Es war einmal in der Schweiz… Eine Geschichte über Verwaltungsräte, Geschäftsführungen und einige Frauen

Im Jahr 2018 beschloss der Natio­nal­rat, Schwel­len­wer­te für Frau­en­quo­ten in den Füh­rungs­eta­gen von Schwei­zer Unter­neh­men ein­zu­füh­ren. Er traf die­se Ent­schei­dung mit nur einer Stim­me Dif­fe­renz. Nach der Abstim­mung ging ein Tohu­wa­bo­hu durch die Rän­ge unter der Bun­des­haus­kup­pel. Die Frak­tio­nen rech­ne­ten ab und wie­sen die Urhe­be­rin­nen und Urhe­ber der abwei­chen­den Frak­ti­ons­stim­men in die Schran­ken. Wie lässt sich die­ser uner­war­te­te Sieg für Links erklä­ren? Und wie kann die­ses Tohu­wa­bo­hu erklärt werden?

Mit der Annah­me von Arti­kel 734f des Akti­en­rechts (AG) im Natio­nal­rat am 14. Juni 2018 fin­det die 1975 durch ein Pos­tu­lat ange­sto­ße­ne Debat­te über Frau­en­quo­ten in den Füh­rungs­eta­gen der Schwei­zer Unter­neh­men vor­läu­fi­ges Ende. Kon­kret sah der ent­spre­chen­de Arti­kel für an der Bör­se kotier­te Unter­neh­men die Schaf­fung von Schwel­len­wer­ten für die Ver­tre­tung bei­der Geschlech­ter in Ver­wal­tungs­rä­ten (je min­des­tens 30%) und Geschäfts­füh­run­gen (je min­des­tens 20%) vor. Über­gangs­fris­ten wur­den auf fünf respek­ti­ve zehn Jah­re fest­ge­legt und auf die Fest­schrei­bung von Sank­tio­nen war ver­zich­tet wor­den. Statt­des­sen müs­sen Unter­neh­men nach der Logik «com­ply or exp­lain» bei Nicht­er­fül­lung der Quo­ten die Grün­de für die­sen Umstand darlegen.

Nach einer hef­ti­gen, mehr­stün­di­gen Debat­te nahm der Natio­nal­rat 2018 den Arti­kel 734f in extre­mis mit 95 zu 94 Stim­men an – sie­ben Par­la­ments­mit­glie­der waren wäh­rend der Abstim­mung abwe­send. Die poli­ti­schen Par­tei­en hat­ten zuvor noch ein­mal ihre Argu­men­te dar­ge­legt: Auf der einen Sei­te wie­sen die Mehr­heit der Kan­to­ne, die poli­ti­schen Par­tei­en, ins­be­son­de­re aus dem rech­ten Lager, und Wirt­schafts­ver­bän­de auf eine über­mä­ßi­ge staat­li­che Ein­mi­schung, Wett­be­werbs­ver­zer­run­gen, die Untaug­lich­keit der Lösung und Schwie­rig­kei­ten für Unter­neh­men bei der Rekru­tie­rung geeig­ne­ter Kan­di­da­tin­nen hin und setz­ten sich für ein Nein ein. Auf der ande­ren Sei­te erach­te­te man einen Ein­griff in die Wirt­schafts­frei­heit als zuläs­sig, wobei auf die lang­sa­me Ent­wick­lung der Ver­tre­tung von Frau­en in Füh­rungs­eta­gen sowie auf die Ein­füh­rung ähn­li­cher Mass­nah­men in ande­ren euro­päi­schen Län­dern ver­wie­sen wurde.

Ins­ge­samt ist der Arti­kel 734f eine geschick­te poli­ti­sche Kon­struk­ti­on, die sich stra­te­gi­sches Wis­sen aus zahl­rei­chen par­la­men­ta­ri­schen Vor­stö­ßen, die vor allem aus dem lin­ken Lager, aber auch von der grün­li­be­ra­len Par­tei stamm­ten und seit vie­len Jah­ren im Par­la­ment prä­sent sind, in Bezug auf das poli­tisch Mach­ba­re zu eigen mach­te. Bei­spiels­wei­se beschränkt Arti­kel 734f sei­nen Anwen­dungs­be­reich auf gro­ße bör­sen­ko­tier­te Unter­neh­men, um das Wirt­schafts­ge­fü­ge der KMU nicht zu beein­träch­ti­gen. Die dar­in vor­ge­schla­ge­nen Schwel­len­wer­te sind zudem nied­ri­ger als in den erwähn­ten par­la­men­ta­ri­schen Vor­stös­sen und anstel­le eines Sank­ti­ons­me­cha­nis­mus tritt das Prin­zip «com­ply or exp­lain». Der Erfolg im Natio­nal­rat bestä­tigt auch den Ent­scheid von Bun­des­rä­tin Simo­net­ta Som­ma­ru­ga, die den Arti­kel 734f initi­iert hat­te, trotz der wäh­rend des Ver­nehm­las­sungs­ver­fah­rens geäus­ser­ten Vor­be­hal­te an der Rege­lung festzuhalten.

