Wie das Volk zum Rahmenabkommen steht

Der Bun­des­rat hat bekannt gege­ben, dass er den Rah­men­ver­trag mit der EU vor­erst nicht unter­zeich­nen wird. Dafür ver­langt er eine Klä­rung in drei Punk­ten, nament­lich beim Lohn­schutz, den staat­li­chen Bei­hil­fen und der Uni­ons­bür­ger­richt­li­nie. In einer all­fäl­li­gen Abstim­mung hät­te das Rah­men­ab­kom­men in der Bevöl­ke­rung hin­ge­gen durch­aus Chan­cen gehabt, ange­nom­men zu wer­den, wie mei­ne Ana­ly­sen zeigen. 

Fast die Hälf­te der Befrag­ten, näm­lich 48 Pro­zent, gaben im Früh­jahr 2019 an, dem Rah­men­ab­kom­men eher oder sicher zuzu­stim­men, 44 Pro­zent der Befrag­ten wür­den es eher oder bestimmt ableh­nen (Abbil­dung 1).

Abbildung 1: Stimmabsicht bei einem Referendum über das institutionelle Rahmenabkommen mit der EU
Hinweis: Wenn die Personen, die angaben, mit Sicherheit nicht abstimmen zu wollen, aus der Analyse ausgeschlossen werden, erhöht sich der Anteil derjenigen, die dem Rahmenabkommen zustimmen würden, auf 52 Prozent und derjenige, der es sicher ablehnen würden, auf 48 Prozent. 
Wie sind die einzelnen Parteiwählerschaften positioniert?
Betrach­tet man die Stimm­ab­sich­ten nach Par­tei­zu­ge­hö­rig­keit, zeigt sich bei den Wäh­le­rin­nen und Wäh­lern der GLP, der SP und der BDP mit über sieb­zig Pro­zent Zustim­mung eine brei­te Unter­stüt­zung für das Rah­men­ab­kom­men. Dies über­rascht inso­fern in Bezug auf die SP, deren Expo­nen­ten sich in den ver­gan­ge­nen Mona­ten gemein­sam mit den Gewerk­schaf­ten dem Rah­men­ab­kom­men gegen­über eher kri­tisch posi­tio­niert hatten.
 
Auch die Wäh­ler­schaft der FDP, der CVP und der Grü­nen ist dem Rah­men­ab­kom­men gegen­über posi­tiv ein­ge­stellt, über sech­zig Pro­zent der jewei­li­gen Anhän­ger­schaf­ten wür­den ihm zustimmen.
 
Ganz im Sin­ne der Par­tei­lei­tung wür­den die Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler der SVP das Rah­men­ab­kom­men hin­ge­gen deut­lich ableh­nen, drei von vier SVP-Wäh­len­den spre­chen sich dage­gen aus. Auch Wäh­len­de ande­rer, klei­ner Par­tei­en ste­hen dem Rah­men­ab­kom­men skep­tisch gegenüber.
 Abbildung 2: Stimmabsicht Rahmenabkommen

Einschätzung der Nachverhandlungen
Die EU hat umfas­sen­de Nach­ver­hand­lun­gen des aktu­el­len Rah­men­ab­kom­mens aus­ge­schlos­sen und gewarnt, dass die Schweiz bei all­fäl­li­gen Neu­ver­hand­lun­gen auf kei­ne bes­se­ren Bedin­gun­gen hof­fen dür­fe. Das Risi­ko, dass es bei einem Schei­tern und all­fäl­li­gen Neu­ver­hand­lun­gen zu einem für die Schweiz schlech­te­ren Ergeb­nis kom­men könn­te, schätzt die Mehr­heit der Befrag­ten den­noch als gering ein. 
 
Nur ein gutes Drit­tel denkt, dass die EU bei sol­chen Neu­ver­hand­lun­gen viel weni­ger (8%) oder etwas weni­ger (26%) Zuge­ständ­nis­se machen wür­de als bis­her. 40 Pro­zent der Befrag­ten erwar­ten etwa die­sel­ben Zuge­ständ­nis­se und ein Vier­tel ist opti­mis­tisch, dass die EU in die­sem Fall etwas (22%) oder viel mehr (3%) Zuge­ständ­nis­se machen würde.
 
Doch es zei­gen sich auch in die­ser Fra­ge Unter­schie­de zwi­schen den ein­zel­nen Par­tei­an­hän­ger­schaf­ten (Abbil­dung 3).
Abbildung 3: Einschätzung der Nachverhandlungen

Die Par­tei­wäh­le­rin­nen und ‑wäh­ler der SVP schät­zen die Situa­ti­on am opti­mis­tischs­ten ein. Ein Drit­tel geht davon aus, dass die EU der Schweiz im Fall von Nach­ver­hand­lun­gen noch mehr ent­ge­gen­kommt, ein Drit­tel geht von unge­fähr glei­chen Zuge­ständ­nis­sen aus und nur knapp ein Drit­tel erwar­tet eine Ver­schlech­te­rung. Aber auch bei den Grü­nen und der FDP sind über ein Fünf­tel der Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler opti­mis­tisch, dass die EU wei­ter auf die Schweiz zuge­hen würde.

Dage­gen geht vor allem die Anhän­ger­schaft der GLP, aber auch die der CVP von einer deut­lich gerin­ge­ren Bereit­schaft der EU aus, wei­te­re Zuge­ständ­nis­sen an die Schweiz zu machen. 

Zudem zeigt sich, dass Befrag­te, wel­che die zu erwart­ba­ren Zuge­ständ­nis­se der EU in der Ten­denz pes­si­mis­tisch ein­schät­zen, eher bereit sind, dem Rah­men­ab­kom­men in der jet­zi­gen Form zuzu­stim­men (Abbil­dung 4).

Inter­es­sant ist in die­sem Kon­text auch, dass die Bereit­schaft, dem Rah­men­ab­kom­men zuzu­stim­men, nach dem Bre­x­it-Cha­os von Anfang April bei den Befrag­ten in der Schweiz deut­lich gestie­gen ist. Die unver­rück­te Posi­ti­on der EU wäh­rend der Bre­x­it-Ver­hand­lun­gen scheint auch in der Schweiz als Signal für eine har­te Ver­hand­lungs­hal­tung der EU ver­stan­den zu werden.

Abbildung 4: Erwartete Zugeständnisse der EU und Stimmabsicht Rahmenabkommen
 Klares Fazit

Ins­ge­samt zei­gen die Aus­wer­tun­gen, dass das Rah­men­ab­kom­men bei einer all­fäl­li­gen Volks­ab­stim­mung nicht chan­cen­los wäre. 

Ange­sichts der unter­schied­li­chen Erwar­tun­gen über die Bereit­schaft der EU, wei­te­re Zuge­ständ­nis­se an die Schweiz zu machen, ist die Reak­ti­on der EU auf den Ent­scheid des Bun­des­ra­tes nun von beson­de­rem Interesse. 

Daten und Methoden
Die hier prä­sen­tier­ten Aus­wer­tun­gen beru­hen auf einer reprä­sen­ta­ti­ven Stich­pro­be von 2’489 Schwei­zer Stimm­be­rech­tig­ten. Die Befra­gung wur­de an der Uni­ver­si­tät Zürich von Prof. Dr. Ste­fa­nie Wal­ter kon­zi­piert und von infra­test dimap im Früh­jahr 2019 in zwei Wel­len (13–29. März 2019 und 12–18. April 2019) durchgeführt.

Bild: Wiki­me­dia Commons

image_pdfimage_print