Angriff ist die beste Mobilisierung: Negative Kampagnen und ihre Zielgruppen

Nega­ti­ve Kam­pa­gnen sor­gen immer wie­der für Schlag­zei­len. Bei den natio­na­len Wah­len 2019 lag dabei der Schein­wer­fer auf der CVP. Sie ist aller­dings nicht die ein­zi­ge Par­tei, wel­che die­se Stra­te­gie benutzt. Doch an wen rich­ten sich nega­ti­ve Kam­pa­gnen? Die­ser Bei­trag argu­men­tiert, dass in der Schweiz oft die eige­nen Stamm­wäh­len­den und nicht die Wech­sel­wäh­len­den die zen­tra­le Ziel­grup­pe darstellen

Im Wahl­kampf von 2019 hat die CVP für Schlag­zei­len gesorgt, als sie Kan­die­ren­de ande­rer Par­tei­en ange­grif­fen hat. Sie hat mit einer auf den ers­ten Blick neu­tra­len Web­sei­te www.kandidaten2019.ch (nicht mehr aktiv) goog­le ads zu Kan­di­die­ren­den ande­rer Par­tei­en geschal­tet.  Auf der Web­sei­te wur­den die Posi­tio­nen der Kan­di­die­ren­den kri­ti­siert und auf die Web­sei­te der CVP wei­ter­ge­lei­tet. Die nicht sehr über­ra­schen­de Ant­wort der Medi­en­welt war die Ver­ur­tei­lung einer sol­chen nega­ti­ven Kam­pa­gne, wel­che nicht zur Schwei­zer Poli­tik­kul­tur gehö­ren wür­de. Tat­sa­che ist aber, dass Kri­tik unter Par­tei­en sehr wohl auch in der Schweiz zum Wahl­kampf gehört. Die­se ist auch nicht immer zu ver­ur­tei­len. Wenn sich die Kri­tik dabei auf Inhal­te kon­zen­triert, wie dies auch bei der CVP Kam­pa­gne der Fall war, kann sie zur bes­se­ren Infor­miert­heit der Wähler*innen bei­tra­gen (sie­he dazu z.B. Geer 2006).

Die nega­ti­ven Reak­tio­nen auf die CVP Kam­pa­gne zei­gen, dass eine nega­ti­ve Kam­pa­gne für Par­tei­en mit einem rela­tiv gros­sen Risi­ko eines Repu­ta­ti­ons­ver­lus­tes ver­bun­den ist. Dass die Par­tei­en ein sol­ches Risi­ko trotz­dem immer wie­der ein­ge­hen, hat damit zu tun, dass sie sich auch wich­ti­ge Vor­tei­le ver­spre­chen. Neben media­ler Auf­merk­sam­keit (Kon­flikt ver­kauft sich gut) geht es dabei auch um den Gewinn von Wäh­ler­stim­men. Wel­che Wähler*innen Par­tei­en dabei anzu­spre­chen ver­su­chen, habe ich in einem Arti­kel in Par­ty Poli­tics anhand von Schwei­zer Daten unter­sucht (Stu­ckel­ber­ger 2019).

In der Lite­ra­tur zu nega­ti­ven Kam­pa­gnen, stark geprägt durch die US-Ame­ri­ka­ni­sche For­schung, wird gene­rell davon aus­ge­gan­gen, dass ihr Zweck dar­in besteht, Wähler*innen von ande­ren Par­tei­en abzu­wer­ben, indem die Mit­be­wer­ber als eine schlech­te­re Opti­on dar­ge­stellt wer­den. In der Ter­mi­no­lo­gie von Rohr­schnei­der (2002) geht es bei nega­ti­ven Kam­pa­gnen also um „cha­sing“ – das Über­zeu­gen von Wechselwähler*innen und nicht um „mobi­li­zing“ – das Mobi­li­sie­ren der eige­nen Basis.

Ich argu­men­tie­re, dass nega­ti­ve Kam­pa­gnen für Par­tei­en auch eine wich­ti­ge Mobi­li­sie­rungs­funk­ti­on haben, d.h. sie damit auch ihre Stamm­wäh­len­den als Ziel­grup­pe anspre­chen wol­len. Nega­ti­ve Kam­pa­gnen schei­nen sehr gut geeig­net für die Mobi­li­sie­rung. Einer­seits erlaubt die War­nung vor einem gemein­sa­men Geg­ner eine Stär­kung der in-group-Iden­ti­fi­ka­ti­on und der Wahl­ab­sicht der Stammwähler*innen. Ande­rer­seits zeigt Nega­ti­vi­tät der eige­nen Anhän­ger­schaft die Wich­tig­keit der Wah­len auf und kann sie an die Urne bringen.

