Sollten die Prognosen des Prognosemarktes nicht weit daneben liegen, bestätigen diese, dass der Wahlkampf zwar Wählerinnen und Wähler mobilisiert, aber kaum zu einer Änderung der ursprünglichen Wahlabsicht verleitet.
Seit Anfang Mai wetten auf dem Prognosemarkt Studierende der Politikwissenschaft und andere Politikinteressierte auf die Ergebnisse der eidgenössischen Wahlen vom 20. Oktober. Die Börsianerinnen können dabei sowohl Aktien von Wähleranteilen bei den Nationalratswahlen als auch Wahlchancen bei den Ständeratswahlen handeln.
Nationalrat: Nur wenig Bewegung seit Mitte Mai
Die erste Abbildung zeigt die durchschnittlichen Vorhersagen für den Wähleranteil der Parteien. Es handelt sich dabei um die Durchschnittswerte vom 4. bis zum 10. Oktober. Entsprechend den von Medienunternehmen durchgeführten Umfragen (SRF Wahlbarometer, Tamedia-Wahlumfragen) werden die Wahlen zu Verlusten der SVP und der bürgerlichen Parteien sowie zu Gewinnen für die GLP und die Grünen führen.
Diese Vorhersagen sind denen, welche ich bereits auf Basis des Prognosemarkts Anfang September 2019 hier publiziert habe, zum Verwechseln ähnlich. Zudem unterscheiden sich diese Punktschätzungen trotz reger Beteiligung am Prognosemarkt – 212 Personen haben 4624 mal Aktien gehandelt – kaum von den Vorhersagen, welche der Prognosemarkt bereits Mitte Mai 2019 generiert hat.
Beispiel: Eine Aktie beschreibt, dass eine Kandidatin gewählt wird. Der momentane Preis ist 50 Spielfranken. Dieser Preis beschreibt die Erwartung, dass die Wahrscheinlichkeit für die Wahl bei fünfzig Prozent liegt. Glaubt man, dass die Wahrscheinlichkeit für die Wahl der Kandidatin geringer als fünfzig Prozent ist, dann sollte man diese Aktie verkaufen. Denkt man, dass die Wahrscheinlichkeit für die Wahl der Kandidatin höher als fünfzig Prozent ist, dann sollte man diese Aktie kaufen. Wenn die Kandidatin tatsächlich gewählt wird, dann wird der Schlusspreis für diese Aktie 100 Spielfranken betragen. Ansonsten wird der Preis null Spielfranken betragen.
Sollten die Vorhersagen des Prognosemarktes nicht weit vom Endergebnis liegen, zeigt dies auch, dass die Wählerinnen und Wähler ihre Wahlabsicht während des Wahlkampfes kaum geändert haben. Verschiebungen der Wahlintentionen sind kaum vorhersehbar und würden daher zu einer Änderung in den Vorhersagen auf dem Prognosemarkt führen.
Abbildung 1: Durchschnittlich vorhergesagte Wähleranteile für die Nationalratswahlen
Die Schätzungen darüber, welchen Wähleranteil die einzelnen Parteien erreichen werden, haben sich während des Wahlkampfes kaum verändert. Hingegen hat sich die Sicherheit über den ungefähren Wahlausgang geändert.
Abbildung 2 zeigt achtzig Prozent Wahrscheinlichkeitsbereiche für die Vorhersagen für die Wähleranteile der verschiedenen Parteien. Für alle Parteien ausser der BDP lag Ende Mai bis Anfangs Juni die Wahrscheinlichkeit, dass das geschätzte Wahlresultat bei +/-2% des tatsächlichen Wahlresultates lag, bei über achtzig Prozent. Seit Mitte September liegt dieses “Konfidenzintervall” für alle Parteien bei unter +/-2%. Für alle Parteien ausser der wählerstarken SVP liegt es nun bei maximal +/-1,5%.
