Die Macht der Opposition in der Politik

Das Vor­han­den­sein einer Oppo­si­ti­on ist ein zen­tra­les Merk­mal einer Demo­kra­tie. Man müss­te also mei­nen, die Poli­tik­wis­sen­schaft beschäf­ti­ge sich aus­gie­big mit die­sem zen­tra­lem The­ma. Doch dem ist nicht so, es gibt kaum For­schung zur Fra­ge nach der Macht der Oppo­si­ti­on. Mein Bei­trag dazu bil­det eine Ausnahme. 

Mei­ne Ana­ly­se zeigt, wel­che poli­ti­schen Insti­tu­tio­nen den Oppo­si­tio­nen in 21 Demo­kra­tien im Par­la­ment zur Ver­fü­gung ste­hen, um Macht aus­zu­üben. So unter­schei­den sich bei­spiels­wei­se die Rech­te von Oppo­si­tio­nen in par­la­men­ta­ri­schen Aus­schüs­sen sehr stark. Eben­so gibt es gro­ße Unter­schie­de wie viel und wie lan­ge die Oppo­si­ti­ons­par­tei­en in einem Par­la­ment spre­chen, wie stark sie die par­la­men­ta­ri­sche Agen­da prä­gen dür­fen – und wie sehr sie die Regie­rung in die Man­gel neh­men können.

Zwei Arten von Macht

Theo­re­tisch unter­schei­de ich dabei zwei Arten von Macht. Klas­si­sche Demo­kra­tie­theo­rien argu­men­tie­ren, dass Oppo­si­tio­nen zwei Haupt­zie­le erfül­len: Sie kon­trol­lie­ren die Regie­rung und sie zei­gen inhalt­li­che wie per­so­nel­le Alter­na­ti­ven zur Regie­rung auf. Dem­entspre­chend unter­schie­de ich zwi­schen der Kon­troll­macht von Oppo­si­tio­nen, d.h. inwie­fern sie Regie­rungs­han­deln begren­zen oder ver­lang­sa­men kön­nen und der Alter­na­tiv­macht von Oppo­si­tio­nen, d.h. inwie­fern sie Alter­na­ti­ven auf­zei­gen können.

Man­che Insti­tu­tio­nen eig­nen sich sehr gut, um die Regie­rung zu kon­trol­lie­ren, sind aber schlecht geeignet,um Alter­na­ti­ven auf­zu­zei­gen. Das Aus­schuss­sys­tem ist ein gutes Bei­spiel dafür. Hier kön­nen Oppo­si­ti­ons­par­tei­en zwar in den direk­ten Aus­tausch auf Augen­hö­he mit der Regie­rung gehen, in der Regel ist die­se Dis­kus­si­on aber für die brei­te Öffent­lich­keit kaum sicht­bar und die Posi­tio­nen der Regie­rungs- und Oppo­si­ti­ons­par­tei­en sind für Wähler*innen oft schwer zu unter­schei­den. Ein stark aus­ge­präg­tes Aus­schuss­sys­tem ver­leiht Oppo­si­tio­nen somit viel Kon­troll­macht, stärkt sie aber nicht in Bezug auf ihre Alternativmacht.

Ganz anders sieht es mit par­la­men­ta­ri­schen Fra­ge­stun­den aus. In man­chen Län­dern (z.B. in Eng­land) sind die soge­nann­ten par­lia­men­ta­ry ques­ti­on times ein Kern­ele­ment des poli­ti­schen Gesche­hens, bei dem sich Regie­rung und Oppo­si­ti­on ein Wort­ge­fecht lie­fern. Die Oppo­si­ti­on kann bei die­ser Gele­gen­heit der Regie­rung zahl­rei­che Fra­gen stel­len, deren Han­deln kri­ti­sie­ren und inhalt­li­che wie per­so­nel­le Alter­na­ti­ven vor­schla­gen. Oft wird die­ser Fra­ge-Ant­wort Schlag­ab­tausch auch live im Fern­se­hen über­tra­gen und zusätz­lich in den abend­li­chen Nach­rich­ten zusam­men­ge­fasst, in den sozia­len Medi­en geteilt sowie in der Pres­se auf­ge­ar­bei­tet. Die­se Insti­tu­ti­on bie­tet Oppo­si­tio­nen somit eine kla­re Mög­lich­keit, poli­ti­sche Alter­na­ti­ven auf­zu­zei­gen, lie­fern aber wenig Mög­lich­kei­ten, um die Regie­rung effek­tiv zu kontrollieren.

Wie viel Macht haben Oppositionen?

Mei­ne Unter­su­chung kon­zen­triert sich auf par­la­men­ta­ri­sche Demo­kra­tien, da Oppo­si­tio­nen in prä­si­den­ti­el­len Demo­kra­tien wie bei­spiels­wei­se den USA eine ganz ande­re Rol­le spie­len und einer ande­ren Logik fol­gen. Auch die Schweiz ist ein Son­der­fall, da die Auf­tei­lung in Regie­rung und Oppo­si­ti­on ande­ren Mus­tern folgt und eher fall­wei­se durch Initia­ti­ven und Refe­ren­den stattfindet.

