Digitalisierung und Parteienwettbewerb in Deutschland

Die Digi­ta­le Trans­for­ma­ti­on schrei­tet mit mas­si­vem Tem­po vor­an, doch im Par­tei­en­wett­be­werb spielt das The­ma bis­her nur eine unter­ge­ord­ne­te Rol­le. In unse­rer For­schung zei­gen wir auf, wie stark und unter wel­chen Bedin­gun­gen sich Par­tei­en auf der deut­schen Län­der­ebe­ne zur Digi­ta­li­sie­rung äus­sern. Unse­re Ana­ly­sen zei­gen, dass die Par­tei­en den digi­ta­len Wan­del nur beschränkt pro­ak­tiv ange­hen und vor allem poli­tisch-stra­te­gisch agieren.

Die weit­rei­chen­den gesell­schaft­li­chen wie öko­no­mi­schen Ver­än­de­rungs­pro­zes­se im Zuge der Digi­ta­len Trans­for­ma­ti­on zwin­gen die poli­ti­schen Akteu­re, sich der Digi­ta­li­sie­rung  anzu­neh­men. In Umfra­gen zu den wich­tigs­ten Pro­ble­men in Deutsch­land domi­nie­ren aller­dings nach wie vor die klas­si­schen The­men Ren­te, Arbeit oder Gesund­heit. Es scheint, als wäre das Aus­mass der Her­aus­for­de­run­gen der digi­ta­len Trans­for­ma­ti­on in der brei­ten Bevöl­ke­rung noch nicht ange­kom­men. Folg­lich ist mit die­sem The­ma bis­lang auch kei­ne Wahl zu gewinnen.

Ange­sichts die­ser ambi­va­len­ten Anrei­ze für Par­tei­en stellt sich den­noch die Fra­ge, wie das The­ma Digi­ta­li­sie­rung Ein­gang in den deut­schen Par­tei­en­wett­be­werb fin­det. Digi­ta­li­sie­rung in Deutsch­land ist zwar mitt­ler­wei­le zur Chef­sa­che erklärt wor­den, aller­dings fin­det Digi­tal­po­li­tik nicht nur auf Bun­des­ebe­ne statt, son­dern wird auch aktiv von den Bun­des­län­dern gestal­tet. So haben bei­spiels­wei­se bis heu­te alle Bun­des­län­der eine digi­ta­le Stra­te­gie aus­ge­ar­bei­tet, wobei Bay­ern und Hes­sen der Bun­des­ebe­ne sogar vor­aus sind und eigen­stän­di­ge Digi­tal­mi­nis­te­ri­en ein­ge­rich­tet haben.

Daten und Methoden
Für unse­re Unter­su­chung haben wir 190 Wahl­pro­gram­me aus 29 Land­tags­wah­len zwi­schen 2010 und 2018 ana­ly­siert. Dabei haben wir die zur Zeit im Bun­des­tag ver­tre­te­nen Par­tei­en sowie zusätz­lich die Pira­ten­par­tei – eine Nischen­par­tei mit star­kem Fokus auf Digi­ta­li­sie­rung – dar­auf­hin unter­sucht, wie sehr sie Aspek­te der Digi­ta­li­sie­rung bei Wahl­kämp­fen in den ein­zel­nen Bun­des­län­dern betont haben. 
Die Bedeutung von Digitalpolitik im Parteienwettbewerb der Länder

Abbil­dung 1 zeigt die Beto­nung digi­tal­po­li­ti­scher The­men in den Wahl­pro­gram­men der Par­tei­en. Im Ver­gleich zur Pira­ten­par­tei fällt die Beto­nung bei den sechs im Bun­des­tag ver­tre­te­nen Par­tei­en gering aus.

Weist bei der Pira­ten­par­tei im Schnitt nahe­zu jeder zehn­te Satz im Par­tei­pro­gramm einen Bezug zu Digi­ta­li­sie­rung auf, bewe­gen sich die ande­ren Par­tei­en unter­halb der Hälf­te die­ses Niveaus. Dabei äus­sern sich Grü­ne, SPD, FDP und CDU/CSU ähn­lich häu­fig zu digi­tal­po­li­ti­schen The­men (durch­schnitt­lich cir­ca drei Pro­zent aller Sät­ze im jewei­li­gen Par­tei­pro­gramm), wäh­rend die Lin­ke und die AfD kon­sis­tent hin­ter­her­hin­ken. Auf­fäl­lig ist zudem die FDP, die vier Aus­reis­ser auf­weist, wel­che annä­hernd an die durch­schnitt­li­che Beto­nung der Digi­ta­li­sie­rung bei der Pira­ten­par­tei reicht.

Abbildung 1: Betonung digitalpolitischer Themen im Parteivergleich
Eigene Darstellung nach Siewert & König 2019

Abbil­dung 2 zeigt die Beto­nung digi­tal­po­li­ti­scher Posi­tio­nen in den Par­tei­pro­gram­men der jewei­li­gen Wah­len. Zum einen wei­sen alle Län­der einen Anstieg über Zeit auf, wobei die höchs­ten Durch­schnitts­wer­te bei den jüngs­ten Wah­len der Jah­re 2016 bis 2018 zu beob­ach­ten sind. Zum ande­ren sticht kein offen­sicht­li­cher regio­na­ler Zusam­men­hang her­aus. Unter den Spit­zen­rei­tern fin­den sich sowohl rei­che­re als auch ärme­re Bun­des­län­der, gros­se Flä­chen­staa­ten wie auch klei­ne­re Bundesländer.

