Setzen sich männliche Parlamentarier für Frauenthemen ein? Ja, aber nur bei einem niedrigen Frauenanteil im Parlament

Welche Abgeordnete setzen sich im Parlament für die Vertretung von Fraueninteressen ein? Intuitiver Weise geht man davon aus, dass sich vor allem Politikerinnen im Parlament für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen engagieren. Wie steht es aber um ihre männlichen Kollegen? Dieser Beitrag beleuchtet die Bedingungen, unter denen sich Männer für die Vertretung von Fraueninteressen einsetzen und zeigt, dass ihr Verhalten stark von den Politikerinnen im Parlament beeinflusst wird.

Im Zuge der letztjährigen Wahl zum Schweizer Parlament wurde die Vertretung von Frauen vielfach diskutiert und der geringe Frauenanteil im National- und Ständerat kritisiert. Eines der zentralen Argumente für eine stärkere Präsenz für Frauen im Parlament ist die Annahme, dass sich Politikerinnen stärker für die Belange von Frauen verantwortlich fühlen und Themen wie der Gleichberechtigung am Arbeitsplatz (Gender Pay Gap), dem Schutz vor häuslicher Gewalt oder der Vorsorge und Behandlung von Brustkrebs eine höhere Priorität einräumen als ihre männlichen Kollegen (Philips 1995).

Wann kommt es aber dazu, dass sich auch Männer im Parlament dazu entscheiden, Fraueninteressen zu repräsentieren? Der Beitrag geht dieser Frage nach und beleuchtet, ob das Verhalten von männlichen Abgeordneten von ihren weiblichen Kolleginnen beeinflusst wird und inwieweit das Engagement von Männern für Frauenthemen somit vom Frauenanteil im Parlament abhängig ist.

Wie können Parlamentarierinnen das Verhalten von ihren männlichen Kollegen beeinflussen?   

Grundsätzlich sind hierbei drei verschiedene Effekte denkbar. Erstens kann es zu einem positiven Spillover-Effekt kommen (Bolzendahl and Myers 2004). Dieses Argument geht davon aus, dass männliche Abgeordnete häufiger mit Gleichstellungsfragen und frauenspezifischen Themen konfrontiert werden, wenn der Frauenanteil im Parlament ansteigt. Folglich erkennen sie einen Handlungsbedarf seitens der Politik und beginnen damit, sich auch in ihrer eigenen parlamentarischen Arbeit stärker für die Gleichberechtigung von Frauen einzusetzen.

Im Gegensatz dazu kann es jedoch auch zu einem negativen Backlash-Effekt kommen (Yoder 1991). Hierbei befürchten Männer, ihre jahrzehntelange Vormachtstellung im Parlament zu verlieren, wenn mehr Frauen ins Parlament gewählt werden. Daher reagieren sie ablehnend auf den steigenden Frauenanteil und verweigern, sich für eine weitere Gleichstellung von Frauen einzusetzen.

Die dritte Hypothese geht von einem Spezialisierungseffekt aus (Chappell and Waylen 2013). Dieser besagt, dass die inhaltliche Repräsentation von Frauenthemen auf Grund der direkten Betroffenheit fundierter und glaubwürdiger von weiblichen Abgeordneten vertreten werden kann. Daher reagieren Männer nicht feindselig auf einen höheren Anteil von Frauen im Parlament. Sie reduzieren jedoch ihre Anstrengungen im Bereich der Gleichstellungspolitik, weil sie die Verantwortlichkeit bei ihren weiblichen Kollegen sehen.

Die Repräsentation von Frauenthemen durch männliche Abgeordnete im Deutschen Bundestag

Um die Rolle von Männern in der Vertretung von Fraueninteressen empirisch zu überprüfen, wurde der Einfluss von Frauen auf das Repräsentationsverhalten von männlichen Abgeordneten im Deutschen Bundestag (1998 – 2013) untersucht.

Um zu bestimmen, ob und wie stark sich Männer für Gleichstellungsfragen einsetzen, wurden schriftliche und mündliche parlamentarische Fragen mit Hilfe eines automatisierten Algorithmus daraufhin codiert, ob sie ein frauenspezifisches Thema ansprechen oder nicht. Für jeden Abgeordneten wurde dann der Anteil an frauenspezifischen Fragen ermittelt, die er im Untersuchungszeitraum eingereicht hat (im Verhältnis zur Gesamtzahl an Fragen, die der Abgeordnete eingereicht hat). In der empirischen Analyse wurde darauf aufbauend der Effekt berechnet, den der Frauenanteil innerhalb der Parlamentsfraktion auf die Entscheidung ausübt, ob und wie viele frauenspezifische Fragen Männer einreichen (siehe Infobox). 

