Impfstoffe gegen das neuartige SARS-CoV-2 («Coronavirus») werden als die beste Möglichkeit gesehen, um eine breite Immunisierung der Bevölkerung zu erreichen und die Pandemie mitsamt ihren extremen sozialen und wirtschaftlichen Folgen zu beenden. Am Wochenende hat die Schweiz den ersten Impfstoff zulassen. Damit die Impfung zur Erfolgsgeschichte wird, muss aber ein grosser Teil der Bevölkerung auch geimpft werden. Doch unsere Befragung zeigt, dass in der Schweiz eine grosse Impfskepsis gegen die Covidimpfung vorherrscht.
Impfstoffe gegen das neuartige SARS-CoV-2 («Coronavirus») werden von Experten wie Regierungen als die beste Möglichkeit gesehen, um eine breite Immunisierung der Bevölkerung zu erreichen und die Pandemie mitsamt ihren extremen sozialen und wirtschaftlichen Folgen zu beenden. In den USA und in Grossbritannien wurden vor kurzem erste Impfstoffe zugelassen und deren Verteilung eingeleitet, in Russland wird schon länger ein eigener Impfstoff eingesetzt und sowohl die Schweiz als auch die EU bereiten sich auf die Zulassung und Verteilung von Impfstoffen vor.
Grosse Impfskepsis in der Schweiz
Impfstrategien, ob gegen das Coronavirus oder andere Krankheiten, können allerdings nur erfolgreich sein, wenn diese auch angenommen werden und die Bürgerinnen und Bürger sich baldmöglichst impfen lassen. Im Moment ist aber nicht sicher, dass der überwiegende Teil der schweizerischen Bevölkerung einer COVID-19 Impfung auch wirklich zustimmen würde. Laufende Erhebungen von Sotomo & DemoSCOPE zeigen, dass von Anfang der Pandemie an viele Schweizer.innen sich entweder definitiv nicht impfen lassen würden oder sich diesbezüglich zumindest nicht sicher sind. Der Anteil derer, die sich sicher impfen lassen würden, schwankt seit Beginn der Pandemie zwischen ca. 50 und 60 Prozent.[1]
Mit unserer Befragung wollten die Einstellungen der Schweizer.innen nochmals und tiefer gehender untersuchen als dies bereits bestehende Befragungen taten. Einerseits wollten wir herausfinden, ob wir die oben genannten Ergebnisse selbst auch bestätigen können, aber anderseits wollten wir auch zeigen, welche Überlegungen und Sorgen hinter der Impfskepsis eines grossen Teils der Schweizer Bevölkerung stecken. Liegt es an fehlendem Vertrauen in die Sicherheit von Impfungen allgemein, an Gleichgültigkeit der Krankheit gegenüber, an Hindernissen (z.B. Alltagstress oder Unwohlsein bei Arztbesuchen), an fehlendem Verantwortungsgefühl anderen Menschen gegenüber, oder steht dahinter ein Bedürfnis nach Abwägung der Vor- und Nachteile von Impfungen?
Tatsächlich würde ein grosser Prozentsatz (16 Prozent) unserer Befragten einen COVID-19 Impfstoff unter keinen Umständen annehmen. Nur rund 22 Prozent würden sich definitiv impfen lassen und insgesamt neigt eine knappe Mehrheit von rund 56 Prozent zumindest dazu, sich impfen zu lassen. Dies entspricht grob den Ergebnissen anderer Befragungen. Ausserdem zeigen unsere Daten, dass eine geringe Impfbereitschaft in erster Linie mit einem fehlenden Vertrauen in die Sicherheit von Impfungen einhergeht. Andere Beweggründe wie Gleichgültigkeit, sorgfältiges Abwägen der Vor- und Nachteile einer Impfung, oder fehlendes Verantwortungsgefühl der Gesellschaft gegenüber sind weniger wichtig. Hindernisse wie Alltagsstress sind gänzlich irrelevant.
Unsere Ergebnisse zeigen auf, dass der Erfolg einer Impfstrategie in der Schweiz davon abhängt, ob das Vertrauen in die Sicherheit der COVID-19 Impfstoffe sowie Impfungen generell sichergestellt werden kann.
