Frauen im Schweizer Kulturbetrieb massiv untervertreten

Ein Orches­ter diri­gie­ren, ein Thea­ter­stück insze­nie­ren oder einen Musik­preis gewin­nen – ste­hen die­se Mög­lich­kei­ten Frau­en genau­so offen wie Män­nern? Und ver­die­nen sie dabei gleich viel? Eine Unter­su­chung des Fach­be­reichs Gen­der Stu­dies der Uni­ver­si­tät Basel zeigt: Es gibt Nachholbedarf.

In der Schweiz ist wenig sys­te­ma­ti­sches Wis­sen dar­über vor­han­den, wie sich die Geschlech­ter­ver­hält­nis­se im Kul­tur­be­reich prä­sen­tie­ren. Geschlech­ter­spe­zi­fi­sche Daten und Sta­tis­ti­ken feh­len in vie­len Kul­tur­be­trie­ben und in der Kulturförderung.

Ver­schie­de­ne Akteu­rin­nen und Akteu­re aus dem Kul­tur­be­reich und der Kul­tur­po­li­tik for­dern des­halb seit eini­ger Zeit eine umfas­sen­de Stu­die zum The­ma Chan­cen­gleich­heit, zumal die ange­mes­se­ne Ver­tre­tung der Geschlech­ter in der Kul­tur­bran­che ein Ziel der Kul­tur­po­li­tik des Bun­des ist (Kul­tur­bot­schaft 2021–2024).

Schlech­te Datenlage
Um zu eru­ie­ren, wo gege­be­nen­falls Nach­hol­be­darf besteht, haben For­schen­de des Zen­trums Gen­der Stu­dies der Uni­ver­si­tät Basel gemein­sam mit der Social Insight GmbH die Situa­ti­on in der Schweiz im Rah­men einer Vor­stu­die genau­er unter­sucht. Dies geschah im Auf­trag der Stif­tung Pro Hel­ve­tia und des Swiss Cen­ter for Social Research.

Die For­schen­den haben sich die Spar­ten Dar­stel­len­de Küns­te (Tanz und Thea­ter), Lite­ra­tur, Musik und Visu­el­le Kunst vor­ge­nom­men. Dabei ana­ly­sier­ten sie Daten von ins­ge­samt 38 Kul­tur­häu­sern und ‑betrie­ben, 16 Betriebs- und Pro­duk­ti­ons­ver­bän­den sowie 17 Berufs­ver­bän­den. In die Unter­su­chung mit­ein­be­zo­gen wur­den auch 828 Prei­se und Sti­pen­di­en, die der Bund und 14 Kan­to­ne in den Jah­ren 2000 bis 2020 ver­ge­ben hat­ten. Um die quan­ti­ta­ti­ven Ergeb­nis­se inter­pre­tie­ren zu kön­nen, haben die For­schen­den ver­teilt auf die vier Spar­ten zusätz­lich 27 qua­li­ta­ti­ve Inter­views und 14 Fach­ge­sprä­che geführt. Die Daten­la­ge ist aller­dings schlecht. «Dass so weni­ge Zah­len vor­han­den sind, hat uns erstaunt», sagt Pro­jekt­lei­te­rin Dr. Andrea Zim­mer­mann. Vor allem wenn es um Löh­ne und Hono­ra­re geht, gibt es kaum Informationen.

Tabuthema Lohn

Die Ergeb­nis­se zei­gen deut­lich: Das Ste­reo­typ des männ­li­chen Genies ist noch sehr prä­sent und hält sich hart­nä­ckig, sowohl bei Frau­en als auch bei Män­nern. «Das macht es einer­seits den Frau­en schwe­rer, in der Kul­tur­bran­che Fuss zu fas­sen, ande­rer­seits baut es auch für die Män­ner enor­men Druck auf», resü­miert Andrea Zim­mer­mann. Die Ver­ein­bar­keit von Beruf und Fami­lie ist mit der Künst­ler­fi­gur, die unab­hän­gig ist und nur für die Kunst lebt, schlecht zusammenzubringen.

Das spie­le auch beim Lohn eine Rol­le: «In der Sze­ne gilt immer noch: Über Geld spricht man nicht. Kunst macht man aus Lei­den­schaft», so die Geschlech­ter­for­sche­rin. Das füh­re zu Intrans­pa­renz oder gar zu Lohndumping.

