Online-Kurse und internationale Studierendenmobilität

Können Online-Kurse die internationale Studierendenmobilität ersetzen?

Online-Ver­an­stal­tun­gen wer­den von den meis­ten Stu­die­ren­den mit „Dau­men seit­wärts“ ein­ge­schätzt. Einer­seits wün­schen sie sich lie­ber Prä­senz­ver­an­stal­tun­gen, ins­be­son­de­re, wenn die­se den Besuch einer inter­na­tio­na­len Lehr­ver­an­stal­tung in einem ande­ren Land bedeu­ten. Ande­rer­seits schät­zen sie Online-Ver­an­stal­tun­gen, denn die­se brin­gen sie im Stu­di­um wei­ter, sind mit wenig bzw. kei­nem logis­ti­schen Auf­wand ver­knüpft, wei­sen gerin­ge­re Kos­ten auf und ermög­li­chen einen leich­te­ren vir­tu­el­len Kon­takt zu Kommiliton:innen.

Es stellt sich also die Frage, ob Online-Kurse auf Dauer Präsenzveranstaltungen ersetzen können?

Seit zehn Jah­ren bie­ten die Hoch­schu­le Osna­brück (Deutsch­land) [1] und die Uni­ver­si­tät Mal­mö (Schwe­den) gemein­sam mit wei­te­ren Part­nern den Kurs “Inter­na­tio­nal Social Work” an. Die­ser Kurs ermög­licht Stu­die­ren­den der Sozia­len Arbeit aller koope­rie­ren­den Hoch­schu­len einen jeweils zwei­wö­chi­gen Gast­auf­ent­halt an den Stand­or­ten der Partnerhochschulen.

Die Vorteile der internationalen Studierendenmobilität

Unter­su­chun­gen [2] zur phy­si­schen Stu­die­ren­den­mo­bi­li­tät zei­gen, dass der inter­na­tio­na­le Aus­tausch zur kul­tu­rel­len Ver­stän­di­gung und zum sozia­len Zusam­men­halt bei­trägt. Stu­di­en zei­gen auch, dass die­se Aus­tausch­ver­an­stal­tun­gen einen posi­ti­ven Ein­fluss auf die per­sön­li­chen und fach­li­chen Fähig­kei­ten sowie die Kar­rie­re­aus­sich­ten der Stu­die­ren­den haben. Die Erkennt­nis­se aus unse­rem Kurs “Inter­na­tio­nal Social Work” decken sich mit die­sen Erkennt­nis­sen. Unse­re Stu­die­ren­den berich­ten, dass sie per­sön­li­che Kon­tak­te zu Stu­die­ren­den aus ande­ren Län­dern geknüpft haben und über ihr eige­nes pro­fes­sio­nel­les Ver­ständ­nis von Sozi­al­ar­beit und ihre Rol­le als Sozialarbeiter:innen reflek­tie­ren konnten. 

Stu­den­ti­sche Kom­men­ta­re [3] zuguns­ten des inter­na­tio­na­len Aus­tau­sches sind bei­spiels­wei­se: “It’s inte­res­ting to meet stu­dents from other coun­tries, to hear how Social Work is orga­ni­zed and view­ed the­re”; “We lear­ned to reflect on our own social sys­tem, to judge the advan­ta­ges and dis­ad­van­ta­ges”;  “We lear­ned about the cross-bor­der under­stan­ding of dif­fe­rent aspects of key terms in social work”; so wie “We lear­ned about the stu­dent envi­ron­ment in ano­t­her coun­try.

Genau­so wich­tig sind die nicht-for­ma­len Set­tings. Die Stu­die­ren­den­ver­tre­tung der Uni­ver­si­tät Mal­mö lädt die Stu­die­ren­den zu einem gemüt­li­chen Bei­sam­men­sein in die eige­ne Knei­pe ein. Die Stu­die­ren­den orga­ni­sie­ren gemein­sam Ver­an­stal­tun­gen wie z.B. inter­na­tio­na­le Koche­vents in der ört­li­chen Jugend­her­ber­ge. Besu­che bei loka­len Orga­ni­sa­tio­nen ver­mit­teln einen unmit­tel­ba­ren Ein­druck vom Leben und Arbei­ten in den Ein­rich­tun­gen und Gemein­den und vor Ort.

Ersetzen Online-Kurse den internationalen Austausch? 

Auf­grund der glo­ba­len Pan­de­mie, die durch das COVID-19-Virus aus­ge­löst wur­de, schlos­sen im Früh­ling des Jah­res 2021 Hoch­schu­len in ganz Euro­pa vor­über­ge­hend ihre Stand­or­te. Inter­na­tio­na­li­sie­rung und Mobi­li­tät waren die ers­ten Opfer [4]. Unser inter­na­tio­na­ler Kurs, der ursprüng­lich in Mal­mö statt­fin­den soll­te, wur­de auf ein Online-For­mat umge­stellt und fand im Febru­ar 2021 statt. Der Kurs an der Part­ner­hoch­schu­le in Sierre (Schweiz), der für Juli 2021 geplant war, wur­de eben­falls auf online umgelegt.