Im Detail erklär­te sich der Sieg anhand der fünf fol­gen­den Punkte:

  • Ers­tens zeig­te sich das links-grü­ne Lager geeint und dis­zi­pli­niert, womit es die Stim­men in den eige­nen Rän­gen maxi­mie­ren konn­te. Neben dem, dass es weder abwei­chen­de noch ent­hal­ten­de Stim­men in die­sem Lager gab, war auch kein ein­zi­ges lin­kes Par­la­ments­mit­glied bei der Abstim­mung abwe­send, womit der Arti­kel bereits 12 Stim­men der Grü­nen und 43 Stim­men der SP auf sich ver­ei­nen konnte.
  • Zwei­tens liess sich die CVP vom indi­ka­ti­ven Cha­rak­ter der Quo­ten­re­ge­lung sowie vom Prin­zip des «com­ply or exp­lain», über­zeu­gen, da damit der für sie pro­ble­ma­ti­sche Aspekt von Sank­tio­nen umgan­gen wer­den konn­te. 22 befür­wor­ten­den Stim­men stan­den in der CVP nur drei Stim­men von männ­li­chen Dis­si­den­ten (und zwei Ent­hal­tun­gen) ent­ge­gen, was die Annah­me des Arti­kels 734f bereits in greif­ba­re­re Nähe brachte.
  • Drit­tens unter­stütz­te die GLP indi­ka­ti­ve Quo­ten seit ihrer Moti­on 13.4285, mit der sie den Grund­satz des «com­ply or exp­lain» ins Spiel gebracht hat­te. So unter­stütz­ten die die sechs anwe­sen­den Mit­glie­der der GLP den Artikel.
  • Vier­tens spra­chen sich fünf Par­la­ments­mit­glie­der der FDP ent­ge­gen ihrer Frak­ti­on für den Arti­kel aus. Dar­über hin­aus waren drei Waadt­län­der FDP-Natio­nal­rä­te bei der Abstim­mung abwe­send und stärk­ten so wohl zumin­dest indi­rekt das Lager der Befürwortenden.
  • Die geschlos­sen dage­gen stim­men­de SVP hat­te eine Abwe­sen­heit zu ver­zeich­nen – plus Ali­ce Glau­ser, die sich der Stim­me ent­hielt. Die­ser muti­ge Ent­schluss zur Stimm­ent­hal­tung der Waadt­län­der SVP-Natio­nal­rä­tin führ­te dazu, dass sie bei Vor­lie­gen des Stimm­ergeb­nis­ses von einem Mit­glied ihrer Frak­ti­on sofort und laut­stark zur Ord­nung geru­fen wurde.

So ende­te die­se his­to­ri­sche Debat­te also mit einem Tohu­wa­bo­hu. Der Prä­si­dent des Natio­nal­rats, Domi­ni­que de Buman, muss­te ein­grei­fen, um die Frak­tio­nen auf­zu­for­dern, ihre Rech­nun­gen außer­halb der Sit­zung zu beglei­chen. Die­ses Tohu­wa­bo­hu spie­gel­te sowohl das Gefühl eines poli­ti­schen Sie­ges für die Lin­ke als auch die Frus­tra­ti­on über eine ver­meid­ba­re Nie­der­la­ge bei der Rech­ten wider. Die­ser Lärm hin­ter­lässt aber auch den Ein­druck, dass die Geschich­te der Quo­ten­re­ge­lung wohl noch nicht zu Ende ist. Denn soll­te nun die Frau­en­ver­tre­tung in den Füh­rungs­eta­gen in der Fol­ge tat­säch­lich stei­gen, wird das die Lin­ke auf die Annah­me des Arti­kels 734f zurück­füh­ren, wäh­rend sich die rech­ten Par­tei­en auf den Stand­punkt stel­len wer­den, dass die­se Ent­wick­lung bereits vor­her begon­nen habe und die Selbst­re­gu­lie­rung der Wirt­schaft funk­tio­nie­re. Sie wer­den folg­lich die Unge­duld des Gesetz­ge­bers kri­ti­sie­ren und für eine Rück­nah­me der Quo­te plä­die­ren. Soll­te der Frau­en­an­teil in den Füh­rungs­eta­gen der Schwei­zer Unter­neh­men hin­ge­gen sta­gnie­ren, wird die Lin­ke für einen Sank­ti­ons­me­cha­nis­mus plä­die­ren und die Rech­te wird argu­men­tie­ren, dass Quo­ten nicht das rich­ti­ge Instru­ment sei­en. Die­ses Tohu­wa­bo­hu gleicht also nicht zuletzt dem typi­schen Geräusch einer Pau­se. Es bleibt abzu­war­ten, wie der nächs­te Akt aus­se­hen wird.


Refe­renz: 

Bild: unsplash.com

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