Städte versuchen einen Aufenthaltsstatus für Sans-Papiers zu schaffen oder einen fehlenden Aufenthaltsstatus zu kompensieren. Genf ermöglicht Regularisierungen und Zürich setzt auf eine städtische Identitätskarte. Diese Beispiele verdeutlichen die Diskrepanz zwischen städtischer und nationaler Migrationspolitik.
Eine Stadt für all ihre Bewohner*innen: Das propagiert die Politik der städtischen Mitgliedschaft (urban citizenship). Städte versuchen mittels verschiedener Massnahmen Menschen ohne geregelten Status den Zugang zu städtischen Dienstleistungen zu vereinfachen – oder ihren Aufenthalt sicherer zu gestalten (siehe Kaufmann 2019 für eine Übersicht über solche städtischen Strategien). Eine solche städtische Politik fordert den Nationalstaat heraus, der die Hoheit über die Migrationspolitik für sich beansprucht.
Der Vergleich: die Opération Papyrus und die Züri City Card
Zwei aktuelle Beispiele aus Schweizer Städten vermitteln einen Eindruck, wie städtische Migrationspolitik aussehen kann: die Opération Papyrus in Genf und die Züri City Card. Opération Papyrus ist ein Regularisierungsprogramm, das sich kantonale Härtefallanträge zu Nutze macht. Genfer NGOs und Gewerkschaften haben in langjähriger Zusammenarbeit mit dem Kanton Genf eigene Regularisierungskriterien ausgearbeitet. Die NGOs und Gewerkschaften prüfen in einem ersten Schritt, ob die Personen den Kriterien von Opération Papyrus entsprechen, bevor der Antrag an die Genfer Behörden weitergeleitet wird. Operation Papyrus ermöglichte insgesamt rund 3‘000 Regularisierungen von Menschen ohne regulären Aufenthaltsstatus (Halle 2020).
Nach dem Genfer Vorbild wollte Zürich ebenfalls ein Regularisierungsprogramm aufbauen. Entsprechende Anfragen lehnte der Kanton jedoch ab. Daraufhin bekam die Idee der „Züri City Card“ Aufwind. Diese städtische ID-Karte soll Menschen ohne regulären Aufenthaltsstatus mehr Sicherheit im Alltag bieten und den Zugang zu städtischen Dienstleistungen vereinfachen. Unterstützung des Kantons gab es dafür nicht – und auch die städtische Regierung war skeptisch. Schliesslich brauchte es eine Motion im Zürcher Parlament, initiiert durch den zivilgesellschaftlichen Verein Züri City Card, damit die Zürcher Regierung gezwungen wurde, einen Vorschlag auszuarbeiteten. Die nun vorliegende Roadmap sieht es vor, die „Züri City Card“ 2025/2026 einzuführen.
Das Erfolgsrezept: Zivilgesellschaftliche Akteure die lokalen Handlungsspielraum schaffen
Die Beispiele in Genf und Zürich zeigen, wie entscheidend zivilgesellschaftliche Akteure (NGOs, Gewerkschaften, und Vereine) im politischen Prozess sind. Sie waren es, die in Genf gezielt die Kooperation mit dem Kanton suchten, in Zürich mit dem Stadtparlament. Die Lektion für eine progressive Stadtpolitik ist, dass solche Politikmassnahmen von zivilgesellschaftlichen Akteuren ausgehandelt und erkämpft werden müssen.
Die Welt schaut auf Zürich
Insbesondere das städtische Ausweisprogramm in Zürich kann für europäische Städte wegweisend werden. Der Fall Zürich ist für viele europäische Städte wichtig, da in vielen anderen Städte keine Regularisierungen möglich sind. Bereits haben wir erste internationale Reaktionen auf die Züri-City Card erhalten, die zeigen, dass andere Städte auf die Stadt Zürich schauen. Es wäre deshalb wünschenswert, wenn sich die Stadt Zürich selbstbewusst und offensiv für die Rechte von Menschen ohne regulären Aufenthaltsstatus einsetzt.
Originalartikel:
- Kaufmann, David and Dominique Strebel. 2020. Urbanizing Migration Policy-Making: Urban Policies in Support of Irregular Migrants in Geneva and Zürich. Urban Studies. https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/0042098020969342
Referenzen:
- Kaufmann, D (2019) Comparing Urban Citizenship, Sanctuary Cites, Local Bureaucratic Membership and Regularizations. Public Administration Review 79(3): 443–446.
- Halle, M (2020) Genf – Eine Ausnahme in der Schweiz. NCRR on the Move Blog. Available at: https://blog.nccr-onthemove.ch/genf-eine-ausnahme-in-der-schweiz/?lang=de
- Morlok, M, Meier, H, Oswald, A, et al. (2015) Sans-Papiers in der Schweiz 2015. Bern: Staatssekretariats für Migration (SEM). Available at: https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/illegale-migration/sans_papiers/ber-sanspapiers-2015-d.pdf
Bild: Stadt Zürich