Auf­fal­lend ist dabei, dass neben Ber­lin kein wei­te­res ost­deut­sches Bun­des­land in den obe­ren Rän­gen liegt. Die­se Tat­sa­che ist jedoch mit Vor­sicht zu inter­pre­tie­ren, da in unse­ren Daten die ost­deut­schen Bun­des­län­der nur mit frü­hen Wah­len vor­lie­gen. Wirk­lich über­ra­schend schnei­den hin­ge­gen Ham­burg und Bre­men ab – zwei Bun­des­län­der, die bei der Moder­ni­sie­rung der digi­ta­len Infra­struk­tur eine Spit­zen­po­si­ti­on einnehmen.

Abbildung 2: Betonung digitalpolitischer Themen nach Bundesländern

Eigene Darstellung nach Siewert & König 2019
Weshalb betonen manche Parteien Digitalisierung mehr als andere?

Die sys­te­ma­ti­sche Ana­ly­se der Par­tei­un­ter­schie­de lie­fert eine Rei­he von Ein­flüs­sen, die zu einer stär­ke­ren Beto­nung von Digi­ta­li­sie­rung durch die Par­tei­en beitragen.

Ers­tens wei­sen grös­se­re Par­tei­en einen signi­fi­kant stär­ke­ren Digi­ta­li­sie­rung-Fokus auf als klei­ne­re. Dies kann einer­seits damit begrün­det wer­den, dass grös­se­re Par­tei­en rela­tiv leich­ter Res­sour­cen auf neue bzw. auf­kom­men­de The­men ver­wen­den kön­nen, wäh­rend klei­ne­re Par­tei­en hier stra­te­gisch spar­sa­mer agie­ren müs­sen. Ande­rer­seits haben grö­ße­re Par­tei­en auch eine höhe­re Chan­ce auf eine zukünf­ti­ge Regie­rungs­be­tei­li­gung und damit auch dar­auf, die Früch­te von mehr Inves­ti­tio­nen in Digi­ta­li­sie­rung zu ernten.

Zwei­tens zeigt sich, dass die Beto­nung von Digi­ta­li­sie­rung von der ideo­lo­gi­schen Aus­rich­tung der Par­tei­en abhän­gig ist und mit einer stär­ker markt­li­be­ra­len sowie mit einer stär­ker sozio­kul­tu­rell pro­gres­si­ven Hal­tung ansteigt.

Drit­tens lässt sich ein „Pira­ten-Effekt“ nach­wei­sen. Dem­nach adres­sie­ren Par­tei­en Digi­ta­li­sie­rung weit­aus stär­ker bei einer Wahl, wenn im betref­fen­den Bun­des­land die Pira­ten bei der vor­an­ge­hen­den Wahl hohe Stim­men­an­tei­le gewin­nen konn­ten. Die­ser Effekt fällt zudem umso stär­ker aus, je mehr eine Par­tei den Pira­ten auf der sozio­kul­tu­rel­len Kon­flikt­ach­se Ach­se näher­steht und somit ein ideo­lo­gi­scher Kon­kur­rent ist.

Wettbewerbsdruck führt zu mehr Digitalisierung im Parteiprogramm

Ins­ge­samt deu­tet unse­re Ana­ly­sen dar­auf hin, dass Par­tei­en das The­ma Digi­ta­li­sie­rung dann stär­ker in ihren Par­tei­pro­gram­men auf­grei­fen, wenn der Wett­be­werbs­druck (Pira­ten­par­tei) sie dazu treibt, oder wenn es für sie poli­tisch-stra­te­gisch oppor­tun erscheint. Solan­ge das The­ma jedoch nicht wei­ter oben auf der Agen­da in der öffent­li­chen Mei­nung ran­giert, wird es auf­grund der aus­blei­ben­den Poli­ti­sie­rung den Par­tei­en­wett­be­werb nicht bedeu­tend prä­gen und die Par­tei­en wer­den nur begrenzt dar­um kon­kur­rie­ren, die bes­ten Lösun­gen parat zu haben. Dies hät­te bedeu­ten­de Fol­gen, da unter die­sen Vor­zei­chen ein pro­ak­ti­ver, vor­aus­schau­en­der Umgang mit den Her­aus­for­de­run­gen des digi­ta­len Wan­dels kaum zu erwar­ten ist.


Refe­renz:

Sie­wert, Mar­kus B. und König Pas­cal D. (2019). On digi­tal front-run­ners and late-comers: Ana­ly­zing issue com­pe­ti­ti­on over digi­tiz­a­ti­on in Ger­man sub­na­tio­nal elec­tions, in Euro­pean Poli­ti­cal Sci­ence Review 11(2).

 

Bild: Wikicommons

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