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Die Macht der Opposition in der Politik

Julian Garritzmann
7th Mai 2019

Das Vorhandensein einer Opposition ist ein zentrales Merkmal einer Demokratie. Man müsste also meinen, die Politikwissenschaft beschäftige sich ausgiebig mit diesem zentralem Thema. Doch dem ist nicht so, es gibt kaum Forschung zur Frage nach der Macht der Opposition. Mein Beitrag dazu bildet eine Ausnahme.

Meine Analyse zeigt, welche politischen Institutionen den Oppositionen in 21 Demokratien im Parlament zur Verfügung stehen, um Macht auszuüben. So unterscheiden sich beispielsweise die Rechte von Oppositionen in parlamentarischen Ausschüssen sehr stark. Ebenso gibt es große Unterschiede wie viel und wie lange die Oppositionsparteien in einem Parlament sprechen, wie stark sie die parlamentarische Agenda prägen dürfen – und wie sehr sie die Regierung in die Mangel nehmen können.

Zwei Arten von Macht

Theoretisch unterscheide ich dabei zwei Arten von Macht. Klassische Demokratietheorien argumentieren, dass Oppositionen zwei Hauptziele erfüllen: Sie kontrollieren die Regierung und sie zeigen inhaltliche wie personelle Alternativen zur Regierung auf. Dementsprechend unterschiede ich zwischen der Kontrollmacht von Oppositionen, d.h. inwiefern sie Regierungshandeln begrenzen oder verlangsamen können und der Alternativmacht von Oppositionen, d.h. inwiefern sie Alternativen aufzeigen können.

Manche Institutionen eignen sich sehr gut, um die Regierung zu kontrollieren, sind aber schlecht geeignet,um Alternativen aufzuzeigen. Das Ausschusssystem ist ein gutes Beispiel dafür. Hier können Oppositionsparteien zwar in den direkten Austausch auf Augenhöhe mit der Regierung gehen, in der Regel ist diese Diskussion aber für die breite Öffentlichkeit kaum sichtbar und die Positionen der Regierungs- und Oppositionsparteien sind für Wähler*innen oft schwer zu unterscheiden. Ein stark ausgeprägtes Ausschusssystem verleiht Oppositionen somit viel Kontrollmacht, stärkt sie aber nicht in Bezug auf ihre Alternativmacht.

Ganz anders sieht es mit parlamentarischen Fragestunden aus. In manchen Ländern (z.B. in England) sind die sogenannten parliamentary question times ein Kernelement des politischen Geschehens, bei dem sich Regierung und Opposition ein Wortgefecht liefern. Die Opposition kann bei dieser Gelegenheit der Regierung zahlreiche Fragen stellen, deren Handeln kritisieren und inhaltliche wie personelle Alternativen vorschlagen. Oft wird dieser Frage-Antwort Schlagabtausch auch live im Fernsehen übertragen und zusätzlich in den abendlichen Nachrichten zusammengefasst, in den sozialen Medien geteilt sowie in der Presse aufgearbeitet. Diese Institution bietet Oppositionen somit eine klare Möglichkeit, politische Alternativen aufzuzeigen, liefern aber wenig Möglichkeiten, um die Regierung effektiv zu kontrollieren.

Wie viel Macht haben Oppositionen?

Meine Untersuchung konzentriert sich auf parlamentarische Demokratien, da Oppositionen in präsidentiellen Demokratien wie beispielsweise den USA eine ganz andere Rolle spielen und einer anderen Logik folgen. Auch die Schweiz ist ein Sonderfall, da die Aufteilung in Regierung und Opposition anderen Mustern folgt und eher fallweise durch Initiativen und Referenden stattfindet.

Die Ergebnisse meiner Studie lassen sich in zwei Indizes zusammenfassen: ein Maß erfasst die Kontrollmacht von Oppositionen, ein anderes deren Macht, Alternativen aufzuzeigen.

Die vier Arten von Oppositionen

Abbildung 1 zeigt die Hauptergebnisse. Die Kontrollmacht von Oppositionen ist auf der vertikalen Achse abgetragen, während die horizontale Achse die Alternativmacht zeigt. Zunächst ist bemerkenswert, dass die beiden Maße kaum korrelieren, d.h. es ist nicht der Fall, dass Kontroll- und Alternativmacht einhergehen. Vielmehr zeigen sich vier Ländergruppen:

Abbildung 1: Die zwei Dimensionen von Oppositionsmacht

In der oberen rechten Ecke von Abbildung 1 finden wir die nordeuropäischen Länder und Deutschland. Oppositionen hier haben relativ starke Kontrollmacht, aber auch zahlreiche Möglichkeiten, wirksam Alternativen aufzuzeigen. Anders gesagt: Die Oppositionen in Skandinavien und Deutschland gehören zu den stärksten der hier untersuchten Länder.

Das Gegenteil ist in Südeuropa der Fall, wie die untere linke Ecke von Abbildung 1 zeigt. In Portugal, Italien, Spanien und Frankreich haben die Oppositionen kaum Kontrollmacht, ihnen fehlt gleichzeitig aber auch die Möglichkeit, Alternativen aufzuzeigen.

Wir finden aber auch zwei weitere Konstellationen: In den Westminster-Demokratien wie Grossbritannien und Irland kann die Opposition kaum kontrollieren, hat aber zahlreiche Möglichkeiten, Alternativen anzubieten.

Und in den sogenannten Konkordanz-Demokratien (Niederlande, Belgien, Österreich) haben Oppositionen zwar starke Kontrollrechte, können aber kaum Alternativen aufzeigen.

Neue Sicht dank Oppositionsbrille

Diese Ergebnisse sind aus meiner Sicht nicht nur spannend, weil die Politikwissenschaft sich bislang kaum mit Oppositionen beschäftigt hat. Wenn wir die „Oppositionsbrille“ aufsetzen, erhalten wir plötzlich eine ganz neue Sicht auf unsere Demokratien.

Darüber hinaus können die Ergebnisse auch helfen, die Ziele, Motive und Strategien von Oppositionsparteien zu verstehen sowie aufzuzeigen, welche Alternativen Wähler*innen haben und warum sie in manchen Ländern zu außerparlamentarischer Opposition greifen. Dies scheint vor allem dort ein Mittel zu sein, wo die parlamentarischen Oppositionen sehr schwach sind, also in Südeuropa – aber auch in der EU. Aus meiner Sicht würde die Politikwissenschaft, aber auch die Demokratie, profitieren, wenn wir die klassische Regierungslehre um eine Oppositionsforschung ergänzen würden.


Referenz

Garritzmann, Julian L. (2017) How Much Power Do Oppositions Have? Comparing the Opportunity Structures of Parliamentary Oppositions in 21 DemocraciesJournal of Legislative Studies 23(1): 1-30.

 

Literatur

  • Mair, Peter (2007) Political Opposition and the European Union. Government and Opposition 42(1): 1–17.
  • Steffani, Winfried (1979) Parlamentarische und präsidentielle Demokratie: Strukturelle Aspekte westlicher Demokratien. Opladen: Westdeutscher Verlag.
  • Church, Clive, und Adrian Vatter (2009) Opposition in Consensual Switzerland? A Short but Significant Experiment. Government and Opposition 44(4): 412-437.

 

Bild: Regierung und Opposition im englischen Unterhaus