Auch in Bezug auf die Frage des Impfens zeigt sich eine gewisse Polarisierung
Unsere Befragten konnten ihre Bereitschaft, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen, auf einer Skala von 0 («überhaupt nicht bereit») bis 10 («vollkommen bereit») angeben. Abbildung 1 zeigt, wie sich die Antworten verteilen. Die grösste Gruppe (ca. 22 Prozent) sind auf der einen Seite diejenigen, welche vollkommen zustimmen, dass sie sich impfen lassen würden. Allerdings sind diejenigen, die sich definitiv nicht impfen lassen würden mit rund 16 Prozent die zweitgrösste Gruppe. Der Rest der Befragten verteilt sich zwischen den beiden Extremen, und rund 10 Prozent verorten sich genau in der Mitte der Skala (5). Über die gesamte Skala betrachtet, ist eine knappe Mehrheit (56 Prozent) der Befragten zumindest «eher» bereit sich impfen zu lassen. Eine nicht zu vernachlässigende Minderheit ist allerdings zumindest eher nicht bereit oder sich zumindest unsicher; die Spitzen an den Enden der Skala deuten darauf hin, dass die Bevölkerung bei diesem Thema zu einem Grad polarisiert ist
Welche Beweggründe stehen nun hinter der in Teilen geringen Impfbereitschaft in der Bevölkerung? In der gesundheitswissenschaftlichen Forschung wurden fünf mögliche Motivationen für eine fehlende Impfbereitschaft identifiziert.[2] Diese lauten:
- Vertrauen in die Sicherheit von Impfungen. Viele glauben beispielsweise, dass Impfstoffe gefährliche Materialen wie hochdosiertes Aluminium enthalten oder das bestimmte Impfstoffe schwere Krankheiten auslösen können;
- Gleichgültigkeit gegenüber den Risiken von Krankheiten. Viele Menschen sind unzureichend über die Risiken von Krankheiten informiert oder glauben, dass diese Risiken heutzutage gering sind;
- Hindernisse: Fehlender Zugang zur Gesundheitsversorgung, Unwohlsein beim Arztbesuch generell oder beim Empfangen von Spritzen, oder einfach fehlende Zeit und Alltagsstress können auch Gründe für eine geringe Impfbereitschaft sein;
- Abwägung kann auch ein Grund sein, warum manche nicht sofort zu einer Impfung bereit sind. Damit ist gemeint, dass manche gerne sehr genau die Vor- und möglichen Nachteile (bspw. Nebenwirkungen) von Impfungen abwägen wollen, bevor sie sich impfen lassen.
- Verantwortung: Eine durch Impfung immunisierte Bevölkerung durch die sogenannte «Herdenimmunität» schützt auch diejenigen, die selbst nicht geimpft sind oder werden können. Für manche ist der Wille, andere zu schützen, ein Motiv dafür, sich selbst impfen zu lassen. Bei anderen fehlt dagegen der Anreiz, sich auch impfen zu lassen, wenn sie nicht selbst Teil der Risikogruppe sind– nach dem Motto: Wenn alle anderen schon geimpft sind, dann brauche ich das nicht auch noch zu tun.
Wir haben erhoben, inwieweit diese Überlegungen unter unseren Befragten verbreitet sind.[3] Dafür verwenden wir fünf Kernfragen, die sich jeweils auf einen der Beweggründe beziehen. Die folgenden Schaubilder (2-6) zeigen die Fragetexte und wie unsere Befragten diese Fragen beantwortet haben.
In erster Linie fehlt es an Vertrauen in die Sicherheit von Impfungen
Es zeigt sich, dass es bei unseren Befragten in erster Linie an Vertrauen in die Sicherheit von Impfungen fehlt (siehe Schaubild 2): Knapp 13 Prozent der Befragten haben überhaupt kein Vertrauen in Impfungen; rund 8 haben kein Vertrauen, und rund 11 Prozent haben eher kein Vertrauen. Zusammengenommen ist daher rund ein Drittel der Befragten zumindest skeptisch, was die Sicherheit von Impfstoffen generell angeht. Weitere rund 16 Prozent verorten sich genau in der Mitte. Dem gegenüber steht zwar eine Mehrheit, die Impfstoffen zumindest «eher» vertraut; allerdings ist diese Mehrheit kleiner als man in der jetzigen Situation hoffen würde.