Ich über­prü­fe die­ses Argu­ment basie­rend auf Inter­views mit Kam­pa­gnen­ver­ant­wort­li­chen sowie mit Hil­fe der Geg­ner, wel­che die Par­tei­en für ihre Angrif­fe in Pres­se­mit­tei­lun­gen und Zei­tungs­in­se­ra­te aus­wäh­len. Die Annah­me ist dabei die Fol­gen­de: Sind Wechselwähler*innen die Ziel­grup­pe der Atta­cke, wird eine geg­ne­ri­sche Par­tei mit mög­lichst vie­len poten­ti­el­len Wähler*innen ange­grif­fen. Dem­entspre­chend gibt es eine star­ke Über­lap­pung der Wäh­ler­ba­sen der angrei­fen­den und der ange­grif­fe­nen Partei.

Ein Bei­spiel: Die FDP wür­de mit die­ser Ziel­set­zung die GLP angrei­fen. Sie kann sich gute Chan­cen aus­rech­nen GLP-Wähler*innen für sich zu gewin­nen und muss gleich­zei­tig befürch­ten, Wäh­len­de an die GLP zu ver­lie­ren. Sind Stammwähler*innen die Ziel­grup­pe der Atta­cke, wird eine geg­ne­ri­sche Par­tei ange­grif­fen, wel­che von den Stamm­wäh­len­den der angrei­fen­den Par­tei stark abge­lehnt wird. Die FDP wür­de mit die­ser Ziel­set­zung die SP angrei­fen. Für die FDP scheint es unwahr­schein­lich, vie­le SP-Wäh­len­de von sich zu über­zeu­gen. Aber die „staats­ver­lieb­te“ SP kann ein gutes Ziel sein, um oft­mals „staats­kri­ti­sche“ FDP-Sympathisant*innen in ihrer Wahl­ab­sicht zu stär­ken und zu mobilisieren.

Abbildung 1: Angriffsziele der Parteien bei den Parlamentswahlen 2011/2015

Anmer­kung: Die Daten basie­ren auf der Ana­ly­se von Pres­se­mit­tei­lun­gen und Zei­tungs­in­se­ra­ten. N: SP:63, GPS:34, GLP:14, CVP:15, BDP:5, FDP:317, SVP:110.

Die Inter­views mit Kam­pa­gnen­ver­ant­wort­li­chen sowie das Angriffs­ver­hal­ten der Par­tei­en unter­stütz­ten das Mobi­li­sie­rungs­ar­gu­ment. Eine Mehr­heit der befra­gen Per­so­nen sag­ten, dass sie nega­ti­ve Kam­pa­gnen eher zur Mobi­li­sie­rung der eige­nen Wähler*innen als zur Über­zeu­gung der Wäh­len­den ande­rer Par­tei­en nüt­zen wür­den. Ein Par­tei-Expo­nent beton­te aus­drück­lich, dass sie vor allem ihren „natür­li­chen Feind“ angrei­fen wür­den, wel­cher von der eige­nen Basis ein­hel­lig abge­lehnt wird. Mit die­sem könn­ten sie pro­blem­los strei­ten ohne Gefahr zu lau­fen, poten­ti­el­le Wähler*innen vor den Kopf zu stossen.

Das Mobi­li­sie­rungs­ar­gu­ment wird schliess­lich auch dadurch gestärkt, dass Par­tei­en nicht nur ein­zel­ne Par­tei­en, son­dern auch die geg­ne­ri­schen Par­tei­la­ger angrei­fen. So scheint die SP bei jeder Wahl vor einem Rechts­rutsch (2015) oder einem Fort­be­stand der rech­ten Mehr­heit (2019) zu war­nen. Und die SVP warn­te schon 2011 vor den „Lin­ken und Net­ten“ und wie­der­hol­te dies 2019 mit ihrem viel kri­ti­sier­ten Apfel-Pla­kat. Die­se Angrif­fe schei­nen klar dar­auf abzu­zie­len die eige­ne Basis zu mobi­li­sie­ren und nicht Wäh­len­de bei den „Rech­ten“ oder den „Lin­ken und Net­ten“ abzuwerben.

Abbildung 2: Wahrscheinlichkeit eines Angriffs in Abhängigkeit vom gemeinsamen Wählerpotential

Anmer­kung: Das hel­le­re Band beschreibt das 95%-Konfidenzintervall.

