«Sag mir, wie deine Eltern wählen und ich sage dir, wie du wählst!» — Wie die Parteipräferenz vererbt wird

Es gibt vie­le unter­schied­li­che Grün­de, war­um jemand eine bestimm­te Par­tei wählt. Die Eltern spie­len für die Wahl­ent­schei­dung ihrer Kin­der nach wie vor eine wich­ti­ge Rol­le. Dies zeigt eine Unter­su­chung mit den Daten der Schwei­zer Wahl­stu­die Selects.

Wahlen19

Die Wei­ter­ga­be von Wis­sen, Fähig­kei­ten und Fer­tig­kei­ten von einer Genera­ti­on zur nächs­ten wird Sozia­li­sa­ti­on genannt. Die soge­nann­te poli­ti­sche Sozia­li­sa­ti­on bezieht sich auf den Lern­pro­zess, in der eine Per­son poli­ti­sche Denk- und Hand­lungs­mög­lich­kei­ten erwirbt. Dabei kommt vor allem den Eltern eine sehr wich­ti­ge Rol­le zu, da sie oft die­je­ni­gen sind, die ihre Kin­der als ers­te in die Welt der Poli­tik einführen.

Poli­ti­sche Sozialisation
Angus Cam­pell und sein Team gehör­ten zu den Ers­ten, die wäh­rend den 60er Jah­re die poli­ti­sche Sozia­li­sa­ti­on in den USA unter­such­ten. Sie fan­den her­aus, dass die Eltern ihren Kin­dern ihre Par­tei­prä­fe­renz wei­ter­ge­ben und die­se dann auch lang­fris­tig bestehen und somit das Wahl­ver­hal­ten stark beein­flus­sen. Dar­aus ent­stand der sozi­al­psy­cho­lo­gi­sche Erklä­rungs­an­satz, der oft auch als Michi­gan-Modell bezeich­net wird. Die­ser besagt, dass das Wahl­ver­hal­ten Aus­druck einer indi­vi­du­el­len psy­cho­lo­gi­schen Bezie­hung zu einer Par­tei ist. Die Par­tei­prä­fe­renz wird in die­sem Ansatz dem­entspre­chend durch fami­liä­re und gesell­schaft­li­che Sozia­li­sie­rungs­in­stan­zen her­aus­ge­bil­det, wobei die Eltern die wich­tigs­te Rol­le spie­len. Die­se emo­tio­na­le Par­teib­in­dung ist auf indi­vi­du­el­ler Ebe­ne über Jah­re hin­weg sta­bil und wirkt schliess­lich auch bei der Wahr­neh­mung aktu­el­ler poli­ti­schen Sach­fra­gen sowie bei der Kan­di­da­ten­ori­en­tie­rung wie eine Art Filter.

In einem Zwei­par­tei­en­sys­tem, wie man es aus der USA kennt, ist die Wahr­schein­lich­keit, dass man die glei­che Par­tei wie die Eltern wählt, viel grös­ser als die Wahr­schein­lich­keit, in einem Mehr­par­tei­en­sys­tem die glei­che Par­tei wie die Eltern zu wäh­len. Aus die­sem Grund woll­te ich in mei­ner Bache­lor­ar­beit her­aus­fin­den, ob die Eltern im Mehr­par­tei­en­sys­tem Schweiz eben­falls einen wich­ti­gen Ein­fluss auf die Par­tei­prä­fe­renz ihrer Kin­der haben und ob die­ser Ein­fluss gege­be­nen­falls vom Geschlechts, Alter oder der sozia­len Klas­se, der man ange­hört, abhän­gig ist.

Vater einflussreicher als die Mutter – noch heute der Fall?

