In der Schweiz sehen wir langsam das Licht am Ende des Tunnels der Coronakrise und bewegen uns in Richtung einer neuen Normalität. Die Politik kann aber nicht einfach dort weiter machen, wo sie vor der Stilllegung des öffentlichen und sozialen Lebens aufgehört hat. Denn zu vieles hat sich verändert, wie ich im folgenden Beitrag aufzeige.
Angela Merkel, Giuseppe Conte, und Emmanuel Macron haben etwas gemeinsam: Nicht nur, dass sie mit einer gigantischen Gesundheits- und Wirtschaftskrise konfrontiert sind, sondern auch, dass sich ihre Umfragewerte im Vergleich zur Zeit vor Corona deutlich verbessert haben. Regieren ist eine ernsthafte Angelegenheit – diese Einsicht dürfe sich bei vielen Bürgerinnen und Bürgern mit der Coronakrise wieder verstärkt haben.
Wie Krisenmanagement geht
Krisenmanagement ist in der Praxis zwar strapazierend und belastend, das Drehbuch ist aber eigentlich einfach: Ein Präsident, eine Premierministerin oder die für die Krisenbewältigung zuständigen Bundesräte müssen schnell handeln; vor Ort sein, finanzielle Hilfe unkompliziert bereit stellen; Entscheidungen auf den Rat von Experten stützen und deren Arbeit begünstigen. Zudem sollte man in der Kommunikation den richtigen Ton finden, denn die Bevölkerung mag es nicht, wenn eine Krise für politische Zwecke missbraucht wird.
Wer diese Regeln befolgt, darf auf höhere Umfragewerte hoffen. Ein Paradox würde man im ersten Moment meinen. Ist es aber nicht. Denn während einer Krise steigt der Medienkonsum in der Regel stark an. Die Leute sind informierter und wissen besser Bescheid, wie Politiker*innen ihre Arbeit erledigen.
Berühmte politische Krisenmanager aus der Vergangenheit
Rudy Giuliani war nie so populär, wie nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Gerhard Schröders Wiederwahl hing 2002 an einem seidenen Faden, doch kurz vor den Wahlen konnte er sich nach dem Elbehochwasser als Helfer in der Not inszenieren. Und wer weiss, ob Barack Obama 2012 so deutlich gegen seinen Herausforderer Mitt Romney gewonnen hätte, hätte ein paar Tage vor der Wahl nicht die Berichterstattung rund um den Hurrikan Sandy und Obamas überparteiliches Krisenmanagement die Medien dominiert.
Wie kommt Donald Trump durch die Coronakrise?
Mit Corona hat sich die Ausgangslage für anstehende Wahlen in diesem Jahr schlagartig verändert, vor allem die Präsidentschaftswahlen in den USA, wo Donald Trump eine zweite Amtszeit anstrebt. Wahlen, zu denen ein Amtsinhaber oder eine Amtsinhaberin antritt, sind in erster Linie ein Referendum über dessen Amtsführung.
Doch dieses Mal wird es ein Referendum über das Krisenmanagement des Amtsinhabers und da sieht es für Donald Trump momentan nicht besonders gut aus. Aber auch erfolgreichere Krisenmanager*innen dürfen sich nicht auf den Lorbeeren oder den hohen Umfragewerten ausruhen. Denn je mehr Wochen und Monate vergehen, der gesundheitliche Notstand hinter uns liegt und die Häufung der Todesfällle stark zurückgehen, desto mehr werden die Wähler*innen andere Sorgen haben und ein neues Kapitel beginnen wollen.
Beispiele aus der Vergangenheit gibt es mehrere: Legendär ist die Nichtwiederwahl von Premierminister Winston Churchill kurz nach Ende des zweiten Weltkrieges. Churchill genoss zwar hohen Respekt, das Wahlvolk wollte aber mit den nach dem Krieg anstehenden innen- und wirtschaftspolitischen Aufgaben jemand anderen beauftragen. Auch George Herbert W. Bush genoss nach dem ersten Irakkrieg spektakulär hohe Zustimmungsraten, um dann 1992 gegen einen damals unbekannten Gouverneur aus Arkansas namens Bill Clinton die Wiederwahl zu verlieren. Egal wie populär ein Präsident oder eine Ministerpräsidentin im Moment der Krise ist, er oder sie muss sich schnell neu erfinden, denn Wähler*innen vergessen schnell.
