Lobbying ist in der Schweizer Politik ein immer häufiger anzutreffender Begriff und geniesst einen eher zweifelhaften Ruf. Doch Lobbyismus pauschal als negativ oder gefährlich abzutun, ist zu kurz gegriffen. Im Kontext von Milizparlament und Referendumsdemokratie ist Lobbying viel mehr eine notwendige Bedingung für das Funktionieren von Politik.
Lobbying bezeichnet die Vertretung von politischen Interessen und die Beeinflussung von politischen Entscheidungsprozessen durch diese Interessen. Dem Begriff des Lobbying liegt gemeinhin eine negative Konnotation zugrunde, was dazu führt, dass sich die direkt betroffenen Akteurinnen und Akteure, die Lobbyistinnen und Lobbyisten, in der Regel nicht als solche bezeichnen. Die Vorbehalte gegenüber der Lobbyistentätigkeit gründen darin, dass damit versteckt erfolgende Kontakte mit dem Ziel der Beeinflussung von Interessenträgern assoziiert werden. Lobbying hat in der Schweiz in den vergangenen Jahren an Aufmerksamkeit gewonnen, nachdem es lange sowohl auf der politischen wie auf der wissenschaftlichen Agenda bestenfalls eine untergeordnete Rolle spielte.
Legislatives Lobbying in der Schweiz
Die Schweiz verfügt über gesetzliche Regulierungen zum Lobbying. Hervorzuheben sind die Vergabe von Zutrittsausweisen zum Bundeshaus an die Lobbyierenden sowie die Verpflichtung der Parlamentsmitglieder zur Offenlegung ihrer Mandate und Tätigkeiten in Führungs- und Aufsichtsgremien (Parlamentsgesetz, ParlG). Die aufgrund dieses Offenlegungsgesetzes generierten Daten werden von den Parlamentsdiensten als Register bereitgestellt und sind öffentlich zugänglich. Obwohl Interessengruppen in den vergangenen Jahrzehnen insgesamt an Einfluss und Macht verloren haben (Sciarini 2013; Fischer et al. 2009), stellt sich dennoch die Frage, wie intensiv die direkten Verbindungen zwischen Politik und Wirtschaft aktuell tatsächlich sind.
Eine systematische Erfassung und Auswertung der Registerdaten erfolgte durch Ruh und Rittmeyer (2016) in der NZZ. Um Aussagen darüber treffen zu können, welche Branchen über die meisten Interessenvertretungen im Parlament verfügen, hat die NZZ sämtliche Organisationen mit Vertreterinnen und Vertretern im Parlament im Februar 2016 nach Branchen und Parteizugehörigkeit geordnet.
Ruh und Rittmeyer (2016) konnten so 17 Branchen identifizieren, deren Vertretungsstärke im Parlament in Form von Mandaten stark variiert: Die meisten Mandate weist die FDP mit 488 Mandaten aus, gefolgt von der SVP mit 419, der SP mit 400 und die CVP mit 388 Mandaten. Ferner gaben Parlamentarierinnen und Parlamentarier der BDP insgesamt 86 Mandate an, 75 Mandate umfasste die GPS und 53 die GLP. Diese Reihenfolge verändert sich, wenn anstelle der absoluten die durchschnittlichen relativen Zahlen der angegebenen Verbindungen betrachtet werden. Die grösste Anzahl Mandate pro Person hält dann die BDP mit 10.8 Mandaten pro Ratsmitglied, dicht gefolgt von der FDP mit 10.6 Mandaten. An dritter Stelle steht die CVP mit durchschnittlich 9.7 Interessenverbindungen. Sehr nah beieinander liegen die Zahlen der GLP mit durchschnittlich 7.6 pro Ratsmitglied und der SP mit 7.4. Am wenigsten Mandate finden sich durchschnittlich bei Parlamentsmitgliedern der GPS und SVP mit jeweils 6.3 Mandaten pro Ratsmitglied.
Wie gefährlich ist Lobbying?
Das Ziel der Lobbyistinnen und Lobbyisten besteht darin, Einfluss auf Policy-Entscheidungen zu nehmen, um die eigenen Interessen oder jene der von ihnen vertretenen Gruppen zu verfolgen. Das kann verschiedene Konsequenzen für das politische System und dessen demokratischen Grundpfeiler haben kann. Durch Lobbying im Parlament besteht die Gefahr des Glaubwürdigkeitsverlustes der Bevölkerung in ihre gewählten Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Trotz möglicher politischen Gefahren ist es zu kurz gegriffen, Lobbyismus pauschal als negativ oder gefährlich abzutun.
Für die aktuelle Lobbyingtätigkeit im Schweizer Parlament kann die These formuliert werden, dass die aktuelle Situation nicht so dramatisch ist, wie sie mitunter dargestellt wird. Im Kontext von Milizparlament und Referendumsdemokratie stellt Lobbying eine notwendige Bedingung für das Funktionieren von Politik überhaupt dar. Das System zielt darauf ab, alle Interessen möglichst schon im vorparlamentarischen Prozess einzubinden, um Referenden zu verhindern und eine Vorlage praxistauglich zu machen. Dieses Vorgehen sorgt für breiter abgestützte Gesetzesvorlagen, da sie zum Zeitpunkt der parlamentarischen Beratung bereits die Interessen der Betroffenen berücksichtigen. Zudem sind Lobbyistinnen und Lobbyisten aufgrund ihres Fachwissens für den parlamentarischen Betrieb unverzichtbar.
