Die Arbeiterschaft für Le Pen (aber nicht für Mélenchon), die Führungskräfte für Macron

Le Pen schnitt in der ers­ten Run­de der fran­zö­si­schen Prä­si­dent­schafts­wah­len in den Regio­nen gut ab, die einen höhe­ren Anteil an Arbei­te­rin­nen und Arbei­tern auf­wei­sen. Macron wur­de dort gut gewählt, wo mehr Füh­rungs­kräf­te leben. Mélen­chon hol­te vor allem in Orten mit hete­ro­ge­ner und jün­ge­rer Bevöl­ke­rung vie­le Stimmen.

Die ers­te Run­de der fran­zö­si­schen Prä­si­dent­schafts­wah­len fand am 10. April statt. Ent­spre­chend den Trend­ana­ly­sen im Vor­feld der Wahl lagen Emma­nu­el Macron und Mari­ne Le Pen mit 27,9% bzw. 23,1% der Stim­men an der Spit­ze, gefolgt von Jean-Luc Mélen­chon (22 %). Wie las­sen sich die gros­sen Unter­schie­de ihres Abschnei­dens in den unter­schied­li­chen fran­zö­si­schen Wahl­krei­sen erklären?

Daten und Methoden
Im Fol­gen­den wer­den die Deter­mi­nan­ten des Ergeb­nis­ses der drei best­plat­zier­ten Kan­di­die­ren­den in den 539 Wahl­krei­sen Frank­reichs unter­sucht. Dies mit­tels Daten des INSEE, wel­che bei der letz­ten Volks­zäh­lung erho­ben wur­den und ins­be­son­de­re die sozio­lo­gi­sche Zusam­men­set­zung der Wahl­krei­se betref­fen. Es han­delt sich um eine Ana­ly­se von aggre­gier­te Daten. Die Ergeb­nis­se der Daten­ana­ly­se las­sen sich nicht direkt auf indi­vi­du­el­le Ver­hal­tens­wei­sen extra­po­lie­ren. Den­noch ver­mit­teln sie eine Vor­stel­lung der sozio­de­mo­gra­fi­schen Merk­ma­le der Wahl­krei­se, in denen die ein­zel­nen Kan­di­die­ren­den die bes­ten Ergeb­nis­se erzielten.
Zusammenhang Arbeiterschaft und individuelle Wahlergebnisse

Ein ers­tes inter­es­san­tes Ergeb­nis besteht dar­in, die Bezie­hung zwi­schen dem Anteil der Arbeiter:innen und dem Ergeb­nis der drei Kan­di­die­ren­den im ers­ten Wahl­gang zu betrach­ten. Dabei zeigt sich eine kla­re posi­ti­ve Bezie­hung zwi­schen dem Arbei­ter­an­teil und dem Ergeb­nis von Mari­ne Le Pen pro Wahlkreis.

Im Durch­schnitt schnitt die Kan­di­da­tin des Ras­sem­ble­ment Natio­nal in den Wahl­krei­sen mit einem höhe­ren Arbei­ter­an­teil bes­ser ab, wäh­rend die­ser Zusam­men­hang für Emma­nu­el Macron und Jean-Luc Mélen­chon nega­tiv aus­fällt, zumin­dest in die­sen biva­ria­ten Ana­ly­sen, die kei­ne ande­ren Varia­blen berück­sich­ti­gen. Im End­ef­fekt erklärt der Arbei­ter­an­teil fast die Hälf­te der Vari­anz der Le Pen-Stim­men in den fran­zö­si­schen Wahlkreisen.

Abbildung 1: Anteil der Arbeiter:innen in den französischen Wahlkreisen und Ergebnis von Marine Le Pen, Emmanuel Macron und Jean-Luc Mélenchon im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen 2022

Zusammenhang Ausländeranteil und individuelle Wahlergebnisse

Ein wei­te­rer inter­es­san­ter Zusam­men­hang ist der zwi­schen dem Anteil der aus­län­di­schen Bür­ge­rin­nen und Bür­ger und den Ergeb­nis­sen in der ers­ten Runde.

Mari­ne Le Pen und ihre Par­tei haben die Begren­zung der Ein­wan­de­rung zu ihrem Haupt­an­lie­gen gemacht. Aller­dings lässt sich fest­stel­len, dass ihre Kan­di­da­tur in den Gebie­ten viel bes­ser abschnei­det, in denen es weni­ger Ausländer:innen gibt (Abbil­dung 2). Die­ser Indi­ka­tor misst aber nur den Anteil der Per­so­nen, die nicht die fran­zö­si­sche Staats­bür­ger­schaft besit­zen, und nicht den Anteil der Bürger:innen mit Migrationshintergrund.

Den­noch lässt sich eine star­ke Kor­re­la­ti­on zwi­schen die­sen bei­den Indi­ka­to­ren ver­mu­ten. Ein bemer­kens­wer­tes Phä­no­men ist hier der star­ke Zusam­men­hang zwi­schen dem Aus­län­der­an­teil und dem Ergeb­nis von Jean-Luc Mélen­chon. Bei­spiels­wei­se erhielt Mélen­chon in eini­gen Wahl­krei­sen in Sei­ne-St-Denis, einem Depar­te­ment mit einem hohen Anteil an Ausländer:innen und Men­schen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund, mehr als die Hälf­te der abge­ge­be­nen Stimmen.

Abbildung 2: Anteil der Ausländer:innen in den französischen Wahlkreisen und Ergebnis von Marine Le Pen, Emmanuel Macron und Jean-Luc Mélenchon im ersten Wahlgang 2022

Die Hochburgen der Kandidierenden unterscheiden sich stark

Den­noch kön­nen die­se Zusam­men­hän­ge irre­füh­rend sein, wenn man sie getrennt betrach­tet, da man nicht weiß, wie die ver­schie­de­nen Varia­blen unter­ein­an­der kor­re­lie­ren. Die fol­gen­de Abbil­dung 3 zeigt die Ergeb­nis­se einer linea­ren Regres­si­on, die ver­schie­de­ne Indi­ka­to­ren kom­bi­niert, um das Abschnei­den der drei Kan­di­die­ren­den zu erklä­ren. Auf die­se Wei­se kann man die (nega­ti­ve oder posi­ti­ve) Wir­kung jedes Indi­ka­tors im Ver­gleich mit den ande­ren kontrollieren.

Die­se Ana­ly­se bestä­tigt den posi­ti­ven Zusam­men­hang des Aus­län­der­an­teils mit Mélen­chons Ergeb­nis: Jeder zusätz­li­che Pro­zent­punkt Aus­län­der­an­teil in einem Wahl­kreis ist im Durch­schnitt mit einem um 1,14% höhe­ren Pro­zent­punkt für den Kan­di­da­ten von La Fran­ce Inso­u­mi­se ver­bun­den. Auch der Anteil älte­rer Men­schen wirkt sich nega­tiv auf sein Ergeb­nis aus, was ten­den­zi­ell dar­auf hin­deu­tet, dass Mélen­chon dort bes­ser abschnei­det, wo die Bevöl­ke­rung viel­fäl­ti­ger und jün­ger ist. In die­ser Hin­sicht gibt es gewis­se Ähn­lich­kei­ten mit dem, was wir über die Wahl von Ber­nie San­ders in den USA wis­sen.

Abbildung 3: Regressionskoeffizienten der Ergebnisse von Macron, Le Pen und Mélenchon in den französischen Wahlkreisen

Emma­nu­el Macron wie­der­um erzielt dort bes­se­re Ergeb­nis­se, wo der Anteil der älte­ren Men­schen grö­ßer ist, wo mehr Füh­rungs­kräf­te leben und auch dort, wo es mehr Arbeiter:innen gibt, sobald man ande­re Fak­to­ren kontrolliert.

Inter­es­san­ter­wei­se ist die Bezie­hung zwi­schen dem Anteil der Arbeiter:innen und dem Anteil der Stim­men für Mélen­chon nega­tiv, im Gegen­satz zu dem, was wir für Mari­ne Le Pen beob­ach­ten. Dies kann als über­ra­schen­des Ergeb­nis betrach­tet wer­den, da häu­fig davon aus­ge­gan­gen wur­de, dass Mélen­chon und Le Pen auf die glei­che Wäh­ler­schaft aus dem Volk abzie­len und ein nicht uner­heb­li­cher Anteil der Mélen­chon-Wäh­len­den angibt, im zwei­ten Wahl­gang für Le Pen stim­men zu wol­len. Doch die Wahl­krei­se, in denen die bei­den Kan­di­die­ren­den ihre höchs­ten Ergeb­nis­se erzie­len, sind aus sozio­lo­gi­scher Sicht sehr unterschiedlich.


Bild: Ely­sée-Palast in Paris

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