Wie Corona die politische Agenda zu ändern vermag
Als Team von sieben Gleichen eine Krise zu managen, ist eine Herausforderung, die der Schweizer Bundesrat einigermassen gut gemeistert hat, wie mehrere Umfragen gezeigt haben. Die öffentliche Meinung verändert sich selten über Nacht. Jetzt dürfte es aber bei einigen Themen passiert sein. In der Gesundheitspolitik wird der Fokus in Zukunft sehr wahrscheinlich etwas weniger auf dem Abbau von Kosten und Kapazitäten liegen. Auch Fragen betreffend Globalisierung, Outsourcing und Abhängigkeit vom Ausland würden heute von der Stimmbevölkerung wohl anders beurteilt als noch vor der Krise.
Dabei stellt sich natürlich die Frage, wie lange solche Effekte anhalten werden. Dennoch wage ich zu behaupten: Wenn in der Coronazeit in der Schweiz Wahlen stattgefunden hätten, wäre die grüne Welle wohl etwas abgeflacht. Dafür sehe ich die demnächst im Parlament zu behandelnde Pflegeinitiative im Aufwind. Für die Europäische Union war die Coronakrise hingegen keine Publireportage: Wie sich gezeigt hat, werden im Krisenfall die Grenzen nach wie vor schnell geschlossen, da jedes Land für sich schaut.
Ob die Schweizer*innen deswegen aber dazu bereit sind, mit einem Ja zur Begrenzungsinitiative, die am 27. September 2020 zur Abstimmung kommt, die bilateralen Verträge aufs Spiel zu setzen, ist fraglich. Denn etwas ist klar: Die Lage der Schweizer Wirtschaft ist das dominante Thema während der akuten Coronakrise. Und der makropolitische Kontext, in welchem eine Abstimmung stattfindet, ist für einen Abstimmungskampf von zentraler Bedeutung. Dies könnte auch Auswirkungen auf die Referenden über die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge, den Vaterschaftsurlaub und die Steuerabzüge für Kinder haben, welche ebenfalls Ende September zur Abstimmung kommen.
Auch auf das Politconsulting und künftige Kampagnen hat Corona Auswirkungen
Das bedeutet unter anderem auch, dass die Verbände an Bedeutung gewinnen. Das Lobbying der Wirtschaft hat traditionell stark über FDP und CVP funktioniert. Die Corona-Krise hat das nicht verändert und doch gibt es – seit den letzten Wahlen und in der Postcoronazeit – mehr denn je Möglichkeiten für wechselnde Koalitionen. Jetzt muss die Branche innovativ sein und reagieren.
Was politische Kampagnen angeht, so haben sich die strategischen Grundprämissen wegen Corona nicht verändert, wohl aber die taktische Ebene der Instrumente: Viele Schweizer*innen verbringen momentan mehr Zeit zu Hause und auch mehr Zeit vor dem Bildschirm und am Telefon. Dem sollte bei der Planung von Wahl- und Abstimmungskampagnen Rechnung getragen werden. Zudem können grössere Anlässe, Informationsstände oder auch Hausbesuche auf unbestimmte Zeit nicht mehr durchgeführt werden.
Anstehende Kampagnen sollten darum andere Instrumente nutzen. Glücklich können sich diejenigen Parteien schätzen, die bereits vor der Coronakrise damit begonnen haben, Telefonaktionen zu starten. Auch WhatsApp-Gruppen sind empfehlenswert oder die neuen Möglichkeiten, Konferenztelefonate mit hunderten oder gar tausenden von Teilnehmenden durchzuführen. Betreffend sozialer Medien sollte die Coronakrise dazu genutzt werden, endlich auch ältere Wählende einzubinden und zu organisieren. Das Medium Radio spielte in der Schweiz bisher bei der Planung der wenigsten Kampagnen eine grosse Rolle, doch dies sollte meiner Meinung nach geändert werden.
Es ist gut möglich, dass die Coronakrise zu einem Schub an Technologisierung führen wird, denn Not macht bekanntlich erfinderisch und flexibel. Über Home Office wurde zuvor vor allem lange diskutiert und nicht wenige Vorgesetzte waren eher skeptisch, doch während der Krise hat es plötzlich in fast allen Branchen problemlos funktioniert.
Nicht zuletzt wurde aber auch vielen während des Lockdowns bewusst, in welchem Ausmass wir Menschen soziale Wesen sind. Künftige Kampagnen und Public Affairs sollte deswegen darauf setzen, wie wir die Technologie am besten nutzen können, um den persönlichen Kontakt zu unterstützen und zu verbessern – denn der persönliche Kontakt wird in der Politik zentral bleiben.
Bild: admin.ch