Voraussetzungen für ein systemverträgliches Lobbying
Damit Lobbying insofern unproblematisch ist, weil es einer Wissensweitergabe dient und dadurch dem politischen System der Schweiz sogar zuträglich ist, bedarf es verschiedener Voraussetzungen. Von diesen werden drei zentrale Aspekte näher diskutiert: Erstens Transparenz, zweitens ein Bewusstsein für Implikationen des Lobbyings seitens der Interessensvertreterinnen und -vertreter und drittens müssen formale Richtlinien die notwendigen Voraussetzungen auch durch Anpassungen der aktuellen Prozesse unterstützen, etwa mittels Zugangsbeschränkungen zum Parlament.
Die wichtigste Voraussetzung für ein systemverträgliches Lobbying ist die Transparenz. Transparenz ist in diesem Zusammenhang jedoch nicht auf den Gesetzgeber reduziert, sondern betrifft primär die Public Affairs-Branche selbst. Transparenz bezeichnet weniger mögliche Regulierungen zur Kontrolle oder Einschränkung des Lobbyings, sondern vielmehr Regulierungen, die eine solche Kontrolle überhaupt ermöglichen. So lassen sich beispielsweise Registrierungs- und Offenlegungsrichtlinien der Transparenz zuordnen. Für die Gewährleistung von Transparenz ist nicht nur der Gesetzgeber gefragt, sondern ebenso die Selbstregulierung der Branche.
Das Bewusstsein für die Spielregeln konzentriert sich auf die Akteure und Akteurinnen, die innerhalb des Systems agieren. Den Oberbegriff dieser Voraussetzung kann als Berufsethos der Lobbyistinnen und Lobbyisten bezeichnet werden, der verdeutlicht, dass damit die Intentionen und Verhaltensregeln der lobbyierenden Akteure angesprochen werden. Im Idealfall basiert dieses Bewusstsein auf einer intrinsischen Motivation.
Das Gegenstück zur Voraussetzung der Transparenz bildet die Zugangsbeschränkung. Sie ist ein Beispiel für eine konkretisierte Regulierung, die sich aus den allgemeinen Implikationen der Transparenz ableitet. Diesbezüglich werden oftmals Massnahmen diskutiert, welche die aktuelle Praxis der Zugangserteilungen von Lobbyisten regulieren sollen. Eine strengere Verbindlichkeit der Transparenzpflicht kann in der formalen Auflage der Einhaltung der Standesregeln für die Akkreditierung liegen, was wiederum in der Kompetenz des Gesetzgebers liegen würde. In der Lobbyismus-Forschung werden Zugangsregulierungen von Interessengruppen zu politischen Entscheidungsträgern oftmals als zentrale Voraussetzung für ein systemverträgliches Lobbying angesehen (Bunea 2017: 1).
Die drei Voraussetzungen lassen sich nur schwer isoliert voneinander betrachten, da sie ineinandergreifen und mitunter gegenseitig bedingen. So kann argumentiert werden, dass Zugangsbeschränkungen als Regulierungen auch die Transparenz erhöhen. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen ist jedoch kein abschliessender Prozess. Vielmehr gilt es, diese mittels Reformen die Regulierungen auszubauen und stetig zu verbessern. Reformen des aktuellen Systems, die zu einer grösseren Transparenz führen, könnten die Glaubwürdigkeit der Parlamentarierinnen und Parlamentarier und somit das Vertrauen der Bevölkerung in die politischen repräsentativen Prozesse erhöhen. Damit ist Nationalrat Caroni (2013: 583) zuzustimmen, wenn er festhält, dass eine solche Stossrichtung auch im Interesse der Lobbyistinnen und Lobbyisten selbst sei, da Lobbyistenverbände aus «dem Zwielicht heraustreten und ihre Branche professionalisieren und transparenter gestalten» wollten.
Referenz
Sager, Fritz und Lyn Pleger (2018). Lobbying im Bundeshaus: der direkte Draht ins Parlament, in: Vatter, Adrian (Hg.): Das Parlament in der Schweiz. Macht und Ohnmacht der Volksvertretung. Zürich: NZZ Libro.
Literatur
- Bunea, Adriana (2017): Legitimacy through targeted transparency? Regulatory effectiveness and sustainability of lobbying regulation in the European Union. In: European Journal of Political Research 20 (4).
- Caroni, Andrea (2013): Die «Symbiose» von Parlamentariern und Lobbyisten: kritische Gedanken (und ein Vorschlag). In: LeGes: Gesetzgebung & Evaluation 3 (24): 579–584
- Fischer, Manuel; Fischer, Alex; Sciarini, Pascal (2009): Power and conflict in the Swiss political elite. An aggregation of existing network analyses. In: Swiss Political Science Review 15 (1): 31–62.
- Norton, Philip (1994): Representation of Interests: The Case of the British House of Commons. In: Gary W. Copeland und Samuel C. Patterson (Hg.): Parliaments in the Modern World. Changing Institutions. Ann Arbor: The University of Michigan Press, 13-28.
- Parlamentsgesetz (ParlG) (2016): Artikel 11 des Bundesgesetz über die Bundesversammlung vom 13. Dezember 2002 (Stand am 1. März 2016).
- Ruh, Boas; Rittmeyer, Balz (2016). Für wen lobbyiert das im Herbst 2015 neu gewählte Parlament? Eine Datenanalyse, In: NZZ, 15.3.2016, https://www.nzz.ch/schweiz/aktuelle-themen/lobbying-im-bundeshaus-interessenvertreter-von-links-bis-rechts-ld.7112, Zugriff: 03.07.2018
- Sciarini, Pascal (2013): Eppure si muove. The changing nature of the Swiss consensus democracy. In: Journal of European Public Policy 21 (1): 116–132.
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