Beim „Regieren“ geht es vereinfacht gesagt darum, durch geschicktes Handeln nachhaltige politische Lösungen für gesellschaftliche Probleme zu finden. Doch wie die Regierungsarbeit tatsächlich vonstattengeht, ist Aussenstehenden oftmals verborgen. Diese Blackbox will das neue Buch „Blackbox Exekutive: Regierungslehre in der Schweiz“ öffnen und aus unterschiedlicher disziplinärer und praktischer Perspektive beleuchten.
Das schweizerische Regierungssystem gründet auf einer Reihe von Grundelementen. Die wichtigste Systemeigenschaft fürs Regierungshandeln ist das Konkordanzprinzip. Es beschreibt die Notwendigkeit, möglichst alle referendumsfähigen Kräfte von Anfang an in den politischen Entscheidungsprozess miteinzubeziehen. Die für die Schweiz so typischen kompromiss- und konsensorientierten Entscheidungsprozesse sind also direkte Folge dieses Konkordanzprinzips. Mit der Konkordanz verbunden ist das Kollegialitätsprinzip. Kein Regierungsmitglied ist dem anderen übergeordnet. Um Entscheide treffen zu können, müssen alle Mitglieder des Regierungsgremiums bereit sein, Kompromisse einzugehen.
Das Departementalprinzip bildet den Gegensatz zum Kollegialitätsprinzip. In ihrer Departementsarbeit haben Regierungsmitglieder die Möglichkeit, ihre Parteiinteressen einfliessen zu lassen. Diese Interessen müssen sie im Regierungskollegium zu Gunsten des Kollegialitätsprinzips oftmals zurückbinden. Die hohe Unabhängigkeit der Regierung vom Parlament ist ein weiteres Merkmal. Während ihrer Amtszeit können Regierungsmitglieder nicht abgesetzt werden. Bei verlorenen Referendumsabstimmungen müssen sie auch nicht automatisch zurücktreten. Dies trägt erheblich zur Stabilität des schweizerischen Regierungssystems bei.
Diese Systemeigenschaften machen das Schweizer Regierungssystem weltweit einzigartig. Doch gerade diese Eigenheiten haben das schweizerische Regierungssystem in letzten Jahren vor spezifische Herausforderungen gestellt:
Zunehmende Polarisierung
In den letzten Jahren haben sich die (Pol-)Parteien voneinander entfernt und nehmen vermehrt Extrempositionen ein. Es ist somit schwieriger geworden, Kompromisse zu finden. Gerade Regierungsmitglieder haben unter der zunehmenden Polarisierung der Schweizer Politik zusehends Schwierigkeiten, eine Kollektivmeinung zu vertreten, wenn diese den Interessen der eigenen Partei widerspricht.
Europäisierung und Internationalisierung
Auch die zunehmende Europäisierung und Internationalisierung fordert das auf Kompromiss und Stetigkeit ausgerichtete schweizerische Regierungssystem heraus. Der Bundesrat und die Departemente nehmen eine immer wichtigere Stellung ein. Diese Machtkonzentration bei der Bundesregierung wird vom Parlament und von den untergeordneten Staatseben regelmässig kritisiert..
Wachsende Medialisierung
Moderne Medien prägen das Tempo in Politik und Gesellschaft in zunehmendem Ausmass. Die Sozialen Medien verringern zudem die Distanz zwischen Regierenden und der Bevölkerung. Dadurch leiden die notwendige Faktenkontrolle, die inhaltliche Abwägung und die interne Koordination häufig, wenn via (digitale) Medien umgehend auf Ereignisse reagiert wird.
Wachsende Arbeitslast und abnehmende Wertschätzung
Zunehmende Aufgaben und Repräsentationspflichten, internationale Vernetzung und notwendige Kontaktpflege sowie Einsitz in Gremien des föderalistischen Systems erhöhen die Arbeitslast erheblich. Gleichzeitig wird die Regierungsarbeit in der Öffentlichkeit immer weniger wertgeschätzt.
Denkanstösse für das Regieren in der Schweiz
Die Regierungen leisten einen wesentlichen Beitrag zum Funktionieren eines Staatswesens und damit zu dessen Stabilität und Weiterentwicklung. Eine Besonderheit des Schweizer Systems ist, dass es der Akzeptanz politischer Lösungen häufig mehr Gewicht beimisst als der tatsächlichen Problemlösung. Dies liegt vor allem daran, dass in der Schweiz viele mitreden und -bestimmen können.
Gerade die Nähe und Verschränkung von Regierung, Parlament und Souverän eröffnen der Exekutive hierbei vielerlei Ansatzpunkte für Veränderungen und Verbesserungen: Neben der Möglichkeit einer frühzeitigen und sachorientierten Kommunikation können auch gezielt politische Diskussionen ausgelöst und angeleitet werden. Dabei gilt es, politische Problemlösungen im Interesse des ganzen Landes mutig zu gestalten und schrittweise umzusetzen. Regierungen sollen von sich aus Themen setzen, Probleme ansprechen, Lösungen vorschlagen und Entscheide vertreten. Sie sollen nicht bloss reaktiv auf Medien-, Parlaments- und Volksmeinungen reagieren.
Das schweizerische Regierungssystem ermöglicht sowohl politische Leadership als auch einen konstruktiven Umgang mit politischen Niederlagen einer Exekutive. Diese Stärke gilt es wieder vermehrt zu nutzen.
Referenz:
Adrian Ritz, Theo Haldemann und Fritz Sager (Herausgeber) (2019). Blackbox Exekutive – Regierungslehre in der Schweiz. Zürich: NZZ Libro, Reihe „Politik und Gesellschaft in der Schweiz“.
Veranstaltungshinweis:
Am 18. Juni 2019 findet an der Universität Bern das vom Kompetenzzentrum für Public Management organisierte Swiss Governance Forum mit dem Fokus “Regieren in der Schweiz” statt. Im Rahmen der Veranstaltung wird das Buch “Blackbox Exekutive – Regierungslehre in der Schweiz” vorgestellt.
Bild: Schweizerische Bundeskanzlei