Bei den anderen Beweggründen ist die Lage einheitlicher. Klare Mehrheiten der Befragten finden Impfungen nicht überflüssig, fühlen sich durch Alltagsstress nicht gehindert, und fühlen sich der Gesellschaft gegenüber zumindest ein wenig in der Verantwortung. Es gibt allerdings auch eine große Bereitschaft, die Nutzen und Risiken von Impfungen für sich persönlich genau abzuwägen.
In einem nächsten Schritt wollten wir herausfinden, welche dieser fünf Faktoren die Impfbereitschaft im Falle des Coronavirus am Stärksten beeinflussen. Dazu haben wir die Daten genauer mittels eines Regressionsmodells statistisch analysiert. Mit dieser Methode können wir schätzen, welchen individuellen Effekt jeder einzelne der fünf Beweggründe unabhängig von den anderen hat.[4] Die zentralen Ergebnisse sind in Schaubild 7 dargestellt.
Die Schätzung zeigt, dass fehlendes Vertrauen in die Sicherheit von Impfungen, die Impfbereitschaft im Falle der COVID-19 Impfung klar am Stärksten beeinflusst. Dies ist auf der linken Grafik abgetragen. Die Effektgrösse von rund 1 bedeutet hier, dass jeder einzelne Schritt hin zu mehr generellem Vertrauen in Impfungen direkt mit einem ganzen Schritt auf der 0-10 Antwortskala zur Impfbereitschaft einhergeht. Die anderen Beweggründe fallen dagegen deutlich weniger stark ins Gewicht. Im Falle von Hindernissen (Alltagsstress) sind wir sogar nicht sicher, ob es wirklich einen Effekt auf die Impfbereitschaft gibt.[5]
Zusammenhang zwischen Impfbereitschaft und Vertrauen in die Sicherheit von Impfungen
Um den Effekt von fehlendem Vertrauen etwas anschaulicher zu machen, haben wir berechnet, welcher Grad an Impfbereitschaft mit jedem Grad an generellem Vertrauen in die Sicherheit von Impfungen einhergeht. Dies ist in der rechten Grafik dargestellt. Beispielsweise würde jemand der «vollkommen» in die Sicherheit von Impfungen vertraut, im Schnitt auf den zweithöchsten Wert von 9 bei der Impfbereitschaft kommen. Jemand der dagegen nur «eher zustimmt» kommt nur auf einen Wert von knapp unter 7.
Nachdem sich gezeigt hat, dass eine fehlende Bereitschaft sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen, in erster Linie mit fehlendem Vertrauen in die Sicherheit von Impfungen einhergeht, wollen wir zum Schluss noch herausfinden, welche Bevölkerungsgruppen im Schnitt besonders wenig Vertrauen in Impfungen haben. Genau betrachten wir, wie sich das Vertrauen in die Sicherheit von Impfungen zwischen den Geschlechtern und verschiedenen Alters- und Einkommensgruppen, Sprachregionen und Bildungsniveaus unterscheidet. Schaubilder 8 bis 12 zeigen die Ergebnisse (inkl. Konfidenzintervalle, um darzustellen, wo Unterschiede besonders deutlich sind).
Es zeigt sich, dass das Vertrauen in die Sicherheit von Impfungen mit Alter, Einkommen und Bildungsstand tendenziell zunimmt.[6] Und Befragte aus der Westschweiz sind weniger von der Sicherheit von Impfungen überzeugt als jene in den deutschsprachigen Kantonen. Der deutlichste Unterscheid zeigt sich jedoch zwischen den Geschlechtern: Frauen sind im Mittel deutlich skeptischer gegenüber der Sicherheit von Impfungen als Männer.
Schlussfolgerung
Zusammenfassen lässt sich festhalten, dass die Bereitschaft, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen, in der schweizerischen Bevölkerung nicht sehr hoch ausfällt. Zwar ist eine rechnerische Mehrheit von 56 Prozent der Impfung gegenüber zumindest positiv eingestellt, als überwiegend kann diese Mehrheit jedoch sicherlich nicht gelten. Zudem zeigt sich eine gewisse Polarisierung in Teilen der Bevölkerung. 16 Prozent wollen sich sicher nicht impfen lassen, weitere 22 Prozent haben die genau gegensätzliche Position. Damit verorten sich fast 40 Prozent der Bevölkerung an den beiden Extremen.
