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Es war einmal in der Schweiz… Eine Geschichte über Verwaltungsräte, Geschäftsführungen und einige Frauen

Guillaume Zumofen
10th Dezember 2021

Im Jahr 2018 beschloss der Nationalrat, Schwellenwerte für Frauenquoten in den Führungsetagen von Schweizer Unternehmen einzuführen. Er traf diese Entscheidung mit nur einer Stimme Differenz. Nach der Abstimmung ging ein Tohuwabohu durch die Ränge unter der Bundeshauskuppel. Die Fraktionen rechneten ab und wiesen die Urheberinnen und Urheber der abweichenden Fraktionsstimmen in die Schranken. Wie lässt sich dieser unerwartete Sieg für Links erklären? Und wie kann dieses Tohuwabohu erklärt werden?

Mit der Annahme von Artikel 734f des Aktienrechts (AG) im Nationalrat am 14. Juni 2018 findet die 1975 durch ein Postulat angestoßene Debatte über Frauenquoten in den Führungsetagen der Schweizer Unternehmen vorläufiges Ende. Konkret sah der entsprechende Artikel für an der Börse kotierte Unternehmen die Schaffung von Schwellenwerten für die Vertretung beider Geschlechter in Verwaltungsräten (je mindestens 30%) und Geschäftsführungen (je mindestens 20%) vor. Übergangsfristen wurden auf fünf respektive zehn Jahre festgelegt und auf die Festschreibung von Sanktionen war verzichtet worden. Stattdessen müssen Unternehmen nach der Logik «comply or explain» bei Nichterfüllung der Quoten die Gründe für diesen Umstand darlegen.

Nach einer heftigen, mehrstündigen Debatte nahm der Nationalrat 2018 den Artikel 734f in extremis mit 95 zu 94 Stimmen an – sieben Parlamentsmitglieder waren während der Abstimmung abwesend. Die politischen Parteien hatten zuvor noch einmal ihre Argumente dargelegt: Auf der einen Seite wiesen die Mehrheit der Kantone, die politischen Parteien, insbesondere aus dem rechten Lager, und Wirtschaftsverbände auf eine übermäßige staatliche Einmischung, Wettbewerbsverzerrungen, die Untauglichkeit der Lösung und Schwierigkeiten für Unternehmen bei der Rekrutierung geeigneter Kandidatinnen hin und setzten sich für ein Nein ein. Auf der anderen Seite erachtete man einen Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit als zulässig, wobei auf die langsame Entwicklung der Vertretung von Frauen in Führungsetagen sowie auf die Einführung ähnlicher Massnahmen in anderen europäischen Ländern verwiesen wurde.

Insgesamt ist der Artikel 734f eine geschickte politische Konstruktion, die sich strategisches Wissen aus zahlreichen parlamentarischen Vorstößen, die vor allem aus dem linken Lager, aber auch von der grünliberalen Partei stammten und seit vielen Jahren im Parlament präsent sind, in Bezug auf das politisch Machbare zu eigen machte. Beispielsweise beschränkt Artikel 734f seinen Anwendungsbereich auf große börsenkotierte Unternehmen, um das Wirtschaftsgefüge der KMU nicht zu beeinträchtigen. Die darin vorgeschlagenen Schwellenwerte sind zudem niedriger als in den erwähnten parlamentarischen Vorstössen und anstelle eines Sanktionsmechanismus tritt das Prinzip «comply or explain». Der Erfolg im Nationalrat bestätigt auch den Entscheid von Bundesrätin Simonetta Sommaruga, die den Artikel 734f initiiert hatte, trotz der während des Vernehmlassungsverfahrens geäusserten Vorbehalte an der Regelung festzuhalten.

Im Detail erklärte sich der Sieg anhand der fünf folgenden Punkte:

  • Erstens zeigte sich das links-grüne Lager geeint und diszipliniert, womit es die Stimmen in den eigenen Rängen maximieren konnte. Neben dem, dass es weder abweichende noch enthaltende Stimmen in diesem Lager gab, war auch kein einziges linkes Parlamentsmitglied bei der Abstimmung abwesend, womit der Artikel bereits 12 Stimmen der Grünen und 43 Stimmen der SP auf sich vereinen konnte.
  • Zweitens liess sich die CVP vom indikativen Charakter der Quotenregelung sowie vom Prinzip des «comply or explain», überzeugen, da damit der für sie problematische Aspekt von Sanktionen umgangen werden konnte. 22 befürwortenden Stimmen standen in der CVP nur drei Stimmen von männlichen Dissidenten (und zwei Enthaltungen) entgegen, was die Annahme des Artikels 734f bereits in greifbarere Nähe brachte.
  • Drittens unterstützte die GLP indikative Quoten seit ihrer Motion 13.4285, mit der sie den Grundsatz des «comply or explain» ins Spiel gebracht hatte. So unterstützten die die sechs anwesenden Mitglieder der GLP den Artikel.
  • Viertens sprachen sich fünf Parlamentsmitglieder der FDP entgegen ihrer Fraktion für den Artikel aus. Darüber hinaus waren drei Waadtländer FDP-Nationalräte bei der Abstimmung abwesend und stärkten so wohl zumindest indirekt das Lager der Befürwortenden.
  • Die geschlossen dagegen stimmende SVP hatte eine Abwesenheit zu verzeichnen – plus Alice Glauser, die sich der Stimme enthielt. Dieser mutige Entschluss zur Stimmenthaltung der Waadtländer SVP-Nationalrätin führte dazu, dass sie bei Vorliegen des Stimmergebnisses von einem Mitglied ihrer Fraktion sofort und lautstark zur Ordnung gerufen wurde.

So endete diese historische Debatte also mit einem Tohuwabohu. Der Präsident des Nationalrats, Dominique de Buman, musste eingreifen, um die Fraktionen aufzufordern, ihre Rechnungen außerhalb der Sitzung zu begleichen. Dieses Tohuwabohu spiegelte sowohl das Gefühl eines politischen Sieges für die Linke als auch die Frustration über eine vermeidbare Niederlage bei der Rechten wider. Dieser Lärm hinterlässt aber auch den Eindruck, dass die Geschichte der Quotenregelung wohl noch nicht zu Ende ist. Denn sollte nun die Frauenvertretung in den Führungsetagen in der Folge tatsächlich steigen, wird das die Linke auf die Annahme des Artikels 734f zurückführen, während sich die rechten Parteien auf den Standpunkt stellen werden, dass diese Entwicklung bereits vorher begonnen habe und die Selbstregulierung der Wirtschaft funktioniere. Sie werden folglich die Ungeduld des Gesetzgebers kritisieren und für eine Rücknahme der Quote plädieren. Sollte der Frauenanteil in den Führungsetagen der Schweizer Unternehmen hingegen stagnieren, wird die Linke für einen Sanktionsmechanismus plädieren und die Rechte wird argumentieren, dass Quoten nicht das richtige Instrument seien. Dieses Tohuwabohu gleicht also nicht zuletzt dem typischen Geräusch einer Pause. Es bleibt abzuwarten, wie der nächste Akt aussehen wird.


Referenz: 

Bild: unsplash.com