Die Fluktuation in den Schweizer Kantonsparlamenten ist beträchtlich. Am schnellsten verändert sich die Zusammensetzung der Parlamente in der Westschweiz, am höchsten ist die Amtsdauer von Gewählten in der Ostschweiz.
Politiker werden gewählt – und manche werden auch wieder abgewählt. Der personelle Wechsel in Regierungen und Parlamenten ist ein wichtiger Bestandteil der Demokratie. Der Vorteil dieser Fluktuation: Mit neuen Köpfen kommen auch neue Ideen in die Politik. Zu hoch sollte allerdings die Wechselrate nicht sein, sonst droht ein Verlust an Know-how und die Effizienz leidet. In Parlamenten liegt ein «normaler» Mitgliederwechsel gemäss früheren Untersuchungen ungefähr zwischen 20 und 30 Prozent pro Legislatur. Dieser Wert wird in der Literatur als optimal betrachtet, da er weder zu niedrig noch zu hoch ist.
Die Zusammensetzung der Schweizer Kantonsparlamente allerdings ändert sich deutlich stärker, wie der vorliegende Beitrag zeigt. Durchschnittlich betrug die Mitgliederfluktuationsrate pro Legislatur im Zeitraum von 1990 bis 2012 satte 45 Prozent. Dabei gibt es ein deutliches Ost-West-Gefälle. Mit 59,2 Prozent hat der Kanton Jura die höchste Wechselrate vor dem Kanton Genf (56,6 Prozent), Neuenburg (51,5 Prozent) und Waadt (50,9 Prozent). Die wenigsten Wechsel haben die Kantone Appenzell Innerrhoden (18,4 Prozent), Graubünden (29,7 Prozent) und Appenzell Ausserrhoden (35,8 Prozent).
Abb. 1: Mitgliederfluktuationsraten in den kantonalen Parlamenten, 1960 – 2012 (in %)
Sind es vor allem die Wahl- und Parlamentsregeln oder die politische Kultur, die ausschlaggebend sind für das Ausmass an personellen Wechsel in Parlamenten? Dieser Frage wurde mittels einer Mehrebenenanalyse für alle 26 kantonalen Legislativen aus den verschiedenen Sprachräumen der Schweiz über den Zeitraum von 1960 bis 2012 nachgegangen.
Die Befunde machen deutlich, dass diese Frage differenziert beantwortet werden muss. So spielen sowohl institutionelle Rahmenbedingungen als auch kulturelle Merkmale eine bedeutende Rolle zur Erklärung der kantonalen Unterschiede der Parlamentsfluktuation. Allerdings sind bei den institutionellen Faktoren nur einige von hoher Relevanz, während andere kaum einen Einfluss ausüben. So erweist sich zunächst die in der Forschung bisher kaum untersuchte Verkleinerung einer Legislative als insgesamt stärkster Einflussfaktor aller untersuchten Grössen. Die Reduktion der Parlamentsmandate führt in rund der Hälfte der Kantone, die diese Massnahme beschlossen haben, zu einer markant höheren parlamentarischen Mitgliederfluktuation als in denjenigen Kantonen, die auf diese Regeländerung verzichtet haben. Im Weiteren erweisen sich zudem die Ausgestaltung des Wahlsystems sowie eine gesetzlich vorgesehene Amtszeitbeschränkung als relevant. In Kantonen mit Proporzwahlsystem und einer Amtszeitbefristung (in der Regel auf zwölf Jahre), findet ein häufigerer Austausch der politischen Repräsentanten statt als in denjenigen mit Majorz- oder Mischwahlsystemen ohne Amtszeitbeschränkung. Nur eine geringe Rolle spielen hingegen Faktoren, die die Stärke und den Handlungsspielraum einer Legislative gegenüber der Exekutive erfassen.
Welche Rolle spielen neben den institutionellen Spielregeln politisch-kulturelle Aspekte wie die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Sprachraum oder die Wertschätzung des Parlaments und das politische Interesse der Bevölkerung? Die Befunde sind eindeutig. Alle politisch-kulturellen Grössen erweisen sich als äusserst bedeutsam zur Erklärung des Mitgliederwechsels in kantonalen Parlamenten. Sie machen deutlich, dass neben den institutionellen Anreizsystemen auch die politischen Einstellungen, Meinungen und Überzeugungen der Wählenden einen beträchtlichen Einfluss auf den Umgang mit politischen Ämtern ausüben. So ist in der französischsprachigen Westschweiz ein kantonales Parlamentsmandat mit mehr Prestige verbunden als in der Deutschschweiz. Das führt zu grösserer Konkurrenz und das wiederum erhöht die Fluktuationsrate in den kantonalen Parlamenten der Westschweiz.
Während damit Massnahmen wie die Senkung der Anzahl Parlamentsmandate und die Amtszeitbeschränkung einen direkten und starken Einfluss auf die Fluktuationsrate ausüben, erweisen sich die Höhe der finanziellen Vergütungen und institutionelle Regeln zur Stärkung des Parlaments gegenüber der Exekutive im vorliegenden Fall ohne nachhaltigen Einfluss. Gleichzeitig erweisen sich langfristige politisch-kulturelle Merkmale für das im Zentrum stehende Phänomen als mindestens ebenso wichtig wie einzelne institutionelle Regeln.
Im Zuge einer steigenden Belastung der parlamentarischen Entscheidungsträger in einer zunehmend komplexen Umwelt stellt sich damit abschliessend die Frage, ob populäre Sparentscheide wie die Verkleinerung von Parlamenten oder die Vergrösserung von Wahlkreisen nicht längerfristig einer funktionierenden Demokratie abträglich sind. So führt offenbar die Reduktion der Legislativmandate nicht nur zu einer höheren Arbeitsbelastung für die einzelnen Mandatsträger, sondern am Ende auch zu einem deutlich höheren parlamentarischen Mitgliederwechsel, worunter ohne Zweifel die Qualität der Gesetzgebungs- und Aufsichtstätigkeit der Legislative leidet.
Zusammenfassend macht die Studie damit deutlich: Wenn die Kantone weiterhin ein Milizsystem im Parlament wollen, sollte darauf geachtet werden, dass die zeitliche Belastung für die Kantonsräte im erträglichen Rahmen bleibt. Sonst droht auf der einen Seite die Gefahr einer Professionalisierung. Auf der anderen Seite könnte es sein, dass bestimmte Personengruppen sich – trotz Interesse – aus Zeitmangel nicht mehr für die parlamentarische Arbeit zur Verfügung stellen.
Referenz:
Feh Widmer, Antoinette und Adrian Vatter (2018). Institutionelle Regeln oder politische Kultur? Faktoren der parlamentarischen Mitgliederfluktuation in den Kantonen, in: Vatter, Adrian (Hg.): Das Parlament in der Schweiz. Macht und Ohnmacht der Volksvertretung. Zürich: NZZ Libro.
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