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Liberal und untätowiert: die NZZ-Leserschaft

Markus Freitag
11th Oktober 2019

Wie tickt die NZZ-Leserschaft? In seiner letzten Wahlkolumne geht Markus Freitag dem Zusammehang zwischen Zeitungs- und Parteipräferenz nach. Denn es gilt: Sag’ mir, was Du liest, und ich sag’ Dir, was Du wählst!

Wählerin und Wähler, es ist Zeit! Der Sommer war gross, doch jetzt steht der Urnengang vor der Tür. Wer sich bis jetzt noch zu keiner Meinung durchgerungen hat, wird auch die letzten Versprechungen der Kandidierenden ins Leere laufen lassen.

Und wer jetzt noch ohne Partei ist, wird sich seiner Stimme wohl enthalten. Der Leserschaft der Neuen Zürcher Zeitung sind solche Gedanken indes fremd. Für NZZ-Getreue ist die Wahlteilnahme fast schon Bürgerpflicht.

Doch was sind das eigentlich für Menschen, die diese Zeitung lesen?

Alltagsbeobachtungen legen zunächst einmal nahe, dass es sich mehrheitlich um adrett gekleidete, graumelierte und zumeist untätowierte Personen handelt. Systematischere Schätzungen statistischen Zahlenmaterials lassen dazu erkennen, dass NZZ-Lesende vornehmlich in Städten und Agglomerationen zuhause sind, zudem sind sie eher hochgebildet, einkommensstark, originell, phantasievoll, männlich und Nichtraucher. Vergleichbar mit der Leserschaft anderer Postillen greift nur ein Fünftel von ihnen regelmässig zum Glimmstengel.

Zudem wird die Neue Zürcher Zeitung für viele erst ab dem dreissigsten Altersjahr zur Option. Im Vergleich zur Blick-Leserschaft besitzen NZZ-Lesende seltener ein Auto, dafür fliegen sie mehr als die Freunde des Boulevards (dies gilt auch im Vergleich zur Leserschaft des Tages-Anzeigers und von 20Minuten). Über drei Viertel von ihnen verfolgen zudem regelmässig das Programm des Schweizer Fernsehens.

Politisch gebildet und interessiert

Die NZZ-Leserschaft verfügt über ein ausserordentliches politisches Wissen, strahlt eine grosse Demokratiezufriedenheit aus und bringt dem Bundesrat erhebliches Vertrauen entgegen. Und unabhängig von Alter und Geschlecht berichten fast alle Anhängerinnen und Anhänger der NZZ ein hohes politisches Interesse.

Fast siebzig Prozent fühlen sich einer Partei verbunden. Geht es um politische Inhalte, verraten die Zahlen, dass NZZ-Leserinnen und -leser einer Erhöhung der Sozialausgaben eher kritisch gegenüberstehen. Zwei Drittel befürworten Massnahmen zum Schutze der Umwelt und ein Drittel möchte die Atomenergie nicht missen.

Siebzig Prozent der NZZ-Leserschaft spricht sich für eine Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre aus. Zum Vergleich: Lesende des Tages-Anzeigers tun dies nur zu knapp 44 Prozent und unter den Konsumenten des Blicks und 20Minuten erfreut sich dieser Vorschlag nur bei rund einem Drittel besonderer Beliebtheit. Ein Fünftel der NZZler wiederum befürwortet einen Beitritt zur Europäischen Union. Mit Blick auf die Zusammensetzung des Bundesrates sprechen sich über achtzig Prozent der NZZ-Getreuen für eine Konkordanzformel aus, die sich rein an den Parteistärken orientiert.

Zum Schluss unserer Wahlkolumnen bleibt die Frage, was eigentlich wäre, wenn nur die NZZ-Leserschaft wählen und damit die Geschicke dieses Landes bestimmen dürfte? Auswertungen zu den vergangenen Wahlen deuten auf eine liberale Akzentverschiebung in der Zusammensetzung des National- und Ständerrates an.

Würde nur die NZZ-Leserschaft wählen, wäre die FDP die stärkste Kraft in Bern. Annähernd jeder zweite unter der NZZ-Leserschaft spricht sich für die Freisinnigen aus. 21 Prozent würden den Sozialdemokraten ihre Stimme geben und rund 15 Prozent votierten für die Schweizerische Volkspartei. Die CVP und die Grünliberalen würden rund sieben, die Grünen fünf Prozent erreichen. Alle übrigen Parteien kämen nicht in die Kränze. Zum Vergleich: Wer den Tages-Anzeiger liest, wählt mehrheitlich SP, Lesende des Blicks und 20Minuten sprechen sich klar für die SVP aus.

 

Daten und Methoden
Die dem Beitrag zu Grunde liegenden Analysen stützen sich auf Daten aus der Schweizer Wahlstudie SELECTS 2015 und eines Online-Panels im Rahmen der Studie «Die Psyche des Politischen» aus dem Jahr 2016.


Hinweis: Dieser Beitrag wurde am 8. Oktober 2019 in der Neuen Zürcher Zeitung publiziert.

 

Foto: DeFacto