Liberal und untätowiert: die NZZ-Leserschaft

Wie tickt die NZZ-Leser­schaft? In sei­ner letz­ten Wahl­ko­lum­ne geht Mar­kus Frei­tag dem Zusam­me­hang zwi­schen Zei­tungs- und Par­tei­prä­fe­renz nach. Denn es gilt: Sag’ mir, was Du liest, und ich sag’ Dir, was Du wählst!

Wäh­le­rin und Wäh­ler, es ist Zeit! Der Som­mer war gross, doch jetzt steht der Urnen­gang vor der Tür. Wer sich bis jetzt noch zu kei­ner Mei­nung durch­ge­run­gen hat, wird auch die letz­ten Ver­spre­chun­gen der Kan­di­die­ren­den ins Lee­re lau­fen lassen.

Und wer jetzt noch ohne Par­tei ist, wird sich sei­ner Stim­me wohl ent­hal­ten. Der Leser­schaft der Neu­en Zür­cher Zei­tung sind sol­che Gedan­ken indes fremd. Für NZZ-Getreue ist die Wahl­teil­nah­me fast schon Bürgerpflicht.

Doch was sind das eigentlich für Menschen, die diese Zeitung lesen?

All­tags­be­ob­ach­tun­gen legen zunächst ein­mal nahe, dass es sich mehr­heit­lich um adrett geklei­de­te, grau­me­lier­te und zumeist untä­to­wier­te Per­so­nen han­delt. Sys­te­ma­ti­sche­re Schät­zun­gen sta­tis­ti­schen Zah­len­ma­te­ri­als las­sen dazu erken­nen, dass NZZ-Lesen­de vor­nehm­lich in Städ­ten und Agglo­me­ra­tio­nen zuhau­se sind, zudem sind sie eher hoch­ge­bil­det, ein­kom­mens­stark, ori­gi­nell, phan­ta­sie­voll, männ­lich und Nicht­rau­cher. Ver­gleich­bar mit der Leser­schaft ande­rer Pos­til­len greift nur ein Fünf­tel von ihnen regel­mäs­sig zum Glimmstengel.

Zudem wird die Neue Zür­cher Zei­tung für vie­le erst ab dem dreis­sigs­ten Alters­jahr zur Opti­on. Im Ver­gleich zur Blick-Leser­schaft besit­zen NZZ-Lesen­de sel­te­ner ein Auto, dafür flie­gen sie mehr als die Freun­de des Bou­le­vards (dies gilt auch im Ver­gleich zur Leser­schaft des Tages-Anzei­gers und von 20Minuten). Über drei Vier­tel von ihnen ver­fol­gen zudem regel­mäs­sig das Pro­gramm des Schwei­zer Fernsehens.

Politisch gebildet und interessiert

Die NZZ-Leser­schaft ver­fügt über ein aus­ser­or­dent­li­ches poli­ti­sches Wis­sen, strahlt eine gros­se Demo­kra­tie­zu­frie­den­heit aus und bringt dem Bun­des­rat erheb­li­ches Ver­trau­en ent­ge­gen. Und unab­hän­gig von Alter und Geschlecht berich­ten fast alle Anhän­ge­rin­nen und Anhän­ger der NZZ ein hohes poli­ti­sches Interesse.

Fast sieb­zig Pro­zent füh­len sich einer Par­tei ver­bun­den. Geht es um poli­ti­sche Inhal­te, ver­ra­ten die Zah­len, dass NZZ-Lese­rin­nen und ‑leser einer Erhö­hung der Sozi­al­aus­ga­ben eher kri­tisch gegen­über­ste­hen. Zwei Drit­tel befür­wor­ten Mass­nah­men zum Schut­ze der Umwelt und ein Drit­tel möch­te die Atom­ener­gie nicht missen.

Sieb­zig Pro­zent der NZZ-Leser­schaft spricht sich für eine Erhö­hung des Ren­ten­al­ters auf 67 Jah­re aus. Zum Ver­gleich: Lesen­de des Tages-Anzei­gers tun dies nur zu knapp 44 Pro­zent und unter den Kon­su­men­ten des Blicks und 20Minuten erfreut sich die­ser Vor­schlag nur bei rund einem Drit­tel beson­de­rer Beliebt­heit. Ein Fünf­tel der NZZ­ler wie­der­um befür­wor­tet einen Bei­tritt zur Euro­päi­schen Uni­on. Mit Blick auf die Zusam­men­set­zung des Bun­des­ra­tes spre­chen sich über acht­zig Pro­zent der NZZ-Getreu­en für eine Kon­kor­danz­for­mel aus, die sich rein an den Par­tei­stär­ken orientiert.

Zum Schluss unse­rer Wahl­ko­lum­nen bleibt die Fra­ge, was eigent­lich wäre, wenn nur die NZZ-Leser­schaft wäh­len und damit die Geschi­cke die­ses Lan­des bestim­men dürf­te? Aus­wer­tun­gen zu den ver­gan­ge­nen Wah­len deu­ten auf eine libe­ra­le Akzent­ver­schie­bung in der Zusam­men­set­zung des Natio­nal- und Stän­der­ra­tes an.

Wür­de nur die NZZ-Leser­schaft wäh­len, wäre die FDP die stärks­te Kraft in Bern. Annä­hernd jeder zwei­te unter der NZZ-Leser­schaft spricht sich für die Frei­sin­ni­gen aus. 21 Pro­zent wür­den den Sozi­al­de­mo­kra­ten ihre Stim­me geben und rund 15 Pro­zent votier­ten für die Schwei­ze­ri­sche Volks­par­tei. Die CVP und die Grün­li­be­ra­len wür­den rund sie­ben, die Grü­nen fünf Pro­zent errei­chen. Alle übri­gen Par­tei­en kämen nicht in die Krän­ze. Zum Ver­gleich: Wer den Tages-Anzei­ger liest, wählt mehr­heit­lich SP, Lesen­de des Blicks und 20Minuten spre­chen sich klar für die SVP aus.

 

Daten und Methoden
Die dem Bei­trag zu Grun­de lie­gen­den Ana­ly­sen stüt­zen sich auf Daten aus der Schwei­zer Wahl­stu­die SELECTS 2015 und eines Online-Panels im Rah­men der Stu­die «Die Psy­che des Poli­ti­schen» aus dem Jahr 2016.

Hin­weis: Die­ser Bei­trag wur­de am 8. Okto­ber 2019 in der Neu­en Zür­cher Zei­tung publiziert.

 

Foto: DeFacto

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