Digitale Medien gehören mittlerweile zum guten Ton einer jeden Kandidatur, doch wie relevant sind digitale Plattformen für den Schweizer Wahlkampf wirklich? Das Digital Democracy Lab der Universität Zürich hat während des laufenden Wahlkampfs den On- und Offline-Auftritt von Parteien und Kandidierenden verglichen. Dabei zeigt sich: Der ideale Wahlkampf ist ein multimediales Projekt.
Während eines Wahlkampfes sind für Parteien und Kandidierende alle Kanäle von Bedeutung, über die sie potenzielle Wählerinnen und Wähler erreichen können. Neben etablierten Tages- und Wochenzeitungen sind das zunehmend auch digitale Medien. Sie erlauben es den Parteien, mit wenig Einsatz viel Reichweite zu erreichen.
Doch wie viele Kandidierende treten eigentlich online auf? Und ist ihre Präsenz in Sozialen Medien mit ihrem Auftritt in traditionellen Medien vergleichbar? Diesen Fragen geht das Digital Democracy Lab der Universität Zürich nach.
Eine Datenbank aller Kandidierenden wurde uns von Smartvote zur Verfügung gestellt. In Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft haben wir überprüft, ob die Kandidierenden einen Account bei Facebook, Twitter oder Instagram haben. Das Ergebnis ist eine der umfassendsten Listen zur Online-Aktivität der Kandidierenden bei politischen Wahlen in der Schweiz. Die Informationen aller Politikerinnen und Politiker über ihre Accounts sind auf Github verfügbar: https://github.com/DigDemLab/chvote19_accounts
Der digitale Wahlkampf
Ein Grossteil der Kandidierenden für die anstehenden Wahlen ist denn auch auf den sozialen Medien präsent. An erster Stelle steht Facebook, gefolgt von Twitter und Instagram. Diese Reihenfolge ist in allen Alterskategorien und bei beiden Geschlechtern gleich. Bezüglich der Sprachregion gibt es kleine Unterschiede, denn in der Deutschschweiz wird Instagram, in der Romandie hingegen Twitter häufiger genutzt.
Facebook ist der unbestrittene Frontrunner: ca. 65 Prozent der Kandidierenden hat einen Facebook-Account. 38 Prozent der Kandidierenden sind auf Instragram, 31 Prozent auf Twitter. Rund 33 Prozent der Kandidierenden hat zudem eine persönliche Webseite.
Doch obwohl zwei Drittel der Kandidierenden auf Facebook präsent sind, nutzen nicht einmal zehn Prozent aller Kandidierenden die Plattform professionell, indem sie sich auch eine eigene Facebook-Seite einrichten. Dies würde es ihnen ermöglichen, Werbung auf Facebook zu schalten. Die Kandidierenden favorisieren die direkte Kommunikation mit ihrem eigenen Netzwerk. Allerdings hat Facebook eine Limite von 5’000 Freunden gesetzt, was somit auch die Kommunikationsreichweite der Kandidierenden erheblich einschränkt.
Die erste Abbildung zeigt die Präsenz der Kandidierenden auf den unterschiedlichen Plattformen, geordnet nach Parteien und Altersgruppen.
Obwohl Twitter im Unterschied zu Facebook weit weniger genutzt wird, lohnt es sich den Social Media-Dienst genauer unter die Lupe zu nehmen. Twitter ist in der Schweiz eine sehr politische Plattform: Medienschaffende, Wissenschaftlerinnen und -wissenschaftler sowie Politikerinnen und Politiker sind rege Nutzerinnen und Nutzer. Viele politische Debatten verlaufen zumindest teilweise auch über Twitter und entwicklen in den Netzwerken der User ein Eigenleben.
Allerdings gilt es zu klären, welche Kandidierenden auf Twitter tatsächlich einflussreich sind. Es gibt verschiedene Varianten, die aktivsten oder erfolgreichsten Twitterer zu identifizieren. Als Mass für den Erfolg von Kandidierenden verwenden wir die Reaktionen anderer Nutzenden auf deren Tweets: Wer mehr sogenannte Likes und Retweets erhält, schätzen wir in einer ersten Analyse als erfolgreicher ein.
Wir haben für die untenstehende Abbildung jeweils Likes und Retweets aufsummiert, da es teilweise grosse Unterschiede zwischen den beiden gibt. So gibt es User, deren Tweets viele Likes generieren, aber nicht im gleichen Masse retweeted werden, oder umgekehrt.
Einige wenige Kandidierende stechen deutlich hervor. In der Abbildung werden diejenigen Kandidierenden farblich gekennzeichnet, welche entweder viele Followers haben (mehr als 15’000) oder viele Reaktionen generiert haben (mehr als 25’000).