Abbildung 1: Vorausgesagter Anteil an frauenspezifischen Fragen in Abhängigkeit des Frauenanteils in der parlamentarischen Fraktion (mit 95% Konfidenzintervallen)

Angaben beziehen sich auf individuelle männliche Abgeordnete des Deutschen Bundestages (1998-2013). Quelle: Eigene Berechnung.

Die Ergebnisse zeigen, dass männliche Bundestagsabgeordnete im Untersuchungszeitraum insgesamt 726 Fragen zu einem frauenspezifischen Thema gestellt haben. Auch wenn dies deutlich unter der Fragenanzahl liegt, die von Frauen eingereicht wurden (1286), zeigt es dennoch, dass Männer grundsätzlich dazu bereit sind, sich für die Belange von Frauen zu engagieren. Die Ergebnisse der Analyse machen jedoch deutlich, dass der Frauenanteil innerhalb der Fraktion einen negativen Einfluss auf das Verhalten von Männern ausübt.

Entgegen den Annahmen des Backlash-Effekts führt eine höhere Präsenz von Frauen allerdings nicht dazu, dass männliche Abgeordnete feindselig reagieren und sich gänzlich aus der Beschäftigung mit Gleichstellungsfragen zurückziehen. Wie Abbildung 1 zeigt, führt ein höherer Frauenanteil hingegen dazu, dass Männer die Intensität, mit der sie sich für Frauenthemen einsetzen verringern. So nimmt der Anteil an frauenspezifischen Fragen stark ab, wenn der Frauenanteil innerhalb der Fraktion ansteigt.

Der Logik eines Spezialisierungseffektes folgend sind Männer also grundsätzlich dazu bereit, Fraueninteressen im Parlament zu repräsentieren. Sobald ausreichend Frauen im Parlament vertreten sind, fühlen sie sich jedoch nicht länger hierfür verantwortlich und überlassen diese Aufgabe ihren Kolleginnen.  

Daten und Methode
Für die empirische Analyse wurden alle schriftlichen und mündlichen parlamentarischen Fragen, die zwischen 1998 und 2013 im Deutschen Bundestag eingereicht wurden, in einen Datensatz überführt und daraufhin codiert, ob sie ein Thema ansprechen, dass Frauen aus biologischen oder sozialen Gründen stärker und direkter betrifft als Männer (z.B. Gender Pay Gap, Schutz vor Vergewaltigungen und häuslicher Gewalt, Vorsorge und Behandlung von Brustkrebs, Recht auf Abtreibung; siehe Carroll 1994). Die Codierung wurde computergestützt mit Hilfe eines supervised machine learning Algorithmus durchgeführt. Hierzu wurde ein kleiner Teil der Fragen (das sog. Training Set) händisch codiert. Anhand dieser codierten Fragen „lernt“ der Algorithmus (Naïve Bayes classifier) die Inhalte und Eigenschaften einer frauenspezifischen Frage und kann dann dazu benutzt werden, die restlichen Fragen automatisiert zu codieren.

Die empirische Analyse beruht auf einem Hurdle Regression Model. Dieses besteht aus zwei aufeinander aufbauenden statistischen Modellen. Im ersten Schritt wird mit Hilfe einer logistischen Regression die grundsätzliche Entscheidung modelliert, ob sich Männer für Frauenthemen einsetzen oder nicht. Hierzu wird der Effekt des Frauenanteils auf die Wahrscheinlichkeit berechnet, dass ein individueller männlicher Abgeordnete mindestens eine frauenspezifische Frage einreicht.

Im zweiten Schritt wird dann mit Hilfe einer Beta Regression der Effekt des Frauenanteils auf die Intensität der inhaltlichen Repräsentation von Frauen bestimmt. Dieses zweite Modell berücksichtigt nur diejenigen Abgeordneten, die mindestens eine frauenspezifische Frage gestellt haben und benutzt dann den Anteil frauenspezifischer Fragen an der Gesamtzahl der individuell eingereichten Fragen als abhängige Variable.  

Die Daten der Analyse sind in der Harvard Dataverse frei verfügbar.


Literatur:

  • Bolzendahl, C. and D. Myers (2004). Feminist Attitudes and Support for Gender Equality: Opinion Change in Women and Men, 1974-1998. Social Forces 83(2): 759–789.
  • Carroll, S. (1994). Women as Candidates in American Politics. Bloomington: Indiana University Press.
  • Chappell, L. and G. Waylen (2013). Gender and the Hidden Life of Institutions. Public Administration 91(3): 599–615.
  • Phillips, A. (1995). The Politics of Presence. Oxford: Clarendon Press.
  • Yoder, J. (1991). Rethinking Tokenism: Looking beyond Numbers. Gender&Society 5(2): 178–192.

Referenz:

Höhmann, Daniel. When do Men Represent Women’s Interests in Parliament? How the Presence of Women in Parliament Affects the Behavior of Male Politicians. Swiss Political Science Review. https://doi.org/10.1111/spsr.12392.


Bild: Deutscher Bundestag / Achim Melde

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