1

Online-Kurse und internationale Studierendenmobilität

Marija Stambolieva, Joachim Thönnessen
4th August 2021

Können Online-Kurse die internationale Studierendenmobilität ersetzen?

Online-Veranstaltungen werden von den meisten Studierenden mit „Daumen seitwärts“ eingeschätzt. Einerseits wünschen sie sich lieber Präsenzveranstaltungen, insbesondere, wenn diese den Besuch einer internationalen Lehrveranstaltung in einem anderen Land bedeuten. Andererseits schätzen sie Online-Veranstaltungen, denn diese bringen sie im Studium weiter, sind mit wenig bzw. keinem logistischen Aufwand verknüpft, weisen geringere Kosten auf und ermöglichen einen leichteren virtuellen Kontakt zu Kommiliton:innen.

Es stellt sich also die Frage, ob Online-Kurse auf Dauer Präsenzveranstaltungen ersetzen können?

Seit zehn Jahren bieten die Hochschule Osnabrück (Deutschland) [1] und die Universität Malmö (Schweden) gemeinsam mit weiteren Partnern den Kurs “International Social Work” an. Dieser Kurs ermöglicht Studierenden der Sozialen Arbeit aller kooperierenden Hochschulen einen jeweils zweiwöchigen Gastaufenthalt an den Standorten der Partnerhochschulen.

Die Vorteile der internationalen Studierendenmobilität

Untersuchungen [2] zur physischen Studierendenmobilität zeigen, dass der internationale Austausch zur kulturellen Verständigung und zum sozialen Zusammenhalt beiträgt. Studien zeigen auch, dass diese Austauschveranstaltungen einen positiven Einfluss auf die persönlichen und fachlichen Fähigkeiten sowie die Karriereaussichten der Studierenden haben. Die Erkenntnisse aus unserem Kurs "International Social Work" decken sich mit diesen Erkenntnissen. Unsere Studierenden berichten, dass sie persönliche Kontakte zu Studierenden aus anderen Ländern geknüpft haben und über ihr eigenes professionelles Verständnis von Sozialarbeit und ihre Rolle als Sozialarbeiter:innen reflektieren konnten. 

Studentische Kommentare [3] zugunsten des internationalen Austausches sind beispielsweise: “It’s interesting to meet students from other countries, to hear how Social Work is organized and viewed there”; “We learned to reflect on our own social system, to judge the advantages and disadvantages”;  “We learned about the cross-border understanding of different aspects of key terms in social work”; so wie “We learned about the student environment in another country.

Genauso wichtig sind die nicht-formalen Settings. Die Studierendenvertretung der Universität Malmö lädt die Studierenden zu einem gemütlichen Beisammensein in die eigene Kneipe ein. Die Studierenden organisieren gemeinsam Veranstaltungen wie z.B. internationale Kochevents in der örtlichen Jugendherberge. Besuche bei lokalen Organisationen vermitteln einen unmittelbaren Eindruck vom Leben und Arbeiten in den Einrichtungen und Gemeinden und vor Ort.

Ersetzen Online-Kurse den internationalen Austausch?

Aufgrund der globalen Pandemie, die durch das COVID-19-Virus ausgelöst wurde, schlossen im Frühling des Jahres 2021 Hochschulen in ganz Europa vorübergehend ihre Standorte. Internationalisierung und Mobilität waren die ersten Opfer [4]. Unser internationaler Kurs, der ursprünglich in Malmö stattfinden sollte, wurde auf ein Online-Format umgestellt und fand im Februar 2021 statt. Der Kurs an der Partnerhochschule in Sierre (Schweiz), der für Juli 2021 geplant war, wurde ebenfalls auf online umgelegt.

Bestehende Untersuchungen [1] liefern keine eindeutigen Belege für die Vorteile virtueller Formate im Vergleich zur physischen Mobilität. Ein offensichtliches Argument dafür ist, dass Online-Meetings Reisekosten und Zeit sparen. Unsere Studierenden berichteten, dass sie sich die Unterkunft sparen konnten und in der Lage waren, an internationalen Kursen teilzunehmen, obwohl sie andere Termine im eigenen Land hatten. Das macht das Online-Format flexibler.

Außerdem hatten sie die Möglichkeit, Studierende aus verschiedenen Ländern online zu treffen. Sie schätzten besonders die vielen Breakout-Sessions, in denen sie in kleineren Gruppen Themen ihres Interesses diskutieren konnten. Dies machte die Studienerfahrung intensiver, und sie konnten einiges über die verschiedenen Bedingungen und Schwerpunkte in Bezug auf andere Länder lernen.

Dies ist jedoch kaum vergleichbar mit den intensiven Erfahrungen und Begegnungen, die im Rahmen eines Präsenzmoduls gemacht werden können sowie logischerweise mit den damit verbundenen Alltagserfahrungen in einer fremden Kultur.

Eine Osnabrücker Studentin, die wir um ein diesbezügliches Statement gebeten hatten, fasst zum Beispiel interkulturelles Bewusstsein und transversale Fähigkeiten wie folgt zusammen:

Es ist etwas Anderes, wenn man vor Ort in einem anderen Land ist, die Einheimischen, andere internationale Studierende Face-to-Face trifft. Beziehungen entwickeln sich anders und man nimmt das Land und die Leute anders war. Man bekommt über die Vorlesungen hinaus mehr von dem Land als auch von den Leuten mit. Man trifft sich beispielsweise nach den Vorlesungen noch auf einen Kaffee oder geht abends zusammen aus. Dies ist online nicht möglich.

Da die Lernerfahrung somit nur auf die in einer Vorlesung verbrachte Zeit beschränkt ist, geht ein wichtiger Aspekt des internationalen Austauschs im virtuellen Raum verloren. Während es das Hauptziel von Bildungseinrichtungen ist, den Studierenden „Hard Skills“ beizubringen, haben sie auch die Verantwortung, sozial verantwortliche Bürger:innen in einer immer stärker vernetzten Welt zu formen. Dies kann auf Dauer nicht nur durch virtuelle Kontakte erreicht werden. Die Option eines Online-Kurses war besser als gar kein Kurs, und die Studierenden waren dankbar dafür. Trotzdem wären sie lieber nach Schweden bzw. in die Schweiz gefahren. 


Prof. Dr. Joachim Thönnessen, Hochschule Osnabrück, Deutschland. Sozialwissenschaften. Lehre in den Bereichen Soziologie in der Sozialen Arbeit, Empirische Methoden, Illegale und legale Drogen, Yoga. Forschung auf den Gebieten der zeitgenössischen Weisheit und des Yoga.

Dr. Marija Stambolieva, Hochschule Osnabrück, Deutschland. Curriculumsentwicklung vor dem Hintergrund der Digitalisierung. Dozentin für die Zukunft der Arbeit, europäische Sozialpolitik und wissenschaftliche Methoden.


[1] https://www.hs-osnabrueck.de/studium/studienangebot/bachelor/soziale-arbeit-ba/studienverlauf/#c3086; zugegriffen im Juli 2021

[2] https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/BRIE/2020/629217/IPOL_BRI(2020)629217_EN.pdf; zugegriffen im Juli 2021

[3] http://muep.mau.se/bitstream/handle/2043/22795/SocWorkEducationInInternContext.pdf; zugegriffen im Juli 2021

[4] https://eua.eu/downloads/publications/briefing_european%20higher%20education%20in%20the%20covid-19%20crisis.pdf; zugegriffen im Juli 2021


Anmerkung: Dieser Blog ist zuerst auf Englisch beim National Center of Competence in Research – The Migration-Mobility Nexus erschienen.