Erstaunlich ist, dass nur acht Politikerinnen und Politiker mindestens eins dieser zwei Kriterien erfüllen: Roger Köppel, René Truninger und Claudio Zanetti von der SVP; Jacqueline Badran, Christian Levrat und Cédric Wermuth von der SP; Balthasar Glättli von den Grünen und, vielleicht am überraschendsten, der Tessiner Stefano Pesce der GLP. Roger Köppel ist mit über 175’000 Likes und Retweets mit Abstand derjenige Kandidat, der die höchste Resonanz erhält – und das trotz einer nicht überragenden Anzahl an Followern.
Der traditionelle Wahlkampf
In einem weiteren Schritt haben wir während eines Jahres die Schweizer Medienlandschaft kartiert. Im Zentrum unserer Bemühungen steht die Möglichkeit, politische News kontinuierlich und maschinell zu klassifizieren, um herauszufinden, was die Schweiz beschäftigt.
Auch in dieser Auswertung stehen die einzelnen Kandidierenden im Fokus. Während bei Twitter die Resonanz und Interaktion als Masszahl ein Hinweis darauf sein kann, wie einflussreich ein Politiker oder eine Politikerin ist, so ist dies in den traditionellen Medien die Anzahl Nennungen eines Namens: wer häufiger zitiert oder genannt wird, erhält mehr Aufmerksamkeit.
In der Regel sind dies die Partei- und Fraktionspräsidentinnen und -präsidenten, in der Mehrheit Männer, sowie bisherige National- und Ständeräte, die über ihren Kanton hinaus bekannt sind. Allerdings können auch jüngere Politikerinnen und Politiker viel Aufmerksamkeit traditioneller Medien generieren – beispielswese Fabian Molina von der SP oder Mike Egger von der SVP.
Der Wahlkampfvergleich: traditionell vs. digital
Wir haben die Anzahl Nennungen in den Zeitungen mit der Anzahl an Reaktionen auf Twitter verglichen und zeigen unsere Ergebnisse in einer einfachen Gegenüberstellung dieser beiden Kanäle. Die Abbildung links zeigt den direkten Vergleich der Resonanz in traditionellen Medien bzw. auf Twitter, in der Abbildung rechts ist der Fokus auf den Bereich gerichtet, wo sich die meisten Namen befinden.
Dabei wird aus den Abbildungen schnell ersichtlich, dass es sowohl Medien- wie auch Online-Stars gibt. In den traditionellen Medien dominieren die Parteipräsidentinnen und -präsidenten und der SVP-Fraktionspräsident. Online erhalten teilweise andere Personen vergleichsweise mehr Aufmerksamkeit, beispielsweise Claudio Zanetti und René Truninger (beide SVP) sowie Stefano Pesce (GLP). Sowohl on- wie offline stark präsent sind Roger Köppel (SVP) und Cédric Wermuth (SP).
In der linken Abbildung wird klar, dass sehr viele Kandidierende weder häufig in den Medien anzutreffen sind noch einen starken Twitter-Auftritt haben. Meistens sind es bisherige National- und Ständeräte, welche auf beiden Kanälen stärker wahrgenommen werden. Ausnahmen sind Personen wie Andri Silberschmidt (FDP) oder Tamara Funiciello (SP), welche als Präsident bzw. Präsidentin einer Jungpartei mehr Aufmerksamkeit erhalten, diese aber insbesondere in den sozialen Medien ausspielen können. Oder auch Hannes Gassert, ein neuer Kandidat der SP Zürich, der zwar auf Twitter mit rund 6’000 Reaktionen weit vorne auf der Skala figuriert, aber in den tradtionellen Medien keine vergleichbare Resonanz findet.
Fazit: Der Wahlkampt ist ein multimediales Projekt
Ein Grossteil der Kandidierenden ist auf Facebook präsent, gefolgt von Twitter und Instagram. Doch soziale Medien ersetzen die Diskussion in den traditionellen Medien, namentlich in Zeitungen, nicht. Gerade die Parteipräsidentinnen und -präsidenten sind als Sprachrohre ihrer Parteien häufig vertreten, auch wenn sie auf Twitter nicht herausstechen.
Vielmehr zeigt sich auf Twitter eine «Demokratisierung» der Aufmerksamkeit: auch ohne Amt kann sich jede und jeder Aufmerksamkeit verschaffen. Im Vorteil sind dabei aber klar die Kandidierenden, welche bereits über ein Amt verfügen – dadurch erhalten sie in der Schweizer Twitter-Community mehr Follower, welche wiederum als Multiplikatoren für mehr Resonanz in den sozialen Medien dienen.
Kandidierende hätten also viele Möglichkeiten, sich und ihre Themen in die Diskussion einzubringen. Gewisse können dies aber deutlich besser als andere, denn der grösste Teil der 4’600 Kandidierenden hat im laufenden Wahlkampf wenig bis gar keine Resonanz erhalten – sowohl in traditionellen wie in sozialen Medien.
Hinweis: Dieser Beitrag ist eine Zusammenfassung mehrerer Blogbeiträge, welche auf der Website des Digital Democracy Lab publiziert worden sind.