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Digitalisierung und Parteienwettbewerb in Deutschland

Markus B. Siewert, Pascal D. König
5th August 2019

Die Digitale Transformation schreitet mit massivem Tempo voran, doch im Parteienwettbewerb spielt das Thema bisher nur eine untergeordnete Rolle. In unserer Forschung zeigen wir auf, wie stark und unter welchen Bedingungen sich Parteien auf der deutschen Länderebene zur Digitalisierung äussern. Unsere Analysen zeigen, dass die Parteien den digitalen Wandel nur beschränkt proaktiv angehen und vor allem politisch-strategisch agieren.

Die weitreichenden gesellschaftlichen wie ökonomischen Veränderungsprozesse im Zuge der Digitalen Transformation zwingen die politischen Akteure, sich der Digitalisierung  anzunehmen. In Umfragen zu den wichtigsten Problemen in Deutschland dominieren allerdings nach wie vor die klassischen Themen Rente, Arbeit oder Gesundheit. Es scheint, als wäre das Ausmass der Herausforderungen der digitalen Transformation in der breiten Bevölkerung noch nicht angekommen. Folglich ist mit diesem Thema bislang auch keine Wahl zu gewinnen.

Angesichts dieser ambivalenten Anreize für Parteien stellt sich dennoch die Frage, wie das Thema Digitalisierung Eingang in den deutschen Parteienwettbewerb findet. Digitalisierung in Deutschland ist zwar mittlerweile zur Chefsache erklärt worden, allerdings findet Digitalpolitik nicht nur auf Bundesebene statt, sondern wird auch aktiv von den Bundesländern gestaltet. So haben beispielsweise bis heute alle Bundesländer eine digitale Strategie ausgearbeitet, wobei Bayern und Hessen der Bundesebene sogar voraus sind und eigenständige Digitalministerien eingerichtet haben.

Daten und Methoden
Für unsere Untersuchung haben wir 190 Wahlprogramme aus 29 Landtagswahlen zwischen 2010 und 2018 analysiert. Dabei haben wir die zur Zeit im Bundestag vertretenen Parteien sowie zusätzlich die Piratenpartei – eine Nischenpartei mit starkem Fokus auf Digitalisierung – daraufhin untersucht, wie sehr sie Aspekte der Digitalisierung bei Wahlkämpfen in den einzelnen Bundesländern betont haben.

Die Bedeutung von Digitalpolitik im Parteienwettbewerb der Länder

Abbildung 1 zeigt die Betonung digitalpolitischer Themen in den Wahlprogrammen der Parteien. Im Vergleich zur Piratenpartei fällt die Betonung bei den sechs im Bundestag vertretenen Parteien gering aus.

Weist bei der Piratenpartei im Schnitt nahezu jeder zehnte Satz im Parteiprogramm einen Bezug zu Digitalisierung auf, bewegen sich die anderen Parteien unterhalb der Hälfte dieses Niveaus. Dabei äussern sich Grüne, SPD, FDP und CDU/CSU ähnlich häufig zu digitalpolitischen Themen (durchschnittlich circa drei Prozent aller Sätze im jeweiligen Parteiprogramm), während die Linke und die AfD konsistent hinterherhinken. Auffällig ist zudem die FDP, die vier Ausreisser aufweist, welche annähernd an die durchschnittliche Betonung der Digitalisierung bei der Piratenpartei reicht.

Abbildung 1: Betonung digitalpolitischer Themen im Parteivergleich
Eigene Darstellung nach Siewert & König 2019

Abbildung 2 zeigt die Betonung digitalpolitischer Positionen in den Parteiprogrammen der jeweiligen Wahlen. Zum einen weisen alle Länder einen Anstieg über Zeit auf, wobei die höchsten Durchschnittswerte bei den jüngsten Wahlen der Jahre 2016 bis 2018 zu beobachten sind. Zum anderen sticht kein offensichtlicher regionaler Zusammenhang heraus. Unter den Spitzenreitern finden sich sowohl reichere als auch ärmere Bundesländer, grosse Flächenstaaten wie auch kleinere Bundesländer.

Auffallend ist dabei, dass neben Berlin kein weiteres ostdeutsches Bundesland in den oberen Rängen liegt. Diese Tatsache ist jedoch mit Vorsicht zu interpretieren, da in unseren Daten die ostdeutschen Bundesländer nur mit frühen Wahlen vorliegen. Wirklich überraschend schneiden hingegen Hamburg und Bremen ab – zwei Bundesländer, die bei der Modernisierung der digitalen Infrastruktur eine Spitzenposition einnehmen.

Abbildung 2: Betonung digitalpolitischer Themen nach Bundesländern

Eigene Darstellung nach Siewert & König 2019
Weshalb betonen manche Parteien Digitalisierung mehr als andere?

Die systematische Analyse der Parteiunterschiede liefert eine Reihe von Einflüssen, die zu einer stärkeren Betonung von Digitalisierung durch die Parteien beitragen.

Erstens weisen grössere Parteien einen signifikant stärkeren Digitalisierung-Fokus auf als kleinere. Dies kann einerseits damit begründet werden, dass grössere Parteien relativ leichter Ressourcen auf neue bzw. aufkommende Themen verwenden können, während kleinere Parteien hier strategisch sparsamer agieren müssen. Andererseits haben größere Parteien auch eine höhere Chance auf eine zukünftige Regierungsbeteiligung und damit auch darauf, die Früchte von mehr Investitionen in Digitalisierung zu ernten.

Zweitens zeigt sich, dass die Betonung von Digitalisierung von der ideologischen Ausrichtung der Parteien abhängig ist und mit einer stärker marktliberalen sowie mit einer stärker soziokulturell progressiven Haltung ansteigt.

Drittens lässt sich ein „Piraten-Effekt“ nachweisen. Demnach adressieren Parteien Digitalisierung weitaus stärker bei einer Wahl, wenn im betreffenden Bundesland die Piraten bei der vorangehenden Wahl hohe Stimmenanteile gewinnen konnten. Dieser Effekt fällt zudem umso stärker aus, je mehr eine Partei den Piraten auf der soziokulturellen Konfliktachse Achse nähersteht und somit ein ideologischer Konkurrent ist.

Wettbewerbsdruck führt zu mehr Digitalisierung im Parteiprogramm

Insgesamt deutet unsere Analysen darauf hin, dass Parteien das Thema Digitalisierung dann stärker in ihren Parteiprogrammen aufgreifen, wenn der Wettbewerbsdruck (Piratenpartei) sie dazu treibt, oder wenn es für sie politisch-strategisch opportun erscheint. Solange das Thema jedoch nicht weiter oben auf der Agenda in der öffentlichen Meinung rangiert, wird es aufgrund der ausbleibenden Politisierung den Parteienwettbewerb nicht bedeutend prägen und die Parteien werden nur begrenzt darum konkurrieren, die besten Lösungen parat zu haben. Dies hätte bedeutende Folgen, da unter diesen Vorzeichen ein proaktiver, vorausschauender Umgang mit den Herausforderungen des digitalen Wandels kaum zu erwarten ist.


Referenz:

Siewert, Markus B. und König Pascal D. (2019). On digital front-runners and late-comers: Analyzing issue competition over digitization in German subnational elections, in European Political Science Review 11(2).

 

Bild: Wikicommons