Diese Sicherheit über das Wahlresultat während des Wahlkampfes nahm stetig zu, weshalb einzelne Ereignisse und die Publikation neuer Umfragewerte höchstens teilweise dafür verantwortlich sein dürften. Vielmehr zeigt die zunehmende Sicherheit über das Wahlergebnis, dass der Wahlkampf zwar nicht zu Änderungen in den Wahlabsichten geführt hat, aber dass er die Wählerinnen und Wähler mobilisiert hat in etwa so zu wählen, wie man dies bereits vor dem Wahlkampf erwarten durfte. Hätte der Wahlkampf gar keinen Effekt gehabt, wäre der Prognosemarkt bereits im Mai gleich sicher über den ungefähren Wahlausgang gewesen wie nun eine Woche vor den Wahlen.
Abbildung 2: 80%-Wahrscheinlichkeitsbereiche für die Vorhersagen für die Wähleranteile der verschiedenen Parteien
Ständerat: Wenige Überraschungen im Wahlkampf
Die dritte Abbildung zeigt die aktuellsten Vorhersagen für die Ständeratswahlen. Die zweite Spalte in der Tabelle zeigt den Bereich des Wahrscheinlichen. Die SP und die SVP können im für sie besten Fall ihre Anzahl Sitze verteidigen, während Grüne und Lega voraussichtlich gleich bleiben oder gewinnen.
Mit grösserer Unsicherheit versehen ist die Punktschätzung für das Resultat, welches in der dritten Spalte abgebildet wird. Es handelt sich dabei um das gemäss Prognosemarkt wahrscheinlichste Szenario. Gemäss diesem Szenario dürften aktuell CVP und Grüne jeweils einen Sitz gewinnen, während SP und SVP je einen Sitz verlieren würden. Dabei gilt es aber zu beachten, dass die Rennen um die Ständerratssitze in den Kantonen Aargau, Basel-Land, Schwyz und Tessin sehr offen sind.
Wie die Vorhersagen zu den Nationalratswahlen haben sich auch die Vorhersagen für den Ständerat kaum geändert, wenn es um die Parteienstärken geht. Allerdings ist der Bereich des Wahrscheinlichen über die Dauer des Wahlkampfes etwas weniger gross geworden. Dies deutet darauf hin, dass auch der Wahlkampf bei den Ständeratswahlen vor allem dazu dient, dass sich die Wählerinnen und Wähler ihrer Präferenzen bewusst werden und am Wahltag so wählen, wie es zu erwarten war.
Insgesamt haben sich die Vorhersagen also kaum verändert, während der Bereich des Wahrscheinlichen etwas geringer geworden ist. Dies passt ins Bild der geringen Wirkung des Schweizer Wahlkampfes, welcher die Wählerinnen und Wähler wie erwartet mobilisiert, sie aber nicht zu einem Umschwung ihrer Präferenzen bewegt. All dies gilt immer unter der Voraussetzung, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Prognosemarkt mit ihren durchschnittlichen Erwartungen richtig liegen und der Prognosemarkt eine mehr oder weniger korrekte Vorhersage des Wahlausgangs generiert hat.
Tabelle 1: Prognose zu Sitzverteilung nach Ständeratswahlen 2019
Für die Erstellung der Vorhersagen für die Ständeratswahlen bin ich folgendermassen vorgegangen: Um eine Einschätzung dafür zu erhalten, wie viele Sitze eine Partei mindestens erreichen wird, habe ich alle Sitze aus den zehn Kantonen, in welchen das Resultat bereits vor dem Wahlkampf fest zu stehen schien, zusammengezählt. Dann habe ich alle Sitze dazu addiert, bei welchen gemäss Prognosemarkt die Wahrscheinlichkeit für eine Wahl bei über 66 Prozent liegt. Um eine Schätzung dafür zu erhalten, wie viele Sitze eine Partei realistischerweise maximal gewinnen könnte, habe ich noch alle Sitze für Kandidierende mit der zweit- und dritthöchsten Wahrscheinlichkeit für eine Wahl hinzugezählt, wenn der zweite Sitz umstritten ist (d.h. für maximal eine Kandidatin mehr als 66% Wahlwahrscheinlichkeit vorhergesagt wird).