Unsere detailliertere Analyse zeigt, dass fehlendes Vertrauen in die Sicherheit von Impfungen derzeit die Haupterklärung dafür ist, warum ein grosser Teil der Befragten der Impfung gegen das Coronavirus zumindest skeptisch gegenüberstehen. Weiter hat sich gezeigt, dass es eher Frauen und Menschen mit geringerem Einkommen und Bildungsstand sowie Personen im mittleren Alter sind, die weniger Vertrauen in die Sicherheit von Impfungen haben. Darüber hinaus sind deutschsprachigen Befragte weniger skeptisch gegenüber Impfungen als französischsprachige Befragte.
Es liegt nahe, dass sich in unseren Daten vor allem die Tatsache widerspiegelt, dass die momentan verfügbaren Impfstoffe gegen das Coronavirus in Rekordzeit entwickelt, getestet und zugelassen wurden (oder noch werden). Gleichzeig werden immer wieder Berichte über verschiedene Nebenwirkungen publik. Dies führt möglicherweise bei vielen zu Befürchtungen, dass die gegenwärtigen Impfstoffe noch nicht völlig ausgereift sind und sich eventuelle Probleme erst im Verlauf der Impfstoffverteilung und über die lange Frist zeigen werden. Einfach ausgedrückt wollen viele erst mal abwarten und zusehen, anstatt zum «Versuchskaninchen» zu werden.
All dies bedeutet, dass es nun in erster Linie notwendig ist, das Vertrauen in die Impfstoffe gegen das Coronavirus aufzubauen. Dazu zählt, dass die Behörden die Bevölkerung transparent und klar über die Impfstoffe und deren mögliche Risiken informieren. Insbesondere sollte sehr klar kommuniziert werden, wie sicherheitsrelevant die in Prüfverfahren gefundenen Nebenwirkungen wirklich sind – vor allem, wenn diese Nebenwirkungen extrem selten auftreten. Hilfreich wäre vermutlich auch, die Prüfkriterien für neue Impfstoffe und die Verfahren der jeweils zuständigen Behörden im In- und Ausland genau zu erklären, so dass deren Stringenz und Objektivität deutlich wird. Idealerweise sollte auch stets glaubhaft verdeutlicht werden, dass Impfstoffbefürworter (vor allem jene in offiziellen Positionen) keine verborgenen Interessen wie etwa Gewinnstreben verfolgen.[7]
[1] Siehe: Hermann, Michael. 2020. “COVID-19-Präventionsmassnahmen: Informationsstand, Einstellungen und Verhalten. Bericht zur Wirkungsmessung von Ende Oktober 2020 im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit BAG”. Sotomo & DemoSCOPE. (https://sotomo.ch/site/wp-content/uploads/2020/11/Bericht-Wirkungsmessung-BAG-Nov.pdf).
[2] Betsch, C., Schmid, P., Heinemeier, D., Korn, L., Holtmann, C., and Böhm, R. (2018). Beyond confidence: Development of a measure assessing the 5C psychological antecedents of vaccination. PloS one, 13(12):e0208601.
[3] Dazu haben wurden Fragen verwendet, die zuvor in einer speziellen Studie geprüft und für tauglich befunden wurden (siehe Betsch et al. 2018).
[4] Wir schätzen ein einfaches lineares (OLS) Modell, da die abhängige Variable zumindest annähernd metrisch ist und behandeln die fünf erklärenden Variablen ebenfalls als metrisch. Wir verwenden hierbei sog. robuste Standardfehler.
[5] Der geschätzte Effekt kann nicht genau von Null unterschieden werden, und ist damit statistisch nicht signifikant, wie durch den kleinen grauen Balken angezeigt wird.
[6] Die 18-25 jährigen stellen hier eine Ausnahme dar; im Falle derer ohne Bildungsabschluss ist unsere Fallzahl sehr klein und die Schätzung, wie am sehr weiten Konfidenzintervall ersichtlich, entsprechend sehr ungenau.
[7] Vgl. Lupia, A. (2013). Communicating science in politicized environments. Proceedings of the National Academy of Sciences, 110(Supplement 3):14048–14054.