Die Fra­ge­stel­lung mei­ner Bache­lor-Arbeit wur­de mit den Daten der Selects Nach­wahl­be­fra­gung 2015 unter­sucht. Mei­ne Resul­ta­te zei­gen, dass sowohl der Vater wie auch die Mut­ter einen signi­fi­kan­ten Ein­fluss auf die Par­tei­prä­fe­renz ihrer Kin­der haben. Dabei hat der Vater einen leicht stär­ke­ren Ein­fluss als die Mut­ter. Die­ser Unter­schied ist jedoch klein, da er damit zusam­men­hängt, dass die meis­ten befrag­ten Per­so­nen anga­ben, dass der Vater und die Mut­ter die glei­che Par­tei gewählt haben.

Auf­fäl­lig ist jedoch, dass rund 500 der befrag­ten Per­so­nen die Par­tei­prä­fe­renz des Vaters ange­ben konn­ten, jedoch nicht die der Mut­ter. Dies hängt wahr­schein­lich damit zusam­men, dass das Frau­en­stimm­recht in der Schweiz erst 1971 ein­ge­führt wur­de und daher vor allem der Vater lan­ge Zeit der Ansprech­part­ner war, wenn es um Poli­tik ging.

Der viel dis­ku­tier­te Gen­der Gap in den poli­ti­schen Posi­tio­nen konn­te auch in mei­ner Arbeit fest­ge­stellt wer­den, da im Durch­schnitt die Mut­ter auf einer ideo­lo­gi­schen Posi­ti­on lin­ker ein­zu­stu­fen ist als der Vater. Wäh­rend bei­spiels­wei­se bei den SP-Wähler und Wählerinnen rund vier­zig Pro­zent anga­ben, der Vater habe eben­falls die SP gewählt, waren es für die Mut­ter  die Hälf­te. Bei den FDP-Wählern und Wählerinnen gaben sech­zig Pro­zent an, dass ihr Vater FDP gewählt hat, während dies für die Mut­ter nur noch jede zwei­te befrag­te Per­son tat. Zudem ist die Über­ein­stim­mung bei den GPS-Wählern und Wählerinnen und ihrer Mütter stärker als mit ihren Väter, während sie bei den Lega-Wählern und Wählerinnen etwas tie­fer ist.

Den­noch zei­gen die Resul­ta­te, dass die Par­tei­prä­fe­renz einer Per­son wesent­lich bes­ser mit den Par­tei­prä­fe­ren­zen der Eltern, sowohl mit denen des Vaters wie auch den­je­ni­gen der Mut­ter, erklärt wer­den kann als mit ande­ren getes­te­ten Fak­to­ren wie Alter, Ein­kom­men, Aus­bil­dung und Geschlecht.

CVP als Traditionspartei – Segen oder Fluch?

Wei­ter zei­gen mei­ne Unter­su­chun­gen, dass die Ver­er­bung der Par­tei­prä­fe­renz vor allem bei den gros­sen Bun­des­rats­par­tei­en zu sehen ist, wäh­rend dies bei den klei­nen Par­tei­en wie bei­spiels­wei­se der GLP, CSP, Lega oder EDU kaum ersicht­lich ist. Dies lässt sich wahr­schein­lich damit begrün­den, dass die­se klei­ne­ren Par­tei­en meis­tens noch kei­ne lan­ge Geschich­te haben. Jedoch las­sen sich auch bei den Bun­des­rats­par­tei­en erheb­li­che Unter­schie­de fest­stel­len. Sie­ben von zehn CVP-Wäh­lern und Wäh­le­rin­nen gaben an, dass ihr Vater wäh­rend ihrer Jugend eben­falls die CVP gewählt hat. Bei den FDP-Wäh­ler und Wäh­le­rin­nen gaben sechs von zehn an, dass ihr Vater auch ein FDP-Wäh­ler war. Bei der SVP sowie der SP sind die Zah­len deut­lich nied­ri­ger. Wäh­rend es bei der SP rund 40 Pro­zent sind, sind es bei der SVP rund 36 Pro­zent, deren Väter eben­falls die­se Par­tei wählten.

Schaut man sich die CVP an, bei der weit­aus mehr als die Hälf­te der Wäh­ler und Wäh­le­rin­nen bereits in einem CVP-Haus­halt auf­ge­wach­sen ist, stellt sich die Fra­ge, ob dies für die die Par­tei Segen oder Fluch ist. Einer­seits zeigt die­se Zahl, dass man sich auf die poli­ti­sche Sozia­li­sa­ti­on bei den CVP-Fami­li­en ver­las­sen kann, aber sie zeigt eben auch auf, dass es der CVP nicht gelingt, neue Wäh­ler und Wäh­le­rin­nen zu mobi­li­sie­ren, die nicht in einem CVP-Haus­halt auf­ge­wach­sen sind.

Einzig das Alter spielt eine Rolle

Wei­ter hat mei­ne Arbeit gezeigt, dass das Alter den Ein­fluss der Par­tei­prä­fe­renz der Eltern auf die Par­tei­prä­fe­renz einer Per­son abschwächt. Dies kann damit begründet wer­den, dass jüngere Wähler und Wählerinnen meist bes­ser über die­je­ni­gen Par­tei­en ver­tieft Bescheid wis­sen, die von ihren Eltern geschätzt wur­den und sich die­ser Wis­sens­un­ter­schied im Lau­fe des Lebens abschwächt.

Frü­he­re Stu­di­en zei­gen, dass sich männ­li­che Jugend­li­che im Durch­schnitt häu­fi­ger für Poli­tik inter­es­sie­ren, frü­her die Unab­hän­gig­keit suchen und dadurch weni­ger Zeit mit den Eltern ver­brin­gen als weib­li­che Jugend­li­che. Aus die­sen Grün­den habe ich erwar­tet, dass der Ein­fluss der Eltern auf die jun­gen Frau­en stär­ker ist als auf jun­ge Män­ner. Ent­ge­gen den Erwar­tun­gen zei­gen die Resul­ta­te mei­ner Ana­ly­sen jedoch kei­ne geschlechts­spe­zi­fi­schen Unter­schie­de. Män­ner und Frau­en über­neh­men in glei­cher Wei­se die Par­tei­prä­fe­renz der Eltern.

Wei­ter wur­de ange­nom­men, dass je höher die sozia­le Klas­se einer Per­son ist, des­to stär­ker der Ein­fluss der Eltern auf die Par­tei­prä­fe­renz. Stu­di­en über die Sozia­li­sa­ti­on haben gezeigt, dass Jugend­li­che aus obe­ren sozia­len Klas­sen eine enge­re Bezie­hung zu ihren Eltern haben als Jugend­li­che aus unte­ren sozia­len Klas­sen. Dies ist inso­fern wich­tig, weil in der Sozia­li­sa­ti­on die Nähe zu einer Per­son wich­tig ist, um von ihr etwas zu übernehmen. Zudem haben frühere Stu­di­en gezeigt, dass in Fami­li­en der obe­ren sozia­len Klas­se deut­lich häufiger über Poli­tik gespro­chen wird als in Fami­li­en der unte­ren sozia­len Klas­sen. Die Resul­ta­te zei­gen aber, dass die sozia­le Klas­se nicht erklä­ren kann, ob jemand die Par­tei­prä­fe­renz der Eltern über­nimmt oder nicht.

Die­se Annah­men konn­ten nicht bestä­ti­gen wer­den, jedoch ver­deut­li­chen sie die Wich­tig­keit der Eltern für die Par­tei­wahl ihrer Kin­der: Offen­bar haben wahl­be­rech­tig­te Per­so­nen in der Schweiz – unab­hän­gig ihres Geschlechts oder ihrer sozia­len Klas­se – eine rela­tiv hohe Wahr­schein­lich­keit, die Par­tei­prä­fe­ren­zen der Eltern zu übernehmen


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Bild: Ken­ne­dy-Fami­liy, 1931

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