1

Wie die städtische Politik Lösungen für Sans-Papiers voranbringt

David Kaufmann, Dominique Strebel
11th Januar 2021

Städte versuchen einen Aufenthaltsstatus für Sans-Papiers zu schaffen oder einen fehlenden Aufenthaltsstatus zu kompensieren. Genf ermöglicht Regularisierungen und Zürich setzt auf eine städtische Identitätskarte. Diese Beispiele verdeutlichen die Diskrepanz zwischen städtischer und nationaler Migrationspolitik.

Eine Stadt für all ihre Bewohner*innen: Das propagiert die Politik der städtischen Mitgliedschaft (urban citizenship). Städte versuchen mittels verschiedener Massnahmen Menschen ohne geregelten Status den Zugang zu städtischen Dienstleistungen zu vereinfachen – oder ihren Aufenthalt sicherer zu gestalten (siehe Kaufmann 2019 für eine Übersicht über solche städtischen Strategien). Eine solche städtische Politik fordert den Nationalstaat heraus, der die Hoheit über die Migrationspolitik für sich beansprucht.

Sans-Papiers
Als Personen ohne regulären Aufenthaltsstatus gelten Menschen, die nie einen Aufenthaltsstatus hatten oder die einen Aufenthaltsstatus hatten, dann aber aus diesem Status herausfielen oder ihren Status verfallen liessen. In der Schweiz leben ca. 76‘000 irreguläre Migranten, sogenannte „sans papiers“. Es wird geschätzt, dass rund 13‘000 im Kanton Genf und etwa 10‘000 im Kanton Zürich leben (Morlok et al., 2015). Das Schweizer Recht erlaubt es den Kantonen, für Personen ohne regulären Aufenthaltsstatus in schweren persönlichen Härtefällen eine Aufenthaltsbewilligung zu beantragen.

Der Vergleich: die Opération Papyrus und die Züri City Card

Zwei aktuelle Beispiele aus Schweizer Städten vermitteln einen Eindruck, wie städtische Migrationspolitik aussehen kann: die Opération Papyrus in Genf und die Züri City Card. Opération Papyrus ist ein Regularisierungsprogramm, das sich kantonale Härtefallanträge zu Nutze macht. Genfer NGOs und Gewerkschaften haben in langjähriger Zusammenarbeit mit dem Kanton Genf eigene Regularisierungskriterien ausgearbeitet. Die NGOs und Gewerkschaften prüfen in einem ersten Schritt, ob die Personen den Kriterien von Opération Papyrus entsprechen, bevor der Antrag an die Genfer Behörden weitergeleitet wird. Operation Papyrus ermöglichte insgesamt rund 3‘000 Regularisierungen von Menschen ohne regulären Aufenthaltsstatus (Halle 2020).

Nach dem Genfer Vorbild wollte Zürich ebenfalls ein Regularisierungsprogramm aufbauen. Entsprechende Anfragen lehnte der Kanton jedoch ab. Daraufhin bekam die Idee der „Züri City Card“ Aufwind. Diese städtische ID-Karte soll Menschen ohne regulären Aufenthaltsstatus mehr Sicherheit im Alltag bieten und den Zugang zu städtischen Dienstleistungen vereinfachen. Unterstützung des Kantons gab es dafür nicht – und auch die städtische Regierung war skeptisch. Schliesslich brauchte es eine Motion im Zürcher Parlament, initiiert durch den zivilgesellschaftlichen Verein Züri City Card, damit die Zürcher Regierung gezwungen wurde, einen Vorschlag auszuarbeiteten. Die nun vorliegende Roadmap sieht es vor, die „Züri City Card“ 2025/2026 einzuführen.

Das Erfolgsrezept: Zivilgesellschaftliche Akteure die lokalen Handlungsspielraum schaffen

Die Beispiele in Genf und Zürich zeigen, wie entscheidend zivilgesellschaftliche Akteure (NGOs, Gewerkschaften, und Vereine) im politischen Prozess sind. Sie waren es, die in Genf gezielt die Kooperation mit dem Kanton suchten, in Zürich mit dem Stadtparlament. Die Lektion für eine progressive Stadtpolitik ist, dass solche Politikmassnahmen von zivilgesellschaftlichen Akteuren ausgehandelt und erkämpft werden müssen.

Die Welt schaut auf Zürich

Insbesondere das städtische Ausweisprogramm in Zürich kann für europäische Städte wegweisend werden. Der Fall Zürich ist für viele europäische Städte wichtig, da in vielen anderen Städte keine Regularisierungen möglich sind. Bereits haben wir erste internationale Reaktionen auf die Züri-City Card erhalten, die zeigen, dass andere Städte auf die Stadt Zürich schauen. Es wäre deshalb wünschenswert, wenn sich die Stadt Zürich selbstbewusst und offensiv für die Rechte von Menschen ohne regulären Aufenthaltsstatus einsetzt.

Daten und Methode
In unserer Studie verglichen wir die Formulierung von städtischen Politikmassnahmen zur Unterstützung von Menschen ohne regulären Aufenthaltsstatus in Genf und Zürich. Beide Fallstudien basieren auf halbstrukturierten Interviews mit 14 Expert*innen und Dokumentenanalysen.


Originalartikel:

  • Kaufmann, David and Dominique Strebel. 2020. Urbanizing Migration Policy-Making: Urban Policies in Support of Irregular Migrants in Geneva and Zürich. Urban Studies. https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/0042098020969342

Referenzen:

Bild: Stadt Zürich