Wie schon bei den Nationalratswahlen 2019 konnten die beiden grünen Parteien glp und Grüne bei der Grossratswahl im Aargau vom 18. Oktober 2020 kräftig zulegen. Ihren Wahlerfolg verdankten die Grünen zum einen dem Zustrom ehemaliger SP-Wählender, zum anderen den Jung- und Erstwählenden, die überdurchschnittlich oft grün votierten. Die glp hatte Mühe, die eigene Wählerschaft von 2016 abermals an die Urnen zu bringen, aber es gelang ihr, viele ehemalige Wählende der Mitte- und der Linksparteien von einem Wechsel zu überzeugen. Die SP mobilisierte zwar gut, aber rund ein Zehntel ihrer Wählerschaft von 2016 wechselte die Farbe: von rot auf grün.
Die CVP konnte wie bei den Nationalratswahlen 2019 auf eine treue Stammwählerschaft zählen, die disziplinierter als andere Parteianhängerschaften zur Urne ging. Die FDP und vor allem auch die SVP hatten primär Mobilisierungsprobleme: So nahmen nur 37 Prozent der SVP-Sympathisierenden an den Grossratswahlen teil. Vom BDP-Rückzug profitierte hingegen kaum eine Partei, denn über 80 Prozent der BDP-Sympathisierenden blieben den Urnen fern. Auch solche, die sich nicht zwingend mit der BDP identifizieren, aber vor vier Jahren der BDP die Stimme gaben, verzichteten oft auf eine Wahlteilnahme an den Grossratswahlen. Von jenen, die teilnahmen, legte eine relative Mehrheit die glp-Liste ein.
CVP mit der ältesten, grüne Parteien mit der jüngsten Anhängerschaft
Auffällige Unterschiede zwischen den Parteiwählerschaften sind sowohl beim Alter als auch beim Geschlecht auszumachen. Die CVP-Wählerschaft weist das höchste Durchschnittsalter auf, während glp und die Grünen für junge Wählende besonders attraktiv waren. CVP-Wählende teilen auf der einen Seite eine ganze Reihe linker und grüner Anliegen, befürworten auf der anderen Seite aber auch eine Verschärfung des kantonalen Sozialhilfegesetzes und einen Stellenausbau bei der Polizei.
Die SP und Grünen haben besonders bei den jüngeren Frauen gepunktet. Stark vertreten sind die beiden Linksparteien ausserdem im Erziehungs- und Gesundheitswesen. Die sachpolitischen Präferenzen unterscheiden sich kaum zwischen Grünen und SP. Den Ausschlag zwischen den beiden Parteien gaben nebst tief verwurzelter Parteibindungen die Intensität, mit welcher klimapolitische Massnahmen unterstützt werden: Wer vehement ein Verbot von Ölheizungen und anderweitige dringliche Massnahmen zum Klimaschutz fordert, legte signifikant öfter grün statt rot ein.
Wählerprofil: FDP und glp sehr ähnlich
SVP-Wählende sind überdurchschnittlich oft pensionierte Männer, haben ein vergleichsweise tiefes Haushaltseinkommen und eine Berufslehre bzw. Fachhochschule absolviert. Sachpolitisch unterstützen sie eine Verschärfung des Asylrechts und des kantonalen Sozialhilfegesetzes, aber auch die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare sowie die Einführung von Transparenzregeln zur Kampagnen- und Parteienfinanzierung finden eine Mehrheit. Wählende der FDP sind hoch gebildet und verfügen über ein hohes Haushaltseinkommen. Ein ähnliches soziales Profil wie die FDP weist die glp-Wählerschaft auf. Die glp war indessen für Jung- und Erstwählende attraktiver als die FDP.
Betreffend Höhe der Stimmbeteiligung kam es zu keinerlei Überraschungen. Sie lag im Rahmen des zu Erwartenden und wich nur geringfügig von derjenigen im Jahr 2016 ab. Höheres Alter und Bildungsniveau wirkten sich positiv auf die Beteiligung an den Wahlen aus. Die Altersunterschiede sind frappant: Während die über 70-Jährigen sich zu knapp 60 Prozent beteiligten, liegt die durchschnittliche Wahlbeteiligung der Jüngeren in der Kategorie der 18 bis39-Jährigen bei mageren 20 Prozent.
SVP mobilisierte schlecht, BDP-Anhänger blieben fern
Ausschlaggebend für den Wahlerfolg einer Partei ist nicht zuletzt, wie viele ihrer Sympathisierenden sie an die Wahlurnen bringt. Gut mobilisierte die SP, hingegen bekundete die SVP Mühe, ihre Anhängerschaft zur Wahlteilnahme zu bewegen. Die meisten Sympathisierenden (82 %) der nicht mehr antretenden BDP blieben den Wahlen indessen fern. BDP-Sympathisierende, die den Urnen fernblieben, gaben rund fünfmal so oft wie der Rest als Abstinenzgrund an, dass die eigene Partei chancenlos gewesen sei. Die Gewinnerinnen der Wahlen 2020 im Kanton Aargau, die Grünen und die glp, hatten bei der Ausschöpfung ihres Potentials noch Luft nach oben. Auffallend ist zudem, dass beide grossen Wahlsiegerinnen, glp und Grüne, ihren Erfolg relativ spät sicherten, dank den Stimmen von Spätentschlossenen.
Das Zentrum für Demokratie Aarau ist ein wissenschaftliches Forschungszentrum, das von der Universität Zürich, der Fachhochschule Nordwestschweiz, vom Kanton Aargau und von der Stadt Aarau getragen wird. Es befasst sich mit aktuellen Fragen zur Demokratie – regional, in der Schweiz und weltweit. www.zdaarau.ch.
Referenz:
- Thomas Milic, Salim Brüggemann und Uwe Serdült (2020): «Studie zur Aargauer Grossratswahl vom 18. Oktober 2020». FOKUS Aargau Nr. 7. Aarau, Zentrum für Demokratie Aarau.