Die­se Ana­ly­se bedeu­tet nicht, dass in der Schweiz „chasing“-Strategien kei­ne Rol­le spie­len. Natür­lich benut­zen auch in der Schweiz Par­tei­en die Kri­tik an direk­ten Kon­kur­ren­ten, um bes­ser dazu­ste­hen. Ein kla­res Bei­spiel waren z.B. Zei­tungs­in­se­ra­te der FDP, wel­che 2011 die GLP für ihre Lis­ten­ver­bin­dun­gen mit der EDU kri­ti­sier­ten. Die Web­sei­te der CVP in der letzt­jäh­ri­gen Kam­pa­gne scheint eben­falls die­sen Zweck zu verfolgen.

Es ist zudem zu erwar­ten, dass in Län­dern mit Regie­rung und Oppo­si­ti­on „chasing“-Strategien eine grös­se­re Rol­le spie­len. Trotz­dem wei­sen die Resul­ta­te von ande­ren Län­dern (z.B. für Öster­reich Dolezal, Enn­ser-Jeden­as­tik, und Mül­ler 2015) dar­auf hin, dass die Mobi­li­sie­rungs­funk­ti­on von nega­ti­ven Kam­pa­gnen nicht auf den Schwei­zer Kon­text begrenzt ist. In der USA kann z.B. erwar­tet wer­den, dass für die Biden-Kam­pa­gne die Kri­tik an Trump eine wich­ti­ge Rol­le spie­len wird, um die eige­ne Basis zu einen und zu mobilisieren.

Daten und Methoden

Die Ana­ly­se des Angriffs­ver­hal­ten der Par­tei­en basiert auf einer manu­el­len Inhalts­ana­ly­se von Zei­tungs­in­se­ra­ten und Pres­se­mit­tei­lun­gen. Dar­aus resul­tier­te ein Daten­satz, wel­cher für jeden Angriff einer Par­tei die mög­li­chen alter­na­ti­ven Zie­le (die nicht-Angrif­fe) die­ser Par­tei ent­hält. Mit Hil­fe einer logis­ti­schen Regres­si­on wur­de dann die Wahr­schein­lich­keit eines Angriffs für die ver­schie­de­nen Kom­bi­na­tio­nen von angrei­fen­der und ange­grif­fe­nen Par­tei berechnet.

Die unab­hän­gi­ge Varia­ble, wel­che uns hier inter­es­siert, ist die Über­lap­pung der Wäh­ler­ba­sen der zwei Par­tei­en. Die­se besteht aus der Sum­me von A) dem Pro­zent­satz der Wähler*innen der ange­grif­fe­nen Par­tei, wel­che es als wahr­schein­lich erach­ten, den Angrei­fer zu wäh­len, und B) dem Pro­zent­satz der Wähler*innen der angrei­fen­den Par­tei, wel­che es als wahr­schein­lich erach­ten, den Ange­grif­fe­nen zu wäh­len. (Eine alter­na­ti­ve Ope­ra­tio­na­li­sie­rung ist die ideo­lo­gi­sche Distanz zwi­schen angrei­fen­der und ange­grif­fe­ner Par­tei. Die Ergeb­nis­se sind vergleichbar.)


Refe­renz:

Stu­ckel­be­ger, Simon. 2019. “Mobi­li­zing and Cha­sing: The voter tar­ge­ting of nega­ti­ve cam­pai­gning — Les­sons from the Swiss case.” Par­ty Poli­tics. Publis­hed elec­tro­ni­cal­ly 28 May 2019. doi: https://doi.org/10.1177/1354068819852252


Biblio­gra­phie:

  • Dolezal, Mar­tin, Lau­renz Enn­ser-Jeden­as­tik, und Wolf­gang C. Mül­ler. 2015. „When Do Par­ties Attack Their Com­pe­ti­tors? Nega­ti­ve Cam­pai­gning in Aus­tria, 2002–08“. In New Per­spec­ti­ves on Nega­ti­ve Cam­pai­gning: Why Attack Poli­tics Mat­ters, her­aus­ge­ge­ben von Ales­san­dro Nai und Anne­ma­rie S. Wal­ter, 163–79. Col­ches­ter: ECPR Press.
  • Geer, J. G. 2006. In Defen­se of Nega­ti­vi­ty Attack Ads in Pre­si­den­ti­al Cam­pai­gns. Chi­ca­go: Uni­ver­si­ty of Chi­ca­go Press.
  • Rohr­schnei­der, R. 2002. „Mobi­li­zing ver­sus cha­sing: how do par­ties tar­get voters in elec­tion cam­pai­gns?“ Elec­to­ral Stu­dies 21 (3): 367–82.

Bild: www.imago-images.de

image_pdfimage_print