Regierungshandeln im Spannungsfeld von Partei- und Exekutivpolitik am Beispiel des Bundesrats

Die Polarisierung des Schweizer Parteiensystems führt dazu, dass sich auch Bundesräte in einem wachsenden Spannungsfeld befinden. Das Kollegialprinzip, der Grundstein bundesrätlicher Entscheidungen, gerät immer mehr in Schieflage – intern und extern. Der Bundesrat sieht sich also vor die grosse Herausforderung gestellt, seine Rolle im Spannungsfeld zwischen Exekutivpolitik und Parteipolitik wahrzunehmen.

Lange galt die Schweiz als eines der am besten regierten Länder der Welt. Neben dem Föderalismus und der direkten Demokratie, hatte sie dies insbesondere der Konkordanz, der «Zauberformel» und dem Kollegialprinzip zu verdanken. Diese Pfeiler sind nicht mehr so stabil wie früher. Dafür ist nicht zuletzt die Polarisierung im Schweizer Parteiensystem in den letzten dreissig Jahren verantwortlich: Die beiden Pol-Parteien SVP und SP haben sich zunehmend voneinander entfernt. Die Konsensfindung im Parlament wurde so schwieriger.

Im Jahr 2003 trat dann diese Polarisierung auch im Bundesrat zu Tage, als die SVP in Opposition ging. Die Regierung war fortan wegen des stärker politisierten Umfelds vor eine neuartige Herausforderung gestellt. Dank der gemässigten Rechts- und Zentrumsparteien blieb das System jedoch weiterhin regierbar: CVP und FDP bildeten wahlweise Koalitionen mit der SVP oder der SP und stellten so mehrheitsfähige Lösungen her. Dadurch konnte der Bundesrat zwischen 2007–2011 – trotz quasi-systematischer Opposition der Polparteien – die Mehrheit der Volksabstimmungen für sich entscheiden.

Diese bis heute andauernde parteipolitische Polarisierung hat jedoch dazu geführt, dass sich die Bundesratsmitglieder selbst in einem wachsenden Spannungsfeld befinden: Auf der einen Seite sind sie dem Kollegialprinzip verpflichtet. Auf der anderen Seite fühlen sie sich aber auch ihrer Partei gegenüber verantwortlich. Wegen gegensätzlicher Ansichten kommt es innerhalb des Bundesrats deshalb vermehrt zu wechselseitigen Blockaden.

Departementalprinzip vs. Kollegialprinzip

Anstatt das Kollegialprinzip, also die gemeinsame Haltung der Gesamtregierung, über die eigene parteipolitische Einstellung zu stellen, setzen sich die Bundesräte zugunsten ihres Departements ein. So wird das als Gegengewicht zum Kollegialprinzip gedachte Departementalprinzip, also die Berücksichtigung der eigenen Parteiposition im verantworteten Departement, überstrapaziert. Verhandlungen werden je länger je häufiger nicht mehr von gesellschaftlichen Anliegen geleitet. Vielmehr dominieren eingeschränkte departementale Ansichten. Aufgrund dieser häufig vorschnellen und parteiorientierten Argumentationen wird die Suche nach sachlich guten Lösungen für gesellschaftliche Probleme erschwert.

Dazu kommt, dass sich der Bundesrat häufig auf eine negative Koordination beschränkt. Will heissen, dass die Regierungsmitglieder das Abwenden von Schaden vom eigenen Departement als oberste Priorität sehen. Das führt unweigerlich dazu, dass nur Geschäfte, die keinem Departement schaden, rasch behandelt werden können. Dafür wird die Lösungsfindung schwieriger, wenn ein Departement daraus Nachteile ziehen könnte. Somit kommt es häufiger dazu, dass Geschäfte nicht mehr ausdiskutiert werden, bis sich alle Bundesräte einig sind, sondern in einer Mehrheitsabstimmung enden.

Die Konkordanz, also die konsensuale Konfliktbeteiligung und Entscheidungsfindung, verliert im Schweizer Regierungssystem zunehmend an Bedeutung. Zwar scheint sie gegen aussen hin weiterhin intakt. Doch wird die Konkordanz nicht mehr jederzeit im Innern und auch nicht von jedem Regierungsmitglied in gleichem Ausmass gelebt. Diese Entwicklung widerspricht im Kern einer zukunftsorientierten Regierungspolitik.

Medialisierung verstärkt Meinungsdifferenzen

Das Kollegialprinzip stösst aber nicht nur innerhalb des Regierungssystems an seine Grenzen. Auch nach aussen werden Verstösse dagegen bemerkbar: Durch die steigende Medialisierung werden vertraulich gefällte Entscheide und Meinungsdifferenzen zunehmend öffentlich diskutiert. Dies widerspricht dem Grundsatz des Kollegialprinzips. Für die Medien sind aber gerade die kontroversen Einzelmeinungen von Interesse. Vor allem in Zeiten zunehmender Polarisierung wird es für die Bundesratsmitglieder schwierig, eine Kollektivmeinung zu vertreten, die den eigenen Parteiinteressen widerspricht.

Zumindest theoretisch sind die Bundesratsmitglieder nur minimal an ihre Partei „gekoppelt“. Die politische Polarisierung in den letzten Jahren hat aber vermehrt zu Problemen bezüglich der Regierungsausübung geführt. Dies dürfte sich in Zukunft auch nicht ändern. Die zunehmende Medialisierung und Personalisierung des politischen Geschehens verstärken diese Entwicklungen zusätzlich. Dadurch werden die Arbeitsbedingungen des Bundesrats deutlich erschwert. Der Bundesrat sieht sich also vor die grosse Herausforderung gestellt, seine zentrale Rolle in der politischen und strategischen Führung im Spannungsfeld zwischen der Exekutivpolitik und seiner Parteipolitik trotzdem wahrzunehmen.


Referenz:

Fritz Sager und Adrian Vatter (2019). Regierungshandeln im Spannungsfeld von Partei- und Exekutivpolitik am Beispiel des Bundesrats. In: Blackbox Exekutive – Regierungslehre in der Schweiz. Zürich: NZZ Libro, Reihe „Politik und Gesellschaft in der Schweiz“.


Veranstaltungshinweis:

Am 18. Juni 2019 findet an der Universität Bern das vom Kompetenzzentrum für Public Management organisierte Swiss Governance Forum mit dem Fokus “Regieren in der Schweiz” statt. Im Rahmen der Veranstaltung wird das Buch “Blackbox Exekutive – Regierungslehre in der Schweiz” vorgestellt.


Bild: Schweizerische Bundeskanzlei

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