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Die Arbeiterschaft für Le Pen (aber nicht für Mélenchon), die Führungskräfte für Macron

Alexandre Afonso
20th April 2022

Le Pen schnitt in der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahlen in den Regionen gut ab, die einen höheren Anteil an Arbeiterinnen und Arbeitern aufweisen. Macron wurde dort gut gewählt, wo mehr Führungskräfte leben. Mélenchon holte vor allem in Orten mit heterogener und jüngerer Bevölkerung viele Stimmen.

Die erste Runde der französischen Präsidentschaftswahlen fand am 10. April statt. Entsprechend den Trendanalysen im Vorfeld der Wahl lagen Emmanuel Macron und Marine Le Pen mit 27,9% bzw. 23,1% der Stimmen an der Spitze, gefolgt von Jean-Luc Mélenchon (22 %). Wie lassen sich die grossen Unterschiede ihres Abschneidens in den unterschiedlichen französischen Wahlkreisen erklären?

Daten und Methoden
Im Folgenden werden die Determinanten des Ergebnisses der drei bestplatzierten Kandidierenden in den 539 Wahlkreisen Frankreichs untersucht. Dies mittels Daten des INSEE, welche bei der letzten Volkszählung erhoben wurden und insbesondere die soziologische Zusammensetzung der Wahlkreise betreffen. Es handelt sich um eine Analyse von aggregierte Daten. Die Ergebnisse der Datenanalyse lassen sich nicht direkt auf individuelle Verhaltensweisen extrapolieren. Dennoch vermitteln sie eine Vorstellung der soziodemografischen Merkmale der Wahlkreise, in denen die einzelnen Kandidierenden die besten Ergebnisse erzielten.

Zusammenhang Arbeiterschaft und individuelle Wahlergebnisse

Ein erstes interessantes Ergebnis besteht darin, die Beziehung zwischen dem Anteil der Arbeiter:innen und dem Ergebnis der drei Kandidierenden im ersten Wahlgang zu betrachten. Dabei zeigt sich eine klare positive Beziehung zwischen dem Arbeiteranteil und dem Ergebnis von Marine Le Pen pro Wahlkreis.

Im Durchschnitt schnitt die Kandidatin des Rassemblement National in den Wahlkreisen mit einem höheren Arbeiteranteil besser ab, während dieser Zusammenhang für Emmanuel Macron und Jean-Luc Mélenchon negativ ausfällt, zumindest in diesen bivariaten Analysen, die keine anderen Variablen berücksichtigen. Im Endeffekt erklärt der Arbeiteranteil fast die Hälfte der Varianz der Le Pen-Stimmen in den französischen Wahlkreisen.

Abbildung 1: Anteil der Arbeiter:innen in den französischen Wahlkreisen und Ergebnis von Marine Le Pen, Emmanuel Macron und Jean-Luc Mélenchon im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen 2022

Zusammenhang Ausländeranteil und individuelle Wahlergebnisse

Ein weiterer interessanter Zusammenhang ist der zwischen dem Anteil der ausländischen Bürgerinnen und Bürger und den Ergebnissen in der ersten Runde.

Marine Le Pen und ihre Partei haben die Begrenzung der Einwanderung zu ihrem Hauptanliegen gemacht. Allerdings lässt sich feststellen, dass ihre Kandidatur in den Gebieten viel besser abschneidet, in denen es weniger Ausländer:innen gibt (Abbildung 2). Dieser Indikator misst aber nur den Anteil der Personen, die nicht die französische Staatsbürgerschaft besitzen, und nicht den Anteil der Bürger:innen mit Migrationshintergrund.

Dennoch lässt sich eine starke Korrelation zwischen diesen beiden Indikatoren vermuten. Ein bemerkenswertes Phänomen ist hier der starke Zusammenhang zwischen dem Ausländeranteil und dem Ergebnis von Jean-Luc Mélenchon. Beispielsweise erhielt Mélenchon in einigen Wahlkreisen in Seine-St-Denis, einem Departement mit einem hohen Anteil an Ausländer:innen und Menschen mit Migrationshintergrund, mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen.

Abbildung 2: Anteil der Ausländer:innen in den französischen Wahlkreisen und Ergebnis von Marine Le Pen, Emmanuel Macron und Jean-Luc Mélenchon im ersten Wahlgang 2022

Die Hochburgen der Kandidierenden unterscheiden sich stark

Dennoch können diese Zusammenhänge irreführend sein, wenn man sie getrennt betrachtet, da man nicht weiß, wie die verschiedenen Variablen untereinander korrelieren. Die folgende Abbildung 3 zeigt die Ergebnisse einer linearen Regression, die verschiedene Indikatoren kombiniert, um das Abschneiden der drei Kandidierenden zu erklären. Auf diese Weise kann man die (negative oder positive) Wirkung jedes Indikators im Vergleich mit den anderen kontrollieren.

Diese Analyse bestätigt den positiven Zusammenhang des Ausländeranteils mit Mélenchons Ergebnis: Jeder zusätzliche Prozentpunkt Ausländeranteil in einem Wahlkreis ist im Durchschnitt mit einem um 1,14% höheren Prozentpunkt für den Kandidaten von La France Insoumise verbunden. Auch der Anteil älterer Menschen wirkt sich negativ auf sein Ergebnis aus, was tendenziell darauf hindeutet, dass Mélenchon dort besser abschneidet, wo die Bevölkerung vielfältiger und jünger ist. In dieser Hinsicht gibt es gewisse Ähnlichkeiten mit dem, was wir über die Wahl von Bernie Sanders in den USA wissen.

Abbildung 3: Regressionskoeffizienten der Ergebnisse von Macron, Le Pen und Mélenchon in den französischen Wahlkreisen

Emmanuel Macron wiederum erzielt dort bessere Ergebnisse, wo der Anteil der älteren Menschen größer ist, wo mehr Führungskräfte leben und auch dort, wo es mehr Arbeiter:innen gibt, sobald man andere Faktoren kontrolliert.

Interessanterweise ist die Beziehung zwischen dem Anteil der Arbeiter:innen und dem Anteil der Stimmen für Mélenchon negativ, im Gegensatz zu dem, was wir für Marine Le Pen beobachten. Dies kann als überraschendes Ergebnis betrachtet werden, da häufig davon ausgegangen wurde, dass Mélenchon und Le Pen auf die gleiche Wählerschaft aus dem Volk abzielen und ein nicht unerheblicher Anteil der Mélenchon-Wählenden angibt, im zweiten Wahlgang für Le Pen stimmen zu wollen. Doch die Wahlkreise, in denen die beiden Kandidierenden ihre höchsten Ergebnisse erzielen, sind aus soziologischer Sicht sehr unterschiedlich.


Bild: Elysée-Palast in Paris