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Charisma im Rechts-Populismus: Vergleich der Sichtweisen des (de facto) Parteichefs und Parteivertretern in der SVP

Adrian Favero
5th Mai 2022

Der ‘charismatische Leader’ ist ein wiederkehrendes Thema in der Literatur über rechtspopulistische Parteien wobei argumentiert wird, dass Charisma für den Erfolg dieser Parteien wichtig ist. In den meisten Studien werden charismatische Führungspersönlichkeiten aber nur aus der Sicht der Anhänger bewertet und keine Aussagen über die Perspektiven der Leader formuliert. Der Fall der SVP zeigt, dass eine starke organisatorische Struktur die Beständigkeit der Partei weniger von der charismatischen Führungspersönlichkeit abhängig macht und zu Bemühungen um Entpersonalisierung führen kann.

Oft wird der «charismatische Leader» als wesentliches Merkmal von rechtspopulistischen Parteien beschrieben. Andere hingegen sehen charismatische Führung als Faktor, der für den Erfolg von rechtspopulistischen Partien dienlich, aber nicht zwingend ist. Das ist insbesondere der Fall, wenn eine Partei institutionalisierte Strukturen hat und durch einen charismatischen Leader radikalisiert (konvertiert) wurde, wie die SVP.

Von charismatischen Parteiführern wird zudem angenommen, dass sie aussergewöhnliche Qualitäten wie zum Beispiel persönliche Autorität und rhetorische Überzeugungskraft besitzen. In den meisten Studien werden aber – basierend auf dem Ansatz von Max Weber – diese Qualitäten nur aus der Sicht der Anhänger (Parteivertreter) bewertet. Wir wissen nicht, ob Parteiführer selbst an den Wert ihrer so-genannt charismatischen Qualitäten glauben oder ob sie einfach gut darin sind, die Anhänger daran glauben zu lassen.

Charisma und Institutionalisierung in rechtspopulistischen Parteien

Es stellt sich also die Frage, ob und wie sich die Wahrnehmung charismatischer Qualitäten zwischen dem (de facto) Parteichef und Parteivertretern innerhalb einer konvertierten rechtspopulistischen Partei unterscheidet und inwieweit sie von der Parteiorganisation und Institutionalisierung abhängt. Ich analysiere diese Angebots- und Nachfrageseite von charismatischer Führung basierend auf Interviews mit 34 SVP-Vertretern (26 Männer, 8 Frauen) und einem längeren Interview mit Christoph Blocher. Für die Studie stützte ich mich auf eine Reihe von Merkmalen charismatischer Führung: politische Mission, persönliche Autorität, und die Bekämpfung von Widersachern.

Um die Frage der unterschiedlichen Wahrnehmungen zu untersuchen, kombiniere ich Webers theoretischen Ansatz zu charismatischen Bindungen mit Annahmen aus der Populismus-Forschung, dass charismatische Qualitäten ein intrinsisches Merkmal sind. Zweitens gehe ich davon aus, dass der Institutionalisierungsgrad der Partei die Wahrnehmung von Charisma beeinflusst. Charismatische Führung kann zur Konsolidierung einer Partei beitragen, sie kann aber auch ihre Weiterentwicklung verzögern.

Empirische Analyse: Beidseitige Wahrnehmungen von Charisma

In Bezug auf die aussergewöhnlichen Qualitäten des Parteichefs und seine Mission attestierten die Parteivertreter Blocher grosses Organisationstalent, Engagement und Weitsicht. In der Tat war Blochers Fähigkeit, die Partei zu institutionalisieren, ein Erfolgsfaktor für die SVP. Einige Vertreter wiesen jedoch auf Blochers ideologische Dominanz hin, die ihrer Meinung nach nicht hilfreich ist, um neue Wählerschichten anzusprechen. Ihre Aussagen deuten auf eine schwächere Form charismatischer Beziehung hin. Blocher, sieht sich dagegen eher als Patron, der die Partei als Instrument benutzt, um seine idealistischen Ziele zum Wohle des Landes und seiner Bewohner verfolgt.

Was die Autorität Blochers betrifft, so gaben viele Vertreter an, dass er immer noch einen gewissen Einfluss ausübt, aber sie bezweifelten dessen Nutzen für die Beständigkeit der SVP, und wehrten sich gegen das Image als «Blocher-Partei». Blocher selbst war weniger besorgt um die Aufrechterhaltung seines autoritären Einflusses und vermittelte ein zweideutiges Bild von starker Führung. Er war sich seiner einflussreichen Rolle bewusst, sieht sich jedoch als jemand, dem die Entscheidungsautonomie der Partei wichtiger ist, weil sie der "wahren Autorität", den Bürgern der Schweiz, dient.

Betrachtet man die Wahrnehmung der Widersacher, so präsentiert die SVP ein kohärentes Bild. Ideologisch sind die Widersacher (EU, Einwanderer, Islamisten) klar definiert. Partei-intern wurden jedoch kantonale Spannungen deutlich. Parteivertreter aus Bern stellten Blocher oft als Teil des aggressiven Zürcher Flügels der SVP dar. Blocher war sich dieser Wahrnehmungen bewusst, behauptete aber, dass diese Debatten lediglich ein Thema für SVP-Politiker und nicht für einfache Mitglieder seien. Er selbst verstand sich auch nicht als Teil dieses politischen Establishments, sondern nutzte seine Stellung, um die einfachen Bürger gegen das politische Establishment zu verteidigen.

Ist Blocher charismatisch?

Die Ergebnisse legen nahe, dass die SVP-Vertreter durchaus kritisch auf Blochers charismatische Führungsqualitäten reagieren. Im Gegensatz dazu sieht Blocher seine charismatische Aura als logisches Nebenprodukt seiner intrinsischen Motivation, den Schweizer Bürgern zu dienen und die Unabhängigkeit der Schweiz gegen den Willen des politischen Establishments zu bewahren.

Einige Interviewpartner machten deutlich, dass die SVP als eigenständige Partei ohne Blocher funktionieren müsse und wollten sich auf die künftige organisatorische Ausrichtung und neue Themen wie Klimawandel konzentrieren, um Mitglieder und Wähler zu gewinnen. Die Wahlverluste bei den eidgenössischen Wahlen 2019 und Blochers angekündigter Rücktritt im Jahr 2020 bieten daher die Gelegenheit einer programmatischen und organisatorischen Neuausrichtung der SVP.

Die Ergebnisse müssen allerdings im spezifischen Kontext der transformativen Schlüsselrolle Blochers innerhalb der SVP verstanden werden. Blocher hat mit der Institutionalisierung und Radikalisierung einer ehemals schwach organisierten konservativen Partei ein bleibendes Vermächtnis hinterlassen. Es kann daher noch einige Zeit dauern, bis die SVP-Mitglieder und die Öffentlichkeit die Partei von der Assoziation mit Blocher als charismatischem Architekten des Erfolgs entkoppelt haben.


Referenz:

  • Favero, A. (2022): Charisma in Right-Wing Populism: Comparing the view of the Leader and Followers within the Swiss People’s Party. Swiss Political Science Review https://doi.org/10.1111/spsr.12510.

Bild: flickr.com