Bestehen­de Unter­su­chun­gen [1] lie­fern kei­ne ein­deu­ti­gen Bele­ge für die Vor­tei­le vir­tu­el­ler For­ma­te im Ver­gleich zur phy­si­schen Mobi­li­tät. Ein offen­sicht­li­ches Argu­ment dafür ist, dass Online-Mee­tings Rei­se­kos­ten und Zeit spa­ren. Unse­re Stu­die­ren­den berich­te­ten, dass sie sich die Unter­kunft spa­ren konn­ten und in der Lage waren, an inter­na­tio­na­len Kur­sen teil­zu­neh­men, obwohl sie ande­re Ter­mi­ne im eige­nen Land hat­ten. Das macht das Online-For­mat flexibler.

Außer­dem hat­ten sie die Mög­lich­keit, Stu­die­ren­de aus ver­schie­de­nen Län­dern online zu tref­fen. Sie schätz­ten beson­ders die vie­len Brea­k­out-Ses­si­ons, in denen sie in klei­ne­ren Grup­pen The­men ihres Inter­es­ses dis­ku­tie­ren konn­ten. Dies mach­te die Stu­di­en­erfah­rung inten­si­ver, und sie konn­ten eini­ges über die ver­schie­de­nen Bedin­gun­gen und Schwer­punk­te in Bezug auf ande­re Län­der lernen.

Dies ist jedoch kaum ver­gleich­bar mit den inten­si­ven Erfah­run­gen und Begeg­nun­gen, die im Rah­men eines Prä­senz­mo­duls gemacht wer­den kön­nen sowie logi­scher­wei­se mit den damit ver­bun­de­nen All­tags­er­fah­run­gen in einer frem­den Kultur.

Eine Osna­brü­cker Stu­den­tin, die wir um ein dies­be­züg­li­ches State­ment gebe­ten hat­ten, fasst zum Bei­spiel inter­kul­tu­rel­les Bewusst­sein und trans­ver­sa­le Fähig­kei­ten wie folgt zusammen:

Es ist etwas Ande­res, wenn man vor Ort in einem ande­ren Land ist, die Ein­hei­mi­schen, ande­re inter­na­tio­na­le Stu­die­ren­de Face-to-Face trifft. Bezie­hun­gen ent­wi­ckeln sich anders und man nimmt das Land und die Leu­te anders war. Man bekommt über die Vor­le­sun­gen hin­aus mehr von dem Land als auch von den Leu­ten mit. Man trifft sich bei­spiels­wei­se nach den Vor­le­sun­gen noch auf einen Kaf­fee oder geht abends zusam­men aus. Dies ist online nicht mög­lich.

Da die Lern­er­fah­rung somit nur auf die in einer Vor­le­sung ver­brach­te Zeit beschränkt ist, geht ein wich­ti­ger Aspekt des inter­na­tio­na­len Aus­tauschs im vir­tu­el­len Raum ver­lo­ren. Wäh­rend es das Haupt­ziel von Bil­dungs­ein­rich­tun­gen ist, den Stu­die­ren­den „Hard Skills“ bei­zu­brin­gen, haben sie auch die Ver­ant­wor­tung, sozi­al ver­ant­wort­li­che Bürger:innen in einer immer stär­ker ver­netz­ten Welt zu for­men. Dies kann auf Dau­er nicht nur durch vir­tu­el­le Kon­tak­te erreicht wer­den. Die Opti­on eines Online-Kur­ses war bes­ser als gar kein Kurs, und die Stu­die­ren­den waren dank­bar dafür. Trotz­dem wären sie lie­ber nach Schwe­den bzw. in die Schweiz gefahren. 


Prof. Dr. Joa­chim Thön­nes­sen, Hoch­schu­le Osna­brück, Deutsch­land. Sozi­al­wis­sen­schaf­ten. Leh­re in den Berei­chen Sozio­lo­gie in der Sozia­len Arbeit, Empi­ri­sche Metho­den, Ille­ga­le und lega­le Dro­gen, Yoga. For­schung auf den Gebie­ten der zeit­ge­nös­si­schen Weis­heit und des Yoga.

Dr. Mari­ja Stam­bo­lie­va, Hoch­schu­le Osna­brück, Deutsch­land. Cur­ri­cul­ums­ent­wick­lung vor dem Hin­ter­grund der Digi­ta­li­sie­rung. Dozen­tin für die Zukunft der Arbeit, euro­päi­sche Sozi­al­po­li­tik und wis­sen­schaft­li­che Methoden.


[1] https://www.hs-osnabrueck.de/studium/studienangebot/bachelor/soziale-arbeit-ba/studienverlauf/#c3086; zuge­grif­fen im Juli 2021

[2] https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/BRIE/2020/629217/IPOL_BRI(2020)629217_EN.pdf; zuge­grif­fen im Juli 2021

[3] http://muep.mau.se/bitstream/handle/2043/22795/SocWorkEducationInInternContext.pdf; zuge­grif­fen im Juli 2021

[4] https://eua.eu/downloads/publications/briefing_european%20higher%20education%20in%20the%20covid-19%20crisis.pdf; zuge­grif­fen im Juli 2021


Anmer­kung: Die­ser Blog ist zuerst auf Eng­lisch beim Natio­nal Cen­ter of Com­pe­tence in Rese­arch – The Migra­ti­on-Mobi­li­ty Nexus erschienen.

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