­keit, die Par­tei zu insti­tu­tio­na­li­sie­ren, ein Erfolgs­fak­tor für die SVP. Eini­ge Ver­tre­ter wie­sen jedoch auf Blo­chers ideo­lo­gi­sche Domi­nanz hin, die ihrer Mei­nung nach nicht hilf­reich ist, um neue Wäh­ler­schich­ten anzu­spre­chen. Ihre Aus­sa­gen deu­ten auf eine schwä­che­re Form cha­ris­ma­ti­scher Bezie­hung hin. Blo­cher, sieht sich dage­gen eher als Patron, der die Par­tei als Instru­ment benutzt, um sei­ne idea­lis­ti­schen Zie­le zum Woh­le des Lan­des und sei­ner Bewoh­ner verfolgt.

Was die Auto­ri­tät Blo­chers betrifft, so gaben vie­le Ver­tre­ter an, dass er immer noch einen gewis­sen Ein­fluss aus­übt, aber sie bezwei­fel­ten des­sen Nut­zen für die Bestän­dig­keit der SVP, und wehr­ten sich gegen das Image als «Blo­cher-Par­tei». Blo­cher selbst war weni­ger besorgt um die Auf­recht­erhal­tung sei­nes auto­ri­tä­ren Ein­flus­ses und ver­mit­tel­te ein zwei­deu­ti­ges Bild von star­ker Füh­rung. Er war sich sei­ner ein­fluss­rei­chen Rol­le bewusst, sieht sich jedoch als jemand, dem die Ent­schei­dungs­au­to­no­mie der Par­tei wich­ti­ger ist, weil sie der “wah­ren Auto­ri­tät”, den Bür­gern der Schweiz, dient.

Betrach­tet man die Wahr­neh­mung der Wider­sa­cher, so prä­sen­tiert die SVP ein kohä­ren­tes Bild. Ideo­lo­gisch sind die Wider­sa­cher (EU, Ein­wan­de­rer, Isla­mis­ten) klar defi­niert. Par­tei-intern wur­den jedoch kan­to­na­le Span­nun­gen deut­lich. Par­tei­ver­tre­ter aus Bern stell­ten Blo­cher oft als Teil des aggres­si­ven Zür­cher Flü­gels der SVP dar. Blo­cher war sich die­ser Wahr­neh­mun­gen bewusst, behaup­te­te aber, dass die­se Debat­ten ledig­lich ein The­ma für SVP-Poli­ti­ker und nicht für ein­fa­che Mit­glie­der sei­en. Er selbst ver­stand sich auch nicht als Teil die­ses poli­ti­schen Estab­lish­ments, son­dern nutz­te sei­ne Stel­lung, um die ein­fa­chen Bür­ger gegen das poli­ti­sche Estab­lish­ment zu verteidigen.

Ist Blocher charismatisch?

Die Ergeb­nis­se legen nahe, dass die SVP-Ver­tre­ter durch­aus kri­tisch auf Blo­chers cha­ris­ma­ti­sche Füh­rungs­qua­li­tä­ten reagie­ren. Im Gegen­satz dazu sieht Blo­cher sei­ne cha­ris­ma­ti­sche Aura als logi­sches Neben­pro­dukt sei­ner intrinsi­schen Moti­va­ti­on, den Schwei­zer Bür­gern zu die­nen und die Unab­hän­gig­keit der Schweiz gegen den Wil­len des poli­ti­schen Estab­lish­ments zu bewahren.

Eini­ge Inter­view­part­ner mach­ten deut­lich, dass die SVP als eigen­stän­di­ge Par­tei ohne Blo­cher funk­tio­nie­ren müs­se und woll­ten sich auf die künf­ti­ge orga­ni­sa­to­ri­sche Aus­rich­tung und neue The­men wie Kli­ma­wan­del kon­zen­trie­ren, um Mit­glie­der und Wäh­ler zu gewin­nen. Die Wahl­ver­lus­te bei den eid­ge­nös­si­schen Wah­len 2019 und Blo­chers ange­kün­dig­ter Rück­tritt im Jahr 2020 bie­ten daher die Gele­gen­heit einer pro­gram­ma­ti­schen und orga­ni­sa­to­ri­schen Neu­aus­rich­tung der SVP.

Die Ergeb­nis­se müs­sen aller­dings im spe­zi­fi­schen Kon­text der trans­for­ma­ti­ven Schlüs­sel­rol­le Blo­chers inner­halb der SVP ver­stan­den wer­den. Blo­cher hat mit der Insti­tu­tio­na­li­sie­rung und Radi­ka­li­sie­rung einer ehe­mals schwach orga­ni­sier­ten kon­ser­va­ti­ven Par­tei ein blei­ben­des Ver­mächt­nis hin­ter­las­sen. Es kann daher noch eini­ge Zeit dau­ern, bis die SVP-Mit­glie­der und die Öffent­lich­keit die Par­tei von der Asso­zia­ti­on mit Blo­cher als cha­ris­ma­ti­schem Archi­tek­ten des Erfolgs ent­kop­pelt haben.


Refe­renz:

  • Favero, A. (2022): Cha­ris­ma in Right-Wing Popu­lism: Com­pa­ring the view of the Lea­der and Fol­lo­wers wit­hin the Swiss People’s Par­ty. Swiss Poli­ti­cal Sci­ence Review https://doi.org/10.1111/spsr.12510.

Bild: flickr.com

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