Pre­kä­re Ein­kom­men kamen im Rah­men der Vor­stu­die geschlech­ter­über­grei­fend zur Spra­che und es gebe Hin­wei­se auf einen Gen­der Pay Gap. Aller­dings lie­gen kaum sys­te­ma­tisch erho­be­ne, kon­kre­te Zah­len aus den ein­zel­nen Spar­ten zu den aktu­el­len Lohn­ver­hält­nis­sen vor. Wei­te­re Erhe­bun­gen sei­en hier folg­lich drin­gend notwendig.

Die Musikbranche ist das Schlusslicht

Über­rascht hat die For­sche­rin auch, wie wenig Frau­en in einer Lei­tungs­po­si­ti­on den Kul­tur­be­trieb mit­ge­stal­ten. In der Spar­te Musik zeich­net sich eine beson­ders pre­kä­re Situa­ti­on ab, sowohl in Bezug auf Frau­en als Ent­schei­dungs­trä­ge­rin­nen als auch auf die Sicht­bar­keit von Künst­le­rin­nen und ihrer Werke.

Auf der Büh­ne sind sie vor allem in den Berei­chen Rock und Pop sowie im Jazz wenig sicht­bar. Am aus­ge­wo­gens­ten ist das Ver­hält­nis zwi­schen den Geschlech­tern hin­ge­gen in der Spar­te Lite­ra­tur. In man­chen Berei­chen sind hier die Frau­en gar in der Über­zahl – eine abso­lu­te Aus­nah­me im Rah­men der Vorstudie.

Nun sind Taten gefragt

Die For­schen­den emp­feh­len auf­grund ihrer Erkennt­nis­se aus der Vor­stu­die, die Lohn­the­ma­tik unter die Lupe zu neh­men. Auch der Ver­ein­bar­keit von Beruf und Fami­lie soll­te man in struk­tu­rel­ler Hin­sicht nach­ge­hen. Zudem fehlt Wis­sen über Berufs­ver­läu­fe von Kul­tur­schaf­fen­den: War­um haben sich Künst­ler und Künst­le­rin­nen für oder gegen die Fort­set­zung einer künst­le­ri­schen Lauf­bahn entschieden?

Wei­ter soll­ten die Berei­che der För­de­rung auf ver­schie­de­nen Ebe­nen sowie die Aus­bil­dung und die Hoch­schu­len näher betrach­tet und in die Aus­wer­tun­gen mit­ein­be­zo­gen wer­den. Es gel­te fer­ner, die Macht- und Abhän­gig­keits­ver­hält­nis­se zu reflek­tie­ren. «Die Ergeb­nis­se wer­den zu Dis­kus­sio­nen füh­ren», so Zim­mer­mann. Sie neh­me in der Bran­che durch­aus eine gros­se Bereit­schaft für Ver­än­de­run­gen wahr. Vie­les wer­de bereits diskutiert.

Um einen struk­tu­rel­len Wan­del vor­an­zu­trei­ben, sei es jedoch nötig, umfas­sen­de­re Daten zu den Geschlech­ter­ver­hält­nis­sen im Schwei­zer Kul­tur­be­trieb zu erhe­ben. «Nur wenn die offen­sicht­lich gewor­de­nen Wis­sens- und Daten­lü­cken gefüllt wer­den, las­sen sich geziel­te Mass­nah­men ent­wi­ckeln und umset­zen», ist Andrea Zim­mer­mann über­zeugt. Ein nach­hal­ti­ges Moni­to­ring der Zah­len lies­se zudem Schluss­fol­ge­run­gen zu, wel­che Mass­nah­men wie greifen.


Refe­renz:

  • Geschlech­ter­ver­hält­nis­se im Schwei­zer Kul­tur­be­trieb. Im Auf­trag von Pro Hel­ve­tia; Swiss Cen­ter for Social Rese­arch, Zim­mer­mann, D. Baum­gar­ten, L. Kno­bel, ZGS Uni­ver­si­tät Basel, Gloor, H. Mei­er, Social Insight GmbH

Bild: unsplash.com

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