Die Ergeb­nis­se mei­ner Stu­die las­sen sich in zwei Indi­zes zusam­men­fas­sen: ein Maß erfasst die Kon­troll­macht von Oppo­si­tio­nen, ein ande­res deren Macht, Alter­na­ti­ven aufzuzeigen.

Die vier Arten von Oppositionen

Abbil­dung 1 zeigt die Haupt­er­geb­nis­se. Die Kon­troll­macht von Oppo­si­tio­nen ist auf der ver­ti­ka­len Ach­se abge­tra­gen, wäh­rend die hori­zon­ta­le Ach­se die Alter­na­tiv­macht zeigt. Zunächst ist bemer­kens­wert, dass die bei­den Maße kaum kor­re­lie­ren, d.h. es ist nicht der Fall, dass Kon­troll- und Alter­na­tiv­macht ein­her­ge­hen. Viel­mehr zei­gen sich vier Ländergruppen:

Abbildung 1: Die zwei Dimensionen von Oppositionsmacht

In der obe­ren rech­ten Ecke von Abbil­dung 1 fin­den wir die nord­eu­ro­päi­schen Län­der und Deutsch­land. Oppo­si­tio­nen hier haben rela­tiv star­ke Kon­troll­macht, aber auch zahl­rei­che Mög­lich­kei­ten, wirk­sam Alter­na­ti­ven auf­zu­zei­gen. Anders gesagt: Die Oppo­si­tio­nen in Skan­di­na­vi­en und Deutsch­land gehö­ren zu den stärks­ten der hier unter­such­ten Länder.

Das Gegen­teil ist in Süd­eu­ro­pa der Fall, wie die unte­re lin­ke Ecke von Abbil­dung 1 zeigt. In Por­tu­gal, Ita­li­en, Spa­ni­en und Frank­reich haben die Oppo­si­tio­nen kaum Kon­troll­macht, ihnen fehlt gleich­zei­tig aber auch die Mög­lich­keit, Alter­na­ti­ven aufzuzeigen.

Wir fin­den aber auch zwei wei­te­re Kon­stel­la­tio­nen: In den West­mins­ter-Demo­kra­tien wie Gross­bri­tan­ni­en und Irland kann die Oppo­si­ti­on kaum kon­trol­lie­ren, hat aber zahl­rei­che Mög­lich­kei­ten, Alter­na­ti­ven anzubieten.

Und in den soge­nann­ten Kon­kor­danz-Demo­kra­tien (Nie­der­lan­de, Bel­gi­en, Öster­reich) haben Oppo­si­tio­nen zwar star­ke Kon­troll­rech­te, kön­nen aber kaum Alter­na­ti­ven aufzeigen.

Neue Sicht dank Oppositionsbrille

Die­se Ergeb­nis­se sind aus mei­ner Sicht nicht nur span­nend, weil die Poli­tik­wis­sen­schaft sich bis­lang kaum mit Oppo­si­tio­nen beschäf­tigt hat. Wenn wir die „Oppo­si­ti­ons­bril­le“ auf­set­zen, erhal­ten wir plötz­lich eine ganz neue Sicht auf unse­re Demokratien.

Dar­über hin­aus kön­nen die Ergeb­nis­se auch hel­fen, die Zie­le, Moti­ve und Stra­te­gien von Oppo­si­ti­ons­par­tei­en zu ver­ste­hen sowie auf­zu­zei­gen, wel­che Alter­na­ti­ven Wähler*innen haben und war­um sie in man­chen Län­dern zu außer­par­la­men­ta­ri­scher Oppo­si­ti­on grei­fen. Dies scheint vor allem dort ein Mit­tel zu sein, wo die par­la­men­ta­ri­schen Oppo­si­tio­nen sehr schwach sind, also in Süd­eu­ro­pa – aber auch in der EU. Aus mei­ner Sicht wür­de die Poli­tik­wis­sen­schaft, aber auch die Demo­kra­tie, pro­fi­tie­ren, wenn wir die klas­si­sche Regie­rungs­leh­re um eine Oppo­si­ti­ons­for­schung ergän­zen würden.


Refe­renz

Gar­ritz­mann, Juli­an L. (2017) How Much Power Do Oppo­si­ti­ons Have? Com­pa­ring the Oppor­tu­ni­ty Struc­tures of Par­lia­men­ta­ry Oppo­si­ti­ons in 21 Demo­cra­ci­esJour­nal of Legis­la­ti­ve Stu­dies 23(1): 1–30.

 

Lite­ra­tur

  • Mair, Peter (2007) Poli­ti­cal Oppo­si­ti­on and the Euro­pean Uni­on. Government and Oppo­si­ti­on 42(1): 1–17.
  • Stef­fa­ni, Win­fried (1979) Par­la­men­ta­ri­sche und prä­si­den­ti­el­le Demo­kra­tie: Struk­tu­rel­le Aspek­te west­li­cher Demo­kra­tien. Opla­den: West­deut­scher Verlag.
  • Church, Cli­ve, und Adri­an Vat­ter (2009) Oppo­si­ti­on in Con­sen­su­al Switz­er­land? A Short but Signi­fi­cant Expe­ri­ment. Government and Oppo­si­ti­on 44(4): 412–437.

 

Bild: Regie­rung und Oppo­si­ti­on im eng